Pfarre

Villach-St. Jakob

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn.

Rilke-Lesung zum 150. Geburtstag von Rainer Maria Rilke

Rilke-Lesung zum 150 Geburtstag (RP)
Rilke-Lesung zum 150 Geburtstag (RP)

.... ich geh doch immer auf Dich zu, mit meinem ganzen Gehen, doch wer bin ich und wer bist Du, wenn wir uns nicht verstehen.

Es war genau vor 150 Jahren, am 4. Dezember des Jahres 1875 wurde Rainer Maria Rilke in Prag geboren. Zu diesem Anlass lud Mag. Gerald Eschenauer zu einer Lesung in die Stadthauptpfarrkirche St. Jakob und es kamen viele literaturliebende Menschen aus nah und fern.

Nach der Begrüßung und kurzen Einführung durch Stadthauptpfarrer Dr. Pirker erklangen wertvolle Zugänge dieses Sprachgenies zum Verhältnis von Mensch und Natur, von Welt und Kosmos und einer Beziehungsfrage, die auf so verschiedenen Ebenen ihr Bezogensein im letzten auch zu Gott zum Ausdruck bringen.

"Was kümmert es den Fluss, für eine Weile Maschinen von Menschen anzutreiben, wenn Jahrmillionen sein Wesen schon bestimmt?" Wie einleitend erklärt, wurde Rainer Maria Rilke streng katholisch erzogen, noch dazu bis zum sechsten Lebensjahr als Mädchen, war er doch der Ersatz für ein ersehntes Mädchen. Mutter Pia Rilke schrieb 1922 an ihren Sohn: "Um Mitternacht - die gleichen Stunde, wo unser Heiland geboren wurde - wurdest du sofort ein Marienkind!, der gnadenreichen Madonna geweiht." Vielleicht wollte er sich deshalb von einer dogmatischen Lehrkirche verabschieden und ersehnte mit seinem Gottesglauben ein Reich der Liebe, wie er in einem seiner Bekenntnis-Briefe schrieb. Auszüge aus den Duineser Elegien, wie dem Stundenbuch konnten viele Zuhörende mit Resonanz aufnehmen. Darunter waren einige der bekannten Gedichte: Ein Auszug soll allen Literaturliebenden noch nachgereicht sein.

Bildunterschrift (Bildrechte sind zwingend anzugeben!)
BH St. Jakob

Ich lebe mein Leben

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

(Aus dem Stundenbuch)

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Im Jardin des Plantes, Paris 1902

Liebe

Und wie mag die Liebe dir kommen sein?
Kam sie wie ein Sonnen, ein Blütenschnein,
kam sie wie ein Beten? – Erzähle:

Ein Glück löste leuchtend aus Himmeln sich los
und hing mit gefalteten Schwingen groß
an meiner blühenden Seele...

Das war der Tag der weißen Chrysanthemen, –
mir bangte fast vor seiner schweren Pracht...
Und dann, dann kamst du mir die Seele nehmen
tief in der Nacht.

Mir war so bang, und du kamst lieb und leise, –
ich hatte grad im Traum an dich gedacht.
Du kamst, und leis wie eine Märchenweise
erklang die Nacht...


Aus: Traumgekrönt (1897)

Liebes-Lied

Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.

Aus: Neue Gedichte (1907)

Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
Als welkten in den Himmeln ferne Gärten,
Sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
Aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.

Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
Die Flockenherde wie ein Hirt,
Und manche Tanne ahnt, wie balde
Sie fromm und lichterheilig wird,
Und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
Streckt sie die Zweige hin - bereit,
Und wehrt dem Wind und wächst entgegen
Der einen Nacht der Herrlichkeit.

Ein wunderschöner Abend, instrumental begleitet und gestaltet von Lorenz Pichler (Querflöte) und Vukasin Miskovic (Gitarre), die alle ihre Lieder aus der Lebenszeit Rainer Maria Rilkes zum Bersten gaben.

Der Verein Buch13 sollte Bücher von Gerald Eschenauer anbieten, sowie die Bücherei Breschan aus Feldkirchen eine große Zahl an literarischen Werken zu Rilke und zur Weihnachtszeit.

So laß uns Abschied nehmen wie zwei Sterne
durch jenes Übermaß von Nacht getrennt,
das eine Nähe ist, die sich an Ferne
erprobt und an dem Fernsten sich erkennt.

Zum Ausklang dieses einzigartigen Abends, mit Hölderlin gesagt: "Aber Bleibendes stiften die Dichter."