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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Advent: Gottes Weg ist Gerechtigkeit

Der Innsbrucker Bibelwissenschaftler zu den „Jahren der Bibel“ und wie Jeremia und die adventlichen Lesungen uns helfen, in Herausforderungen den rechten Weg zu finden

Foto: Haab
Foto: Haab


Fischer: „Jahre“ ist zu wenig. Man soll immer mit der Bibel leben. Die geplanten drei Jahre können aber ein Impuls sein, sie ernster zu nehmen. Der Anlass dazu ist die neue Einheitsübersetzung, die neben bleibenden Schwächen auch gute Seiten hat: Man hat Fehler herausgenommen, die in der früheren Übersetzung waren; die Psalmen sind jetzt näher am hebräischen Original.

Das Motto der „Jahre der Bibel“ lautet: hören, lesen, leben. Was würden Sie ans Herz legen, um die Bibel ins Leben zu bringen?
Fischer: Erstens: jeden Tag persönlich darin lesen. Zumindest eine Kleinigkeit, einen Vers oder einen Abschnitt. Dann darüber nachdenken und damit beten. Zweitens: mit Gruppen lesen, also Bibelgruppen bilden am Ort oder mit Freunden und Bekannten und regelmäßig lesen.
Das geht auch ohne die fachliche Hilfe eines Theologen?
Fischer: Am Anfang mag es gut sein, dass man einen Impuls durch jemanden bekommt, der Erfahrung hat. Aber Bibelgruppen können auch z. B. nach den Methoden Lumko oder Bludesch vorgehen, die keine fachliche Begleitung brauchen und mit denen man selber fruchtbar lesen kann. Wenn man das öfter macht, gibt das eine Führung und einen Geist, der in eine gute Richtung bewegt. Die Methode Lumko ist auch als „Bibel teilen“ bekannt und geht in sieben Schritten vor. Die Methode Bludesch arbeitet mit fünf Fragen. Beide Weisen des Lesens sind im Internet zugänglich, z.B. über das Bibelwerk Linz.

Beim Studientag in Tainach war Jeremia das Thema. Am Beispiel dieses Propheten: Was bedeutet es, auf den Geist, den Ruf Gottes zu hören und ihm zu folgen?
Fischer: Wie Gott ruft, ist sehr unterschiedlich. Bei Jeremia heißt es: „Das Wort Jahwes erging an mich“ – er spürt oder hört also etwas. Bei Mose ist es der brennende Dornbusch, bei Jesaja ist es die Vision Gottes im Tempel ...

Also immer etwas, das die Person anspricht, in ihr Leben tritt, etwas sehr Konkretes?
Fischer: Wenn Gott ins Leben tritt, ist das immer lebendig und herausfordernd. Bei Jeremia, Mose und Jesaja entwickelt sich daraus ein Gespräch. Aber man muss auch ergänzen: Diese Berufungserzählungen sind nicht Beschreibungen eines Beobachters, sondern verdichtete Reflexionen. Da ist die Erfahrung von vielen Menschen hineingepackt, verbunden mit ganz tiefer Symbolik. Wir begegnen in der Bibel vielen verschiedenen Weisen, wie Gott ruft. Bei Jeremia sind die Folgen extrem: Wie er unter dem Ruf leidet und was er aushalten muss, haben wir sonst nirgends. Auf der anderen Seite bekennt Jeremia die große Freude, die er mit Gott hat, und dass Gottes Name über ihm ausgerufen ist. Auch in dem, wie er sich an Gott wendet, spürt man eine ganz intensive Nähe: Das ist Erfüllung. Ist das nicht das Schönste: zu entdecken, dass Gott zwar he-rausfordernd ist, aber auch über Grenzen führt, also in ein Leben hinein, das man selbst nie machen oder planen könnte? Das beschenkt viel mehr, als es fordert.

Eine Freude der Berufung, trotz aller Widernisse?
Fischer: Die Freude liegt in der Vertrautheit mit Gott, die auch Frieden gibt. Sie lässt die Dinge in ihrem wahren Wert sehen. Lässt nicht in Illusionen verweilen bezüglich dessen, was in der Welt passiert. Lässt in allem, was geschieht, die tiefere Dimension wahrnehmen.

Wir dürfen uns darin geborgen wissen, dass Gott Gefallen an uns hat.

