Aus der Gegenwart Gottes leben
Der Jesuiten-Provinzial über Glaube und Gerechtigkeit, den Blick auf's Wesentliche und Gottesbegegnung
Der Jesuiten-Provinzial über Glaube und Gerechtigkeit, den Blick auf's Wesentliche und Gottesbegegnung


Noch zu Lebzeiten des hl. Ignatius wurden die Jesuiten nach Wien gerufen, 1604 nach Kärnten. 1773 wurde der Orden durch Papst Clemens XIV. aufgehoben. Heuer feiern wir die Wiedererrichtung des Ordens vor 200 Jahren. Was bedeutet das für Sie?
Bürgler: Auch nach der Aufhebung hat der Orden in einigen Ländern „überlebt“. In Russland zum Beispiel. Dort haben die Jesuiten als Jesuiten auch nach 1773 weiter gelebt und gearbeitet. Die Wiedererrichtung, derer wir heuer gedenken, meint die Erlaubnis und die Aufforderung durch den Papst, wieder das ursprüngliche Charisma zu leben, hinauszugehen in die ganze Welt und das Evangelium zu verkünden, überallhin, wo die Not am größten ist, wo sonst niemand hingehen kann oder will.
Apropos Ursprungscharisma: 1975 akzentuierte der Orden seine Sendung auf „Glaube und Gerechtigkeit“. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Bürgler: Der Dienst am Glauben und der Einsatz für Gerechtigkeit sind zwei Dimensionen aller unserer Arbeiten. Dabei ist das „und“ wichtig. Unserem Glauben fehlt etwas, wenn wir uns nicht auch für Gerechtigkeit einsetzen, und unserem Einsatz für Gerechtigkeit fehlt etwas, wenn er nicht aus dem Glauben kommt. Glaube und Gerechtigkeit sind untrennbar miteinander verbunden, schon in der Bibel.
Möchten Sie das ein wenig erläutern?
Bürgler: Denken Sie an die Stelle Mt 25: Was ihr der geringsten Schwester und dem geringsten Bruder getan habt, das habt ihr mir getan, sagt Jesus. Die Beziehung zu Gott wird konkret in der Beziehung zu den Menschen. Und umgekehrt: Wie ich den Menschen begegne, zeigt etwas von meiner Gottesbeziehung. In der Jesuitenkirche in Wien steht seit einiger Zeit ein Möbel des Designers Curro Claret. Es ist eine Bank, deren Rückenlehne mit wenigen Handgriffen umgeklappt werden kann. Aus einer Bank zum Sitzen und Knien wird dann eine Liege. Ein Schlafplatz, ein Ort der Zuflucht und des Schutzes für Arme. Betbank und Bettbank gehören zusammen.
Einsatz für die Armen heißt einerseits, selber nicht ausschweifend zu leben, aber auch einen Beitrag zur Verringerung der Schere Reich-Arm zu leisten?
Bürgler: Armut ist natürlich kein Wert an sich. Einsatz für die Armen bedeutet, sich für bessere Lebensbedingungen für sie zu engagieren. Daher leben und arbeiten Jesuiten nicht nur mit Armen, sondern erforschen auch, was zu Armut führt. Es geht darum, um die Wurzeln von Armut zu wissen, um Maßnahmen setzen zu können, sie zu beseitigen. Ziel ist mitzuhelfen, dass möglichst viele Menschen auf der Welt die nötigen Rahmenbedingungen für ein gutes, gelingendes, glückliches Leben haben.
Welche Schritte erachten Sie in Österreich, in Europa für wichtig?
Bürgler: Wohnung, Arbeit, Bildung fallen mir spontan ein. Auch bei uns steht das nicht allen in ausreichendem Maße zur Verfügung. Manche haben davon mehr und andere weniger als notwendig ist. Besonders bewegt mich in diesen Monaten die Situation der Flüchtlinge in unserem Land. Kirche und Orden sind aufgerufen, auf der Seite der armen Menschen zu stehen, ihnen ihre Stimme zu leihen und sich für Veränderung und Verbesserung ihrer Situation einzusetzen.
Durch Ihren Orden sind Sie in fast alle Kontinente gekommen. Was können wir von den dortigen Kirchen für Europa lernen?
Bürgler: Mir gefällt sehr gut, was unser Generaloberer, P. Nicolás, einmal gesagt hat. Er bezog sich auf die Aussage Jesu „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Das europäische Christentum hat in den letzten Jahrhunderten einen großen Wert auf „Wahrheit“ gelegt. Die asiatische Kirche hat dagegen durch den Kontakt mit anderen Religionen, besonders Buddhismus und Hinduismus, gelernt, den „Weg“ zu Gott stärker zu betonen. Und wer einmal in Afrika war, der hat die Lebendigkeit gespürt, die dieser Kontinent ausstrahlt und in die Kirche einbringt. Jesus ist nicht nur Wahrheit: Er ist Weg, Wahrheit und Leben.
