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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Ostern heißt, die Großtaten Gottes zu bedenken und zu bedanken

Philipp Harnoncourt im Gespräch mit Gerald Heschl über das Geheimnis von Ostern

Jesus haucht seinen Geist der Kirche ein. Der Karfreitag ist der Ursprung für das Pfingstfest. (© Foto: Eggenberger)
Jesus haucht seinen Geist der Kirche ein. Der Karfreitag ist der Ursprung für das Pfingstfest. (© Foto: Eggenberger)

In den sieben Lesungen der Osternacht erfahren wir die Geschichte der Erlösung beginnend bei der Schöpfung. Wie weisen diese Lesungen auf die Auferstehung hin?
Harnoncourt: Aus den Lesungen der Osternacht wird am deutlichsten, was Ostern überhaupt bedeutet. Die Christen meinen oft, das jüdische Ostern sei abgetan, und wir feiern die Auferstehung Christi. Aber unser christliches Osterfest fasst das Ostern der Juden, das Ostern Jesu und das Ostern der Kirche zusammen. Das halte ich für wichtig.

Wie hängen diese drei Ostern zusammen?
Harnoncourt: Um das Ostern Christi, das Geheimnis von seinem Tod und seiner Auferstehung, zu verstehen, muss man das Ostern der Juden kennen. Er hat ja Ostererwartungen erfüllt. Das Ostern Israels fängt nicht erst mit der Befreiung aus Ägypten an. Das Ostern Israels war zu allererst ein Schöpfungsgedächtnis. Denn Gott sprach: Es werde Licht und es ward Licht. Damit hat das Schöpfungswerk begonnen.
Licht bedeutet Leben. Der eigentliche Anlass zu feiern?
Harnoncourt: Zur Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche siegt das Licht über die Finsternis. Dies war für die Juden ja der Jahresbeginn. Feiern heißt für die Juden, und das gilt für uns auch, bedenken und bedanken. Zum Bedenken muss uns vorgelesen werden, welche großen Taten Gott vollbracht hat. Und weil diese großen Taten uns leben lassen, müssen sie gefeiert werden.

Wird nicht Jesus selbst in seiner Auferstehung zum Licht der Welt?
Harnoncourt: Durch die Auferstehung Jesu ist das „Es werde Licht“ der Schöpfung noch einmal bestätigt. In seiner Auferstehung hat Jesus noch einmal gezeigt, dass das Leben stärker ist als der Tod. Es ist der Tod des Menschen ein für alle Mal überwunden. Jesus war ja auch schon bei den Propheten unter dem Bild der Sonne angekündigt: Einmal wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen, eine Sonne, die nie wieder untergeht.

Die Ankündigung der Propheten bezieht sich auf sein Volk, Israel?
Harnoncourt: Israel steht für die Menschheit. Darin ist auch der einzelne Mensch aufgehoben. Dass der einzelne Mensch nicht übersehen werden darf, wird deutlich, weil Jesus in seinen Wunderzeichen drei Menschen auferweckt. Jesus zeigt: Ich habe die Macht auch über den Tod. Und es waren drei, damit man weiß: Es ist ganz bestimmt so. Wenn es zwei gewesen wären, hätte das als Zeugnis für die Welt genügt, weil es drei sind, ist es ein göttliches Zeugnis.
Sie sprachen von den Großtaten Gottes, die man in der Feier bedenkt und bedankt. Welche meinen Sie?
Harnoncourt: Zu den Großtaten Gottes, die bedacht und bedankt werden müssen, gehören: die Schöpfung zu allererst einmal, dann das Ende der großen Sintflut und der Bundesschluss mit Noah. Auch das ist wichtig: Der Bund mit Noah ist nicht der Bundesschluss mit einem Volk, sondern mit der ganzen Menschheit. Dann kommen hinzu: der Bundesschluss mit Abraham und die Befreiung Israels aus der Knechtschaft und Sklaverei des Pharao.

Auch das eigentlich ein Symbol für die Sklaverei der Menschheit?
Harnoncourt: Gott steht für Freiheit und der Pharao für Unterdrückung. Zu Ostern wird uns bewusst, dass es das Fest der Befreiung aus jeder Sklaverei ist, auch aus der Sklaverei von Sünde und Tod.

Eine Sklaverei, in der auch heute viele gefangen sind.
Harnoncourt: Diese Form der „Sklaverei der Sünde“ nenne ich das „Ich-Gefängnis“. Die Ursünde des Menschen war und ist: Ich will nicht abhängig sein von Gott, ich will selber sein wie Gott. Dadurch geraten die Menschen in ein Ich-Gefängnis: „Ich will, ich muss, ich kann, ich will haben ...“ Das zerstört die Verbindung mit dem Schöpfer, es zerstört aber auch die Verbindung der Menschen zueinander. Wenn die Menschen Gott vergessen, sind sie untereinander unerträglich. Da kann der idealste Humanismus nichts dagegen erreichen.
Wäre nicht gerade Ostern und die vorösterliche Zeit geeignet dazu, dieses „Ich-Gefängnis“ zu erkennen und daraus auszubrechen?
Harnoncourt: Im Umgang mit der Schuld sind die Menschen nach wie vor hilflos. Sie merken zwar, dass man Wiedergutmachungen versuchen kann. Aber eine eigentliche Versöhnung ist ein Geschenk. Man kann sagen, seit es Schuld gibt, ist die Befreiung von der Schuld auch Zustimmung zum Leben, die gefeiert werden muss. Eine Befreiung aus der Schuld kann der Mensch ja noch zu seinen eigenen Lebzeiten erfahren. Allerdings muss man sie annehmen – und das ist auch nicht immer ganz leicht.

Hier kommt doch wieder die Befreiung von der Schuld durch Christi Tod und Auferstehung hinein ...
Harnoncourt: Auch das ist eine Erneuerung der Schöpfung: Die Befreiung aus Schuld und die Befreiung vom Tod. Für die Kirche, für die Christen, ist ihr eigenes Ostern als Zusammenfassung des Osterns der Juden und des Osterns Jesu so wichtig, dass man sich gar nicht damit begnügt, das nur einmal im Jahr zu feiern. Jeder achte Tag, also jeder Sonntag, ist ein kleines Ostern, in dem das Leben gefeiert wird, das stärker ist als der Tod und die Versöhnung, weil sie stärker ist als die Schuld.

Betrachtet man die Liturgie der Karwoche: Wird diese Befreiung und Versöhnung nicht schon vorweggenommen?
Harnoncourt: Ja, wir erkennen, dass schon die Feiern zum Leiden und Sterben Jesu einen österlichen Aspekt enthalten. Am Gründonnerstag schaut man nicht nur auf das Abendmahl zurück, sondern sieht darin schon ein Unterpfand für das himmlische Hochzeitsmahl. Durch die Auferstehung Christi bekommen auch die Ereignisse unmittelbar vor seinem Tod einen österlichen Sinn.

Und der Karfreitag?
Harnoncourt: Am Karfreitag gedenkt man der Verurteilung Jesu zum Tod und seiner Kreuzigung. Aber auch in diesem Ereignis hat man schon vorausgesehen, dass die Kreuzigung eine Erhöhung aus dem Tod ins Leben ist. Der Kreuzesbaum ist durch Tod und Auferstehung zu einem Lebensbaum geworden und nicht mehr Galgen. Um das geht es auch, wenn wir vom Symbol des Kreuzes sprechen. Durch Jesus ist das Kreuz zum Zeichen der Hoffnung geworden, zum Lebensbaum, der Himmel und Erde verbindet und auch die Menschen untereinander.

Im Tod liegt die Hoffnung?
Harnoncourt: Sterbend hat Jesus den Tod besiegt! Er hat ja nicht nur geschrien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, sondern auch gesagt: „Vater, in deine Hände gebe ich meinen Geist“ und „Es ist vollbracht“. Für Jesus ist mit seinem Aushauchen des Geistes am Kreuz sein Eintritt in den Himmel, seine Rückkehr zum Vater und seine Geistsendung schon eingeschlossen. So wie Gott seinen Geist eingehaucht hat bei Adam und Eva, haucht Jesus seinen Geist aus, und seiner Kirche haucht er seinen Geist ein. Der Karfreitag ist der Ursprung für das Pfingstfest.