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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Christenverfolgung in Nigeria

Nigeria ist eines der Länder, das derzeit von großen Unruhen heimgesucht wird. von Georg Haab

Begräbnis christlicher Terroropfer der nigerianischen Sekte Boko Haram. (© Foto: privat)
Begräbnis christlicher Terroropfer der nigerianischen Sekte Boko Haram. (© Foto: privat)

Anschläge auf christliche Kirchen, gerade während der Weihnachtsgottesdienste, Überfälle auf christliche Dörfer, ein Ultimatum an Christen, den Norden Nigerias zu verlassen: Zu dem aktuellen Terror in Nigeria bekennt sich die islamistisch-salafistische Sekte „Boko Haram“. Der Name ist Programm, er bedeutet: „Westliche Bildung ist Sünde.“ Boko Haram kämpft gegen alles, was mit dem Westen in Zusammenhang gebracht wird: Christen, Demokratie, Bildung. Die Gruppe situiert sich selber in die Nähe zu den afghanischen Taliban und Al Qaida.
Laut Human Rights Watch wurden durch Boko Haram 935 Menschen getötet, allein 250 seit Beginn 2012. Mittlerweile ist die Angst so groß, dass Panik herrscht. 35.000 Menschen sind auf der Flucht in den Süden Nigerias.
Muslimischer Norden, christlicher Süden? Das ist zu einfach. Es sei „irrig, vom islamischen Norden und christlichen Süden zu sprechen“, sagt John Onaiyekan, Erzbischof von Abuja, und betont, sie kämen im Grunde gut miteineinander aus. „Viele Familien bestehen zur Hälfte aus Muslimen, zur Hälfte aus Christen. Nigeria kann nicht in Religionen geteilt werden, Christen und Muslime gehen gemeinsam in die Schule, zum Markt, zur Arbeit. Man kann nicht alle Muslime in den Norden und alle Christen in den Süden umsiedeln und das Land teilen.“
Hintergründe
Nigeria ist mit 155 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste Staat Afrikas. Etwa die Hälfte der Einwohner sind Christen verschiedener Konfessionen, die andere Hälfte sind Muslime. 70 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Der eher islamische Norden ist noch ärmer als der eher christliche Süden, wo das Öl fließt.
Die Demokratie in Nigeria ist labil und wird als unterdrückend erlebt: Während eine Minderheit von Einflussreichen, gleich welchen Glaubens, sich Macht und Reichtum sichern will, lebt die große Bevölkerungsmehrheit ohne Zukunftsaussichten. Durch Korruption entwickelt sich das Land nicht. Der Konflikt ist nicht religiösen, sondern soziopolitischen Ursprungs. „Es geht um die gerechte Verteilung von Macht, Land und Öl-Reichtum. Das Streben nach dem Gottesstaat ist nur ein religiös und gewalttätig aufgeladener Ruf nach Gerechtigkeit“, so Erzbischof Ignatius Kaigama von Jos.
Seit Sicherheitskräfte 2009 mit roher Gewalt gegen die Sekte Boko Haram vorgingen, eskaliert die Lage; bei Straßenschlachten gab es 800 Tote. Der Gründer, Mohammed Yusuf, wurde in Polizeigewahrsam ohne Gerichtsverhandlung erschossen.
Im Namen des wahren Islam wüten die Islamisten nun auch gegen Moslems, die als Polizisten und Beamte den korrupten Staat repräsentieren.
Nach den jüngsten Anschlägen, die flächendeckend organisiert waren, misstraut jeder jedem. Während die einen das Establishment im Süden für die Drahtzieher des Terrors halten, vermuten die anderen die Urheber im Establishment des Nordens. Jedenfalls sind es Kräfte, die einen Nutzen davon haben, dass das Land unregierbar wird und ins Chaos stürzt. Das erinnert an die anderen Brandherde Afrikas, aktuell besonders Ägypten.
Wege in die Zukunft
„Die beste Medizin gegen die Islamisten wären grundlegende wirtschaftliche und soziale Reformen. Wenn die jungen Menschen vor Ort Arbeit bekämen, eine Familie gründen und ernähren könnten, hätten die Islamisten kaum noch Chancen mit ihren extremistischen Konzepten“, so Berthold Pelster von „Kirche in Not“.
Nigeria braucht unser Gebet, ruft „Kirche in Not“ auf. Aber auch Taten sind gefragt: Die Flüchtlinge sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Und die Regierungen Europas sind gefordert, neben der Rettung des Euro auch der fragilen Demokratie in den arabischen und afrikanischen Staaten den Rücken zu stärken.