Was macht für Sie die Aktualität des Propheten Jeremia aus?
Fischer: Am 14. 11. ist ein Mitbruder, P. Victor-Luke Odhiambo, im Südsudan erschossen worden. Bei einem Überfall, man weiß nicht, warum. Aber es war ihm völlig klar, dass der Südsudan eine gefährliche Gegend ist, wo niemand seines Lebens sicher ist. Das zeigt, dass es gefährlich ist, für Gott einzutreten. Und Jeremia ist ein Musterbeispiel dafür: Es gibt keinen anderen Propheten, der so gefährdet war und einen solchen Leidensweg gegangen ist. Das Zweite, was Jeremia aufweist, ist ein inneres Ringen mit Gott. Er spricht ganz ehrlich an, wo er Schwierigkeiten hat, wo etwas für ihn unverständlich ist. Der dritte Punkt ist, dass Jeremia in diesem Ringen selbst gereift ist und eine neue Sprache des Gebetes gefunden hat, die sogar Einfluss ausgeübt hat auf die Psalmen. Man sieht: Wenn man sich einlässt auf Gott, ändert sich vieles, das Leben wird tief und reich. Man wird fähig, nicht mit der Masse zu gehen, sondern sensibel, aufmerksam, kritisch zu sein.

Im Buch Jeremia begegnen wir einem Gott, der Emotionen zeigt. Wie können wir das verstehen?
Fischer: Jeremia ist das einzige Buch, das z. B. von Gottes Weinen spricht. Das hat eine Fortsetzung im Weinen Jesu über Jerusalem. Was drückt sich darin aus? Das Weinen ist in Verbindung damit zu sehen, dass er vielfach versucht hat, die Menschen zu einem guten Weg zu bewegen, und dabei gescheitert ist. Es bleibt kein anderer Weg übrig, als dass die Folgen auf sein Volk kommen. Das Weinen ist also Ausdruck des Mitgefühls, auch der Verbundenheit mit diesem Volk, und gleichzeitig Ausdruck der Hilflosigkeit, es nicht bewegen zu können. Das sind ganz einmalige, tiefe Erkenntnisse im Jeremia-Buch in Bezug auf Gott.

Der mitfühlende und mitleidende Gott – das ist der, der in Jesus Mensch geworden ist?
Fischer: Das ist ein Gott, der sich klein macht und in die Welt kommt, der mit ihr zu tun haben will, das zeigt schon das Jeremia-Buch mit seinem Ringen. In Kapitel zwei konfrontiert er sein Volk damit und zeigt, dass er trotz dessen Ablehnung ihm nahe sein will und einen neuen Weg sucht, es zu erreichen. Nicht den Weg der Macht, sondern den der Liebe.

Welche konkrete Anregung möchten Sie auf Advent und Weihnachten hin geben?
Fischer: Am ersten Adventsonntag ist eine Jeremia-Lesung, die sehr stark den Aspekt der Gerechtigkeit betont: „Jahwe, unsere Gerechtigkeit“ ist der neue Name des Königs, den man erwartet. Das ist ein Schlüssel, denn ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden und auch kein gutes Zusammenleben. Die Adventlesungen bringen sehr viel aus Jesaja. Es beginnt mit Jesaja 2, der Völkerwallfahrt; da kommt in den Blick, dass alle Menschen Gott anerkennen und zu ihm ziehen. Das ist auch die Basis für den Frieden, das Umschmieden der Waffen in landwirtschaftliche Geräte, „die Lanzen zu Winzermessern, die Schwerter zu Pflugscharen“. Das hängt damit zusammen, dass Gott Recht spricht für alle. Die schönen Jesaja-Texte ziehen dann weiter – es ist immer ein Traum, sie zu hören. Am dritten Adventsonntag ist die Lesung aus Zefanja 3: Da wird in Vers 17 in solcher Intensität von Gottes Freude gesprochen wie nirgends sonst. Viermal fällt ein Ausdruck für Gottes Freude an den Menschen, das gibt es in keinem anderen Vers der Bibel. Wir dürfen uns darin geborgen wissen, dass Gott an uns Gefallen hat.

Interview: Georg Haab

Zur Person: Univ.-Prof. Georg Fischer SJ , geb. 1954 in Vorarlberg, trat 1972 in den Jesuitenorden ein. Studium in München, Innsbruck und am Päpstlichen Bibelinstitut. Seit 1995 ist er Professor für Bibelwissenschaft des Altes Testamentes an der Universität Innsbruck.
16. und 17. November gestaltete er den biblischen Studientag in Tainach zum Propheten Jeremia.