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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Bauern sind keine Museumsdirektoren

Elisabeth Köstinger über Landflucht und die Chancen österreichischer Bauern

Die Kärntner Bauerntochter, EU-Abgeordnete und Präsidentin des ökosozialen Forums Europa über die Schere zwischen Arm und Reich, das Recht auf Nahrung und die Vorteile der österreichischen Landwirtschaft

Elisabeth Köstinger, Kärntner Bauerntochter und Präsidentin des ökosozialen Forums Europa, im SONNTAG-Interview über das Recht auf Nahrung, Armut und die Stärken der Kärntner Landwirtschaft (© Foto: eupp)
Elisabeth Köstinger, Kärntner Bauerntochter und Präsidentin des ökosozialen Forums Europa, im SONNTAG-Interview über das Recht auf Nahrung, Armut und die Stärken der Kärntner Landwirtschaft (© Foto: eupp)
Elisabeth Köstinger setzt sich für die kleinteilige österreichische Landwirtschaft ein. (© Foto: EU-Parlament)
Elisabeth Köstinger setzt sich für die kleinteilige österreichische Landwirtschaft ein. (© Foto: EU-Parlament)

Manche Passagen der Papst-Enzyklika „Laudato si“ erinnern an die ökosoziale Idee des Österreichers Josef Riegler. Wie relevant ist diese Idee heute?
Köstinger: Die Idee ist brennender denn je. Wir haben ein Ungleichgewicht von Kapital, Sozialem und Umwelt. Das führt zu Unzufriedenheit. Daher hat die Vision von Ex-Vizekanzler Josef Riegler mehr Bedeutung denn je. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, bei der die Großen das Geld einstreifen und die Kleinen bezahlen, hat die Situation noch verschärft. Die ökosoziale Marktwirtschaft hat zum Ziel, dass von europäischer Ebene bis hin zu den Gemeinden ein Gleichgewicht der drei Säulen vorhanden ist.

Das ökosoziale Forum als unabhängige Plattform hat sich sechs sehr klare Ziele gesteckt. Das erste ist „ein modernes, ökologisches und sozial gerechtes Steuersystem in Österreich“. Bringt uns die jüngste Steuerreform diesem Ziel einen Schritt näher?
Köstinger: Nein. Diese Steuerreform stand ganz klar unter der Voraussetzung, die Lohn- und Lohnnebenkosten zu senken, damit den Menschen mehr Geld bleibt. Dieses Ziel hat wenig Spielraum gelassen. Wir aber wollen, dass man sich das Steuersystem auf einer sehr breiten Basis anschaut und nicht nur unter einem Aspekt. Ich denke, wir hätten politisch viel mehr Lenkungsmöglichkeiten. Das gilt vor allem auch in Richtung Nachhaltigkeit und erneuerbare Energie. Da geht es nicht um den schnellen Profit, sondern um langfristige, nachhaltige Ziele für kommende Generationen.

In diesem Zusammenhang fordern Sie auch eine Finanztransaktionssteuer. Die Diskussion darüber bleibt meist in den Ansätzen stecken ...
Köstinger: Eine Finanztransaktionssteuer, die wirklich etwas bringen soll, kann nur europaweit umgesetzt werden. Da sind wir schon sehr weit, aber Großbritannien blockiert derzeit alle Anstrengungen. Ich denke, es macht Sinn, die Kapitalmärkte zu regeln und in die Pflicht zu nehmen.

Wäre es nicht auch sozial gerecht, Kapital höher zu besteuern, also die „Reichensteuer“ einzuführen?
Köstinger: Wenn man dieses Thema diskutiert, dann ausgewogen. Vermögen stärker zu besteuern, ist eine Gratwanderung. Das kann nicht nur die Reichen betreffen. Konzerne können viele Steuervorteile nutzen. Ich denke an die Steuerflucht nach Luxemburg. Da sollte es europaweite Regelungen geben, ohne die Unternehmen aus Europa zu vertreiben. Sie sichern Arbeitsplätze.


Mit der Forderung nach einem „Weltvertrag auf Basis der Klimagerechtigkeit“ liegen Sie mit dem Papst auf einer Linie. So ein Weltvertrag würde wohl bedeuten, dass die Industrienationen zurückstecken müssten ...
Köstinger: Daran wird kein Weg vorbeiführen. Die Illusion, dass wir so weitertun können wie bisher, wird schon bald zu Ende sein. Wir verbrauchen einfach zu viel von der Erde. Das ist uns allen klar und wir spüren das. Gerade die Industriestaaten werden da mehr tun müssen. Wir haben da eine besonders hohe Verantwortung.

