Organisation

Institut für kirchliche Ämter und Dienste

leiden - Die Passion Jesu heute 5/1

Eine fünfteilige Serie von Michael Kapeller

© Foto: Martin Jäger / PIXELIO - <a  data-cke-saved-href=“http://www.pixelio.de“ href=“http://www.pixelio.de“ target=“_blank“>www.pixelio.de</a>
© Foto: Martin Jäger / PIXELIO - www.pixelio.de

Gestützt von zwei Sanitätern klettert ein alter Mann über Trümmer. Im Hintergrund ragt ein zerbombter Wohnblock in einen Himmel, den Rauchschwaden verdunkeln. Auf der Stirn des Mannes klafft eine Platzwunde, Blut fließt über seine Wangen. Angst, Auflehnung und Ohnmacht sind ihm ins Gesicht geschrieben. Charkiw im Krieg. In diesen Tagen finden wir uns in einer heillosen, verwundeten Welt wieder. Was bislang unwirklich ferne war, ist uns unerhört nahe gerückt: Krieg, Gewalt, Flucht, Verlust der Existenzgrundlage. In der Nacht des 24. Februar 2022 wandelte sich für Europa eine vermeintlich sichere und friedliche „Welt“ zu einem Ort militärischer Gewalt und atomarer Gefahr.

Die Leiden Jesu

In Kirchen verbergen verhüllte Kreuze, was es in diesen Tagen auf Ostern hin zu betrachten gilt: das Leiden und Sterben Jesu. Leidenswege werden zu Kreuzwegen. Denn in Jesu Leiden kommt Gott dem Menschen ganz nahe. Nichts Menschliches ist ihm mehr fremd. Die Verleumdung, der Verrat, die Schläge, die Verhöhnung, der Schmerz werden Teil seines göttlichen Wesens.

Der entstellte Mensch

Immer wenn Gewalt im Spiel ist, kommt das Humane unter die Räder. So war es auch bei Jesus. Eindringlich stellt uns dies der Evangelist Johannes vor Augen. Nach dem nächtlichen Verhör wird Jesus der staatlichen Macht übergeben. So steht er vor Pilatus. Der römische Statthalter aber gibt sich als interessierter Unbeteiligter. Er beginnt ein Gespräch mit Jesus über Macht, Herrschaft und Wahrheit. Pilatus und Jesus trennen jedoch Welten. So kommt es wie es wohl kommen muss. Die Menge fordert den Tod Jesu. Und Pilatus? Der kühl berechnende Machtpolitiker lässt Jesus geißeln. Die Soldaten verspotten ihn und erniedrigen ihn zum „Leidenskönig“. Doch damit nicht genug. Auf die Erniedrigung folgt die Zur-Schau-Stellung. Pilatus wendet sich ans Volk und präsentiert ihm seinen König mit den Worten:

„Seht, der Mensch.“ (Joh 19,5)

Das Urteil ist besiegelt und der Weg nach Golgota unvermeidlich. Dieses Wort des Pilatus aber hallt durch die Geschichte bis in unsere Zeit.

Gott begegnen

Seht den Menschen in seinen Gebrechen, Schmerzen und Wunden. Seht ihn! Nehmt ihn wahr, nicht unbeteiligt, sondern voll Anteilnahme. Seht den Menschen und zwar nicht mit einer gönnerhaften Haltung des Helfens, sondern im Bewusstsein – diese Verletzlichkeit ist Teil menschlicher Existenz, auch der eigenen. Seht den Menschen, doch nehmt dies nicht hin. Lehnt euch auf gegen das Unrecht, das Menschen anderen Menschen zufügen. Ringt und hadert selbst mit Gott. Seht den Menschen, den Einzelnen in seinem Leid, in seiner Not: den alten Mann in Charkiw und mit ihm alle Einzelschicksale von Menschen im Krieg und auf der Flucht. Seht, der Mensch! Damit wir erkennen: In jeder und jedem Einzelnen begegnet uns das Antlitz des leidenden Herrn.

>> ZURÜCK zur Serie "Die Passion Jesu heute"