Pfarre

Klagenfurt-St. Peter

Gedanken für den Tag - Karfreitag

Wir verkündigen den Gekreuzigten

Die Kraft aus unserem christlichen Glauben gewinnt derjenige, der zu den Tiefen des Lebens vordringt und das Leben aus dem Auferstehungsgeheimnis begreifen lernt. Es bedeutet, den Krisen des Lebens nicht auszuweichen, das Kreuz auf sich zu nehmen. Christlicher Glaube lebt von der Überzeugung, dass ein jeder, eine jede, in der Spur der Nachfolge dessen geht, welcher der Finsternis von Gethsemane, dem Karfreitag und dem „Abstieg in die Hölle“ des Karsamstags nicht ausgewichen ist, erklärt T. Halík, Prager Studentenpfarrer und Soziologe.

Wer das Thema „Kreuz“ in den Mund nimmt, erfährt gewöhnlich mitleidiges Lächeln, wer will denn in einer Welt der Feste und Unterhaltungen an den Ernst des Lebens und damit an das Sterben erinnert werden? Hinter der Forderung, dass die Kreuze aus den öffentlichen Orten verschwinden sollen, verbirgt sich vielleicht viel stärker dieser Grundgedanke als das religiöse Irritieren Andersgläubiger. Das Kreuz erinnert uns, was uns allen blüht: Dass unser Leben ein Ende und damit eine Verantwortung kennt, die einem Blick standhalten wird, an dem wir gemessen werden können, dem Blick unbedingter Liebe. Der Apostel Paulus will niemand anderen verkündigen als den Gekreuzigten (1 Kor 1,23) und erfuhr mit solchen Aussagen in der damaligen Welt mehr Hohn und Gelächter als Applaus (vgl. Apg 17). Dennoch hält er an seinem Paradox fest: „Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ (2 Kor 12,10).

Der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald (1512-1516)
Der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald (1512-1516)

Das eindrücklichste und wohl erregendste Bild des Gekreuzigten ist der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, einem Zeitgenossen Albrecht Dürers, das 1512 begonnen und 1516 vollendet wurde. Es stand ursprünglich in einem Antoniterkloster, in einem gotischen Altar eingerahmt, wo Kranke und vor allem von Seuchen und Pest schwerstens Erkrankte gepflegt wurden. Später kam es ins nahegelegene Colmar und ist heute in dem Museum Unter den Linden ausgestellt. Das Kreuz nimmt die zentralen Achsen des Bildes ein, es ist nicht fein gearbeitet, sondern schnell aus Holzbalken adaptiert. Der Gekreuzigte ist von Wunden und Martern übersät, ein völlig ausgemergelter Körper, dessen letzter Gestus seine nach oben offenen Hände sind, die wie nach Gott schreien. Dieser Gemarterte ist als einer von diesen Kranken dargestellt, er hat sich mit ihnen allen solidarisiert. Was der Prophet einst voraussagte, ist hier Wirklichkeit geworden: Unsere Beulen liegen auf ihm. Es sollte ein Bild des Trostes sein, vor dem Mönche und Kranke beteten. Sie sollten darin Trost finden, dass auch Christus vor ihnen und mit ihnen gelitten hat. In diesem Moment sollten sie fühlen, dass in ihrem Kreuzesleiden auch Christus gegenwärtig ist, ihre Not ist verbunden mit Christus und damit auch mit seinem göttlichen Erbarmen. Der in ein rotes Tuch gehüllte Johannes weist mit einem überlangen Finger auf den Gekreuzigten und lässt in lateinischen Worten sagen: „Jener muss wachsen, ich aber kleiner werden.“ Die Frauen (Maria, Maria von Magdala und Johannes) sind wie Angehörige dargestellt, die es nicht fassen können, nunmehr dem Toten ausgesetzt zu sein.

Wir heutige Menschen sind demgegenüber eher irritiert als innerlich solidarisch. Paul Celan war gebannt von der „Macht der Ohnmacht“ und Elias Canetti stand „einen ganzen Tag“ lang vor diesem Bild. Er beschreibt es folgend: „In Colmar stand ich einen ganzen Tag lang vor dem Altar, ich wusste nicht, wann ich gekommen war, und ich wusste nicht, wann ich ging. Ich sah den Leib Christi ohne Wehleidigkeit, der entsetzliche Zustand dieses Leibes erschien mir wahr. Vor dieser Wahrheit wurde mir bewusst, was mich an Kreuzigungen verwirrt hatte: ihre Schönheit, ihre Verklärung. Wovon man sich in der Wirklichkeit mit Grausen abgewandt hätte, das war im Bild aufzufassen.“ Der heutige Mensch ist gegenüber solchen Kreuzesdarstellungen in gesetzter Distanz. Er will sich lieber vom Leid erlöst wissen, als Erlösung durch das Leid zu erfahren. Das 20. und 21. Jahrhundert haben uns vor Augen geführt, dass wir gegenüber diesem Gekreuzigten eher verblüffungsresistent als glaubensfest sind. Wir schauen auf das Kreuz und sollten uns erinnern, was vor 70 Jahren in den Konzentrationslagern aufgefunden wurde: Es waren die letzten Reste von Brillen, Schuhen, Kleidungsstücken, die letzten Zeugnisse von einem Terrarium, wo alle Quälereien geduldet wurden. Der Münsteraner Theologe J. B. Metz wurde nicht müde, die Kreuzesbotschaft zu betonen, dass „der Aufschrei des Gekreuzigten nicht verstummen darf“, damit wir nicht einem billigen Sieger-Mythos nacheifern, der die Bürde des Alltags und die Welt mit ihren inneren Wüsten verdrängt. An uns liegt es, an diesem Tag die dunklen Orte unserer Welt (unsere Todesangst, Gottverlassenheit) im Blick auf das Kreuz Gott anzuvertrauen und im gelebten solidarischen Helfen jenen Brückendienst zu sehen, der auch heute den Glauben an den Gekreuzigten wachhält.