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Stift Gurk

Das Gurker Fastentuch - eine kunsthistorische Betrachtung

von Rosmarie Schiestl – Diözesankonservatorin und künstl.-wissenschaftliche Leiterin Schatzkammer Gurk

Das Gurker Fastentuch - eine kunsthistorische Betrachtung

von Rosmarie Schiestl – Diözesankonservatorin und künstl.-wissenschaftliche Leiterin Schatzkammer Gurk

Als das älteste in Österreich erhaltene velum quadragesimale zählt das Fastentuch aus dem Dom zu Gurk zu einem der größten bemalten Hungertücher Europas. Seit mehr als 560 Jahren verhüllt es während der vierzigtätigen Fastenzeit den Altarraum der ehemaligen Kathedral- und heutigen Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt und wird außerhalb der Bußzeit seit 2014 museal in der Schatzkammer Gurk in der ehemaligen Propsteikapelle aufbewahrt und gezeigt. Das aus zwei Leinentuchhälften bestehende, 8,87 x 8,87 m große und mit Temperafarben bemalte Artefakt wurde gemäß der am rechten unteren Bildrand vorhandenen Inschrift 1458 in der Werkstatt Meisters Konrad von Friesach im Auftrag von Dompropst Johann Hinterkircher für die Kirche vollendet. Insgesamt 108 biblische Szenen sind in 99 Bildfeldern dargestellt: auf der linken Tuchhälfte in zehn Reihen in 50 Bildfeldern 56 Szenen aus dem Alten Testament und auf der rechten Tuchhälfte in zehn Reihen in 49 Bildfeldern 52 Szenen aus dem Neuen Testament. Altes und Neues Testament stehen folglich den Betrachtenden in annähernd gleich großer Bilderanzahl typologisch gegenüber. In Tradition der mittelalterlichen Biblia pauperum (Armenbibel) und des Speculum humanae salvationis (Heilsspiegel) wird die Heilsgeschichte von der Erschaffung der Welt bis zum Jüngsten Gericht erzählt. Alttestamentarische Ereignisse und Propheten stehen Szenen aus dem Leben, Wirken und der Passion Jesu aus dem Neuen Testament gegenüber bzw. finden ihre Entsprechung. Derart repräsentiert beispielsweise der Traum Jesajas (6. Reihe 1. Bild) das ungeborene Kind im Leib Mariens, weshalb die Gottesmutter mit dem Kind auffällig groß in der Bildmitte dargestellt ist. Die Versuchungen und das öffentliche Wirken Jesu (Wundertaten) kommen entgegen dem damals gängigen Bilderkanon gleich in mehreren, aufeinander folgenden Bildfeldern zur Darstellung. Die Landschaftselemente, Architekturen sowie menschlichen Physiognomien sind der Stil- und Formensprache des Spätmittelalters verhaftet, symbolisch reduziert, stilisiert, linear und schematisch ausgeführt. Vergleiche hierzu lassen sich in der heimischen Buchmalerei aus der Zeit finden. Die jüngste, umfassende Restaurierung des Gurker Fastentuches erfolgte von 2018 bis 2020 in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes Österreich in Form einer vollständigen Kartierung und Konservierung beider Tuchhälften.

Zum sogenannten Feldertyp zählend erfolgt die Leserichtung des Gurker Fastentuchs je Tuchhälfte von links nach rechts von oben nach unten.

Linke Tuchhälfte – Altes Testament

1. Reihe: 1. Schöpfung der Welt, 2. Erschaffung Adams und Erschaffung Evas, 3. Erteilung des Prüfungsgebotes, 4. Vertreibung aus dem Paradies, 5. Folgen des Sündenfalls,

2. Reihe: 6. Opfer Kains und Abels und Brudermord, 7. Enoch wird entrückt, 8. Arche Noa und die Sintflut, 9. Trunkenheit Noahs, 10. Turmbau zu Babel,

3. Reihe: 11. Untergang Sodoms, 12. Opferung Isaaks und Opfer Melchisedecks, 13. Segen Isaaks, 14. Jakobsleiter, 15. Josef wird verkauft,

4. Reihe: 16. Jakob kommt nach Ägypten, 17. Auffindung Moses, 18. brennender Dornbusch, 19. Tötung der Erstgeburt, 20. Essen des Osterlamms und Auszug aus Ägypten,

5. Reihe: 21. Durchzug durch das Rote Meer, 22. Mannaregen und Gesetzesübergabe an Mose am Berg Sinai, 23. Aufrichtung der ehernen Schlage, 24. Orakel der zwölf Stäbe, 25. Hiob im Elend,

6. Reihe: 26. Traum Jesajas, 27. Josua erschlägt die Amoriter, 28. Gideon mit dem Fell, 29. Samson tötet die Philister, 30. Samuel salbst Saul zum König,

7. Reihe: 31. David und Goliath, 32. Tod des Absalom und Pest in Israel, 33. Salomonisches Urteil, 34. Tempelbau Salomons, 35. Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar,

8. Reihe: 36. Himmelfahrt des Elias, 37. Martyrium Jesajas, 38. Martyrium Jeremias, 39. Martyrium Ezechiels, 40. Daniel in der Löwengrube,

9. Reihe: 41. Meerwurf und Ausspeisung Jonas, 42. Judith tötet Holofernes, 43. Esther und Haman, 44. Wiederaufrichtung Jerusalems, 45. Alexander der Gr. huldigt dem Hohepriester,

10. Reihe: 46. Sieg des Judas Makkabäus, 47. Tod des Julius Cäsar, 48. Vision Kaisers Augustus und Sybille, 49. Mariä Geburt, 50. Mariä Opferung

Rechte Tuchhälfte – Neues Testament

1. Reihe: 1. Mariä Verkündigung, 2. Mariä Heimsuchung, 4. Geburt Jesu, 4. Beschneidung Jesu, 5. Anbetung des Kindes,

2. Reihe: 6. Darstellung Jesu im Tempel, 7. Flucht nach Ägypten, 8. Kindsmord in Bethlehem, 9. Zwölfjähriger Jesus im Tempel, 10. Taufe Jesu,

3. Reihe: 11. Jesus fastet in der Wüste, 12. Erste Versuchung Jesu, 13. Zweite und dritte Versuchung Jesu, 14. Hochzeit zu Kana, 15. Heilung der zehn Aussätzigen,

4. Reihe: 16. Heilung des Besessenen, 17. Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda, 18. Verklärung Christi, 19. Wundersame Brotvermehrung, 20. Wunderbarer Fischzug des Petrus,

5. Reihe: 21. Berufung des Zacharias, 22. Gastmahl im Hause Simons, 23. Jesus am Jakobsbrunnen und Heilung einer Besessenen, 24. Auferweckung des Lazarus, 25. Salbung Jesