Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Armut ist kein Randphänomen

Christian Eile, Menschen in Not-Bereichsleiter der Caritas, im SONNTAG-Gespräch über Wohnungslosigkeit, Armut im Alter und die Zuwendung zu den Menschen. von Simon Trießnig

Caritas-Experte Christian Eile (@ Daniel Gollner)
Caritas-Experte Christian Eile (@ Daniel Gollner)

Am 17. November ist Elisabeth-Sonntag. In allen Kirchen Kärntens sammelt die Caritas für Kärntnerinnen und Kärntner in Not. Bereits im Vorfeld hat die Caritas in der Inlandskampagne auf die - oft versteckte - Not rund um uns hingewiesen. Im Interview berichtet einer, der es genau wissen muss, über die Situation der Ärmsten in Kärnten: Christian Eile, zuständig für den Caritas-Bereich "Menschen in Not":

Mitten unter uns sind 86.000 Kärntnerinnen und Kärntner armutsgefährdet – das in einem der nach wie vor reichsten Länder der Welt. Wer oder was steht hinter dieser Zahl und was bedeutet sie für unser Land?
Eile: Armut hat viele Gesichter, heißt es. Tatsächlich betreffen Armut und Ausgrenzungsgefährdung eine große Bevölkerungsgruppe, in Kärnten immerhin jeden siebten Menschen. Damit ist Armut eine Massenerscheinung und keineswegs ein Randphänomen! Sie betrifft zunächst Erwerbslose und Working Poor, also Menschen, die trotz Arbeit zu wenig verdienen, um damit den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Menschen, die nur auf sich gestellt sind, trifft ebenfalls ein höheres Risiko: Das sind vor allem Alleinverdienende und Alleinerziehende. Menschen in strukturschwachen, ländlichen Regionen sind eher gefährdet, ebenso Menschen mit Migrationshintergrund. Armut im Alter ist auch ein drängendes Thema und tendenziell ein weibliches Phänomen. Armut ist generell eher weiblich, was einerseits mit den Erwerbsstrukturen und der weiblichen Erwerbsquote zu tun hat. Andererseits treffen Frauen die beitragsreduzierten Zeiten der Kindererziehung und die weiblich dominierten unbezahlten Care-Arbeiten. Besonders bedrückend ist Kinderarmut, weil Armut weiterhin stark vererbt wird und unser System eher undurchlässig für sozialen Aufstieg ist. Besonders Kinderarmut berührt mich zutiefst und macht mich auch wütend, weil hier das Versagen der Gesellschaft in Form von mangelndem Willen zur Armutsbekämpfung evident wird. Die volkswirtschaftlichen Kosten von Armut sind außerdem verheerend, denken wir etwa an Gesundheitskosten, Kosten für ineffektive Bildungsmaßnahmen oder Kosten zur Absicherung der Risiken bei Arbeitslosigkeit.

„Wenn wir Not sehen, handeln wir“, so das Motto der Caritas. Dies wird auch in der Wohnungslosentagesstätte Eggerheim sichtbar. Welche Unterstützung wird den Menschen hier zuteil?
Eile: Sie treffen auf ein verständnisvolles Gegenüber, das akzeptiert und wertschätzt, aber auch den fachlichen Anspruch hat, den Menschen zu fordern und zu entwickeln. Neben der sozialarbeiterischen Beratung und Begleitung gibt es das Angebot der Mittelverwaltung, weil so mancher mit den eigenen Finanzen nicht umzugehen weiß. Wohnungen würden verloren gehen, wenn die Mieten und Betriebskosten nicht durch unsere Mitarbeiter überwiesen werden würden. Das Angebot der Meldeadresse ist ebenso wichtig, weil ohne Meldung kein legaler Aufenthalt und keinerlei Rechtsanspruch auf Geldleistungen gegeben ist. Und in jeder Hinsicht ist das Eggerheim ein geschützter Rückzugsort, wo sich Menschen ausruhen können, zu essen und zu trinken bekommen, aber auch duschen und die Wäsche waschen können.

Begegnung auf Augenhöhe und menschliche Wärme: das Konzept in der Obdachlosen-Notschlafstelle Eggerheim (@ Daniel Gollner)
Begegnung auf Augenhöhe und menschliche Wärme: das Konzept in der Obdachlosen-Notschlafstelle Eggerheim (@ Daniel Gollner)

Die Caritas hat mit dem Haus Notburga in Klagenfurt die Möglichkeit, Menschen leistbares Wohnen zu ermöglichen. Wie sieht es mit dem Bedarf aus?
Eile: Prinzipiell fehlt es im urbanen Raum an kleinen und leistbaren Wohneinheiten. Hier sind sicherlich die Vorgaben zur Mischbauweise und zu Mindestgrößen von Wohneinheiten ein Hemmnis. Offensichtlich wurde der demographischen Entwicklung sowie der Tendenz zum Leben als Single zu wenig Rechnung getragen. Leistbares Wohnen war gerade eben auch Thema der zehnten Kärntner Sozialen Dialog-Konferenz des Kärntner Netzwerkes gegen Armut und soziale Ausgrenzung.

Das Kältetelefon der Caritas ist zum Helfer in der Not geworden. Im vergangenen Winter gab es mit 120 Anrufen eine deutliche Steigerung. Wie wird konkret geholfen?
Eile: Durch Beratung am Telefon und durch Vermittlung in eine Notschlafstelle. Mittlerweile können wir auf ein starkes Netzwerk von Städten, Gemeinden, Pfarren und dem Österreichischen Roten Kreuz vertrauen.

Wie macht sich die wachsende Armut in den Sozialberatungsstellen der Caritas bemerkbar?
Eile: Die Beratungen werden intensiver, weil die Problemlagen der Menschen an Komplexität zunehmen. Hauptanliegen der Menschen sind die Absicherung der Wohnsituation, Unterstützung zum Lebensunterhalt und die Bestreitung von Kosten für Bildungsmaßnahmen für sich selbst und die Kinder.

Mit ihrer Inlandskampagne macht die Caritas auf die Armut in Kärnten aufmerksam (@ Gließ/Caritas
Mit ihrer Inlandskampagne macht die Caritas auf die Armut in Kärnten aufmerksam (@ Gließ/Caritas

Alt, arm und einsam! Immer mehr Menschen sind auch in Kärnten davon betroffen. Welche Unterstützung braucht es, um einsamen Menschen zur Seite zu stehen?
Eile: Kurz formuliert: den Menschen, der hinsieht, sich zuwendet und zuhört. Frei nach den Werken der Barmherzigkeit: Ich besuche dich und gehe ein Stück mit dir.

Viele soziale Angebote können nur mit Hilfe von Freiwilligen aufrechterhalten werden. In welchen Bereichen gibt es besonderen Bedarf und wo kann man sich melden?
Eile: Freiwillige sind eine unverzichtbare Säule der Caritas-Arbeit. Sie sind mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und ihrem Engagement jene, die Solidarität mit den Ärmsten in der Gesellschaft leben. In der Wohnungslosenhilfe und in den Lerncafés werden derzeit Freiwillige gesucht.