Damit einher geht auch Ihr Ziel eines „Menschenrechtes auf Nahrung“. Ein hohes Ziel, das sich auch in „Laudato si“ wiederfindet ...
Köstinger: Das ist ein Ziel ohne Kompromisse. Nur wenn Lebensmittel vorhanden sind, kann sich eine Gesellschaft entwickeln. Schauen Sie nach Afrika und die Menschen, die sich auf den Weg nach Europa machen. Sie haben zu Hause keine Perspektive und sehen auch keine Möglichkeit, sich und ihre Kinder zu ernähren.

Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die österreichische Flüchtlingsdebatte?
Köstinger: Wir müssen unsere Pflicht wahrnehmen, den Menschen, die Hunger leiden, zu helfen. Das heißt in erster Linie, die Entwicklungszusammenarbeit zu verstärken. Die Ziele sind aber globale Ziele, und man kann nicht nur Europa in die Pflicht nehmen. Wir sind in der Entwicklungshilfe weltweit führend. Da können sich andere Länder ein Stück abschneiden. Aber es braucht auch stabile politische Systeme, damit die Hilfe ankommt und sich Wohlstand entwickeln kann. Sie brauchen das Rüstzeug, um selbst den Weg gehen zu können.

Aber ist es nicht ein bisschen zynisch: Wir weisen Flüchtlinge ab und senken gleichzeitig die Entwicklungshilfe-Ausgaben. Wie soll das funktionieren?
Köstinger: Das Weggehen der Menschen ist verständlich. Die entscheidende Frage ist aber, was wir tun können, damit die Leute nicht flüchten müssen. Ich sehe da einerseits die notwendige Hilfe, die sicher zu niedrig ist, aber auch eine Eigenverantwortung der betroffenen Länder. Andererseits würde ich mir von europäischen Ländern, die etwa in Afrika eine historische Verantwortung haben, mehr erwarten. Ich denke konkret an Großbritannien oder Frankreich.

Wenn wir von Nahrung sprechen, sind wir auch bei der Landwirtschaft. Hier gibt es Tendenzen einer Monopolisierung – in den USA gibt es Firmen, die natürlich wachsende Nahrungsmittel patentieren lassen. Kann das ein Weg sein?
Köstinger: Wir brauchen das Recht auf Lebensmittel – ohne Patente und Monopole. Auch der freie Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht, das nicht verhandelbar ist. Die Maschinerie, in der wir drinnen sind, ist sehr verlogen. Dem Konsumenten kommt eine große Verantwortung zu. Ich kann nicht die Großkonzerne durch mein Kaufverhalten unterstützen und dann jammern, dass sie immer mächtiger werden. Hier wälzen wir unsere Verantwortung gerne auf irgendwelche großen Mächte ab – dabei hätten wir viel mehr selbst in der Hand.

Sie arbeiten an Perspektiven für eine moderne, nachhaltige Agrarpolitik. Nun ist Österreich im europäischen Vergleich sehr klein strukturiert. Wie können hier die Perspektiven aussehen?
Köstinger: Bei uns gibt es viele Beispiele, wie man mit Qualität höhere Wertschöpfung und damit neue Perspektiven finden kann. Wenn wir auf Europa blicken, schaut die Sache anders aus. Im Großteil Europas heißt das Konzept: Quantität und billige Produktion.

Wie kann man da die Interessen Österreichs durchsetzen?
Köstinger: Eigentlich sehr gut. Wir wollen Landwirtschaft auch in Berggebieten, wo es objektiv gesehen nicht rentabel ist, aber langfristig Sinn macht. Daraus entstehen Synergien – etwa mit dem Tourismus –, die das Überleben möglich machen. Berglandwirtschaft ist keine Museumslandwirtschaft, sondern hochwertige Produktion. Es ist uns jetzt gelungen, für diese Produkte Qualitätssiegel zu etablieren. Es darf also nur mehr Berg draufstehen, wo Berg drinnen ist. Jetzt gibt es noch holländische Molkereien, die Bergkäse produzieren. Das ist in Zukunft nicht mehr möglich. Damit wollen wir unseren Regionen diese Alleinstellung garantieren. Der Bauer ist ja kein Museumsdirektor in der freien Natur. Er produziert Lebensmittel und die sind von unschätzbarem Wert für uns alle.