Was haben uns die Orden, insbesondere die Jesuiten, in diesem Jahr der Orden zu sagen?
Bürgler: Das Motto des Ordensjahres lautet: „viel.mehr.wesentlich.weniger“. Viel oder sogar alles zu haben, bedeutet nicht unbedingt mehr Lebensqualität. Weniger ist oft mehr. Ordensleute leben für Gott und die Menschen. Hingabe und Engagement machen das Leben
reicher.
Wie haben Sie die Jesuiten kennengelernt?
Bürgler: Zunächst durch ein Buch über die Gesellschaft Jesu. Später habe ich Jesuiten kennengelernt – in Innsbruck. Der Kontakt mit ihnen hat mich dann zu ihnen gebracht.
Das war während des Studiums?
Bürgler: Nein, es war schon im Gymnasium. Ich bin nämlich zweimal in den Orden eingetreten. 1978, nach der Matura ging ich ins Noviziat. Dieses habe ich dann nach zwei Jahren, kurz vor den Gelübden, wieder verlassen. Bis zum Wiedereintritt vergingen elf Jahre: Ich habe Philosophie und Theologie studiert, Zivildienst gemacht, Religion unterrichtet, in einem Meditationszentrum mitgearbeitet. 1991 schloss ich mich dann wieder dem Orden an – und diesmal bin ich geblieben.
Ich habe mich schon immer für Spiritualität und Psychoanalyse interessiert. Im Orden hatte ich die Möglichkeit, mich in beiden Gebieten zu qualifizieren und beides auch zu praktizieren. Ich habe im Bereich der Begleitung von Menschen, von Exerzitien und Psychotherapie gearbeitet. Das war sehr interessant und hat mir sehr viel Freude gemacht.
Die Exerzitien: Wo sehen Sie Impulse darin für unsere Zeit?
Bürgler: Die Exerzitien sind ein Übungsweg, um mit Gott in Beziehung zu kommen und aus ihr heraus sein Leben zu ordnen. Wofür will ich leben, was ist wichtig und was nicht. Exerzitien sind Tage der Unterscheidung, der Entscheidung und wollen helfen, dann entschiedener zu leben.
Auf Weihnachten hin geschaut: Wie kann ich mich im Advent auf diese Begegnung mit Gott vorbereiten?
Bürgler: Zu Weihnachten feiern wir, dass Gott in die Welt gekommen ist, dass er in der Welt ist. Wir müssen uns immer wieder daran erinnern. Sich auf Weihnachten vorbereiten heißt, überhaupt damit zu rechnen, dass mir Gott in der Welt, im Menschen, in mir und in den anderen, in den Dingen, Situationen, Umständen begegnet. Und mich dafür zu öffnen.
„Gott in allen Dingen finden“ – ein Grundsatz der Jesuiten?
Bürgler: Genau. Es war die Erfahrung des Ignatius. Und er war überzeugt, dass das allen möglich ist. Gott ist nicht nur in der Kirche und in Zeiten des Gebetes zu finden, sondern überall und immer. Wir müssen es Gott überlassen, wo und wann er sich uns zeigen will. Unsere Aufgabe ist es, uns für die Begegnung mit ihm zu
öffnen.
Ihr Herzenswunsch für unsere Leserinnen und Leser?
Bürgler: Dass sie Gottes Gegenwart in sich, in den anderen, in allem mehr und mehr spüren. Er ist da, aber wir nehmen ihn nicht immer wahr.
Interview: Georg Haab
Zur Person:
P. Bernhard Bürgler SJ, geb. 1960 in Lienz/Osttirol, unterrichtete nach dem Zivildienst und dem Studium der Selbstständigen Religionspädagogik in Rankweil. 1991 Eintritt in den Jesuitenorden, promovierte zum Doktor der Theologie und absolvierte die Ausbildung zum Psychoanalytiker. 1997 wurde er zum Priester geweiht. Es folgten Tätigkeiten als Spiritual, als Exerzitienbegleiter und Geistlicher Begleiter sowie als Psychotherapeut in freier Praxis. Auslandsaufenthalte in Asien und Australien. 2014 wurde Bürgler zum Provinzial der österreichischen Jesuitenprovinz ernannt.
Tipp:
Chronik des Jesuitenkollegs Klagenfurt, Buchpräsentation des 1. Teiles der Chronik der Klagenfurter Jesuitenniederlassung (1603/04-1773) mit den Herausgebern Werner Drobesch und Peter G. Tropper. Die Chronik ist ein wichtiges Quellenstück zur Kultur-, Alltags-, Geistes-, Mentalitäts- und Bildungsgeschichte Kärntens im 17. und 18. Jahrhundert:
Dompfarrsaal (Lidmanskygasse 10/1), 9020 Klagenfurt, 11. Dezember 2014, 19:00 Uhr.