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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Damit sie ein Leben in Fülle haben

Oder: Warum Hoffnung stärker ist als Unrecht, Gewalt und Tod

Henri Boulad SJ im Ostergespräch mit Gerald Heschl und Georg Haab

P. Henri Boulad über die Notwendigkeit des Karfreitags auf dem Weg zur Auferstehung. (© Foto: Sonntag / kk)
P. Henri Boulad über die Notwendigkeit des Karfreitags auf dem Weg zur Auferstehung. (© Foto: Sonntag / kk)
P. Henri Boulad SJ (© Foto: kk)
P. Henri Boulad SJ (© Foto: kk)

Wenn Sie auf die Lage im Nahen Osten und in Ihrer Heimat Ägypten schauen: Was bedeutet dann Ostern für Sie in diesem Jahr?
Boulad: Ostern sagt mir: Das Leben ist stärker als der Tod. Die Liebe wird siegen, wie Jesaja in Kapitel 60 voraussagt. Christen sind deshalb nicht optimistisch, aber voller Hoffnung. Optimismus baut auf irdische Gegebenheiten, Hoffnung kommt aus der Kraft und Gnade Gottes. Sie lebt auch dann, wenn es keinen Grund mehr gibt, optimistisch zu sein. Glaube und Hoffnung: Das ist unsere Stärke.

So ist für Sie trotz allem nicht Karfreitag, sondern Ostern?
Boulad: Momentan erleben wir Karfreitag, aber der Karfreitag ist der notwendige Durchgang, um zum Sonntag der Auferstehung zu gelangen. Diesem Durchgang können wir nicht ausweichen. Viele Christen verstehen das nicht: Für sie musste Jesus Christus, der Sohn Gottes, den Preis für unsere Sünden zahlen; so als ob Gott eine Gegenleistung für die Blutschuld gefordert hätte. Das ist wie ein Handel mit Gott. Diese Sicht ist für mich schrecklich, und ich glaube, das ist letztendlich der Grund, weshalb so viele Menschen die Kirche verlassen. Meine Vision ist eine andere: Erlösung heißt nicht, einen Preis für etwas zu bezahlen. Denn Jesus hat uns gezeigt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ Erlösung aus dieser Perspektive meint: Gott ähnlich werden. Der Mensch wurde dazu geschaffen, das Leben Gottes zu teilen, und Gott hat seinen Geist auf ihn gelegt.

Aber warum musste Jesus dann sterben?
Boulad: Im Alten Testament ist Gott im Himmel, im Neuen ist er in Jesus. Aber das ist nicht genug: Gott hat sich uns Menschen in Jesus geschenkt. In ihm hat er uns göttliches Leben geschenkt. Ich nehme ein Bild zu Hilfe: Wenn Sie ein kostbares Salböl in einem Gefäß haben, können Sie zuerst einmal nichts darüber mitteilen. Erst wenn das Gefäß geöffnet wird, wird sein Inhalt für die anderen erfahrbar. Das Gefäß Jesu ist seine Menschwerdung, und sein Tod ist wie das Öffnen dieses Gefäßes. Durch den Tod hat er uns an seiner Göttlichkeit teilhaben lassen, wie das Evangelium es sagt, dass in dem Moment, als Jesus starb, sich viele Gräber öffneten und Tote auferstanden. Seine Auferstehung und unsere Auferstehung sind zutiefst miteinander verbunden. Aus dem einfachen Grund: Ich habe kein ewiges Leben in mir, Jesus schon. Für ihn ist das ein Recht, für mich eine Gnade. Mein Leben ist in absehbarer Zeit zu Ende; aber ich bin berufen, mit Lieb und Seele in der Ewigkeit zu leben. Ist das keine gute Nachricht? Das ist der Weg vom „Emmanuel“, dem „Gott mit uns“, zum „Gott in uns“, nämlich durch seinen Geist.


Damit rücken Ostern und Pfingsten ganz nah zusammen?
Boulad: Ich würde sagen, dass alles mit Ostern zusammenhängt. Wir sagen, dass Jesus am Karfreitag um drei Uhr nachmittags gestorben und am dritten Tag auferstanden ist; nach 40 Tagen in den Himmel aufgefahren, und neun Tage später hat er uns seinen Geist gesendet: Das ist der pädagogische Weg der Kirche, uns schrittweise in die Wahrheit einzuführen. Aus weisen Gründen wurde das überreiche Ereignis, das in einer einzigen Sekunde stattgefunden hat, auf über 50 Tage ausgedehnt – wie ein guter Lehrer den Stoff für seine Schüler so aufteilt, dass sie ihn verstehen können. Am Karfreitag – in England sagt man: Good Friday, guter Freitag, in Frankreich Vendredi Saint, Heiliger Freitag – brach das göttliche Gefäß auf und verströmte seinen Geist über die ganze Erde. In diesem Moment wurden wir seiner Göttlichkeit teilhaftig.

Das bedeutet dann Erlösung für alle?
Boulad: Jeder Mensch kann dieses Leben in Fülle erlangen, das Jesus verheißt. Er ist für uns alle gekommen. Und es bedeutet, wie Jesus zu lieben, zu teilen. Und bei den Brüdern und Schwestern zu sein, die in Not sind, weil wir Jesus in ihnen erkennen. Das gibt uns eine ganz neue Sicht der Erlösung.

Das lässt an Papst Franziskus denken, der eine „arme Kirche“ möchte. Wie meint er das?
Boulad: Eine „arme Kirche“ meint zuerst, dass alles, was ich habe, allen gehört; ich kann für mich und meine Familie behalten, was für unser Leben notwendig ist. Alles übrige gehört allen gemeinsam. Schon Johannes Chrysostomus und Basilius der Große haben im 4. Jahrhundert gesagt: „Wenn du nicht teilst, was du hast, bist du ein Dieb, denn der Reichtum der Erde wurde allen Menschen geschenkt. Also teile!“ Ist das nicht großartig? Wenn jeder so denken würde, gäbe es unter uns keine Armut mehr. Aber wir müssen wissen: Gott ruft uns nicht nur, von dem frei zu werden, was wir haben, sondern auch von dem, was wir sind. Dieser Ruf ist der schwierigere: Etwas von dem zu geben, was ich habe, ist nicht wirklich tragisch. Aber mein Ego aufzugeben, kann schmerzhaft sein. Als Jesus starb, gab er sein menschliches Ego auf, um alles mit uns zu teilen. Das Gleiche sollte ich tun: Das Gefäß meines Egos aufbrechen, um die Fülle des Lebens zu empfangen und weiterzureichen.

Das ist nicht leicht in einer Gesellschaft, in der Größe und Ansehen so hoch zählen.
Boulad: Wir möchten ein Evangelium, das nett und fein ist, das uns Wohlbefinden durch einfache Übungen verschafft, vielleicht wie Yoga. Aber so geht es letztlich nicht. Wir kennen die geistlichen Übungen des hl. Ignatius. Er fordert in der zweiten Woche, uns freizumachen von unserem Ich, um Jesus nachzufolgen ... Das ist schwer, denn es ist ein Absterben: nicht physisch, aber ein Aufgeben unseres Egos. Das ist die Armut im Geist, der Jesus das Himmelreich verheißen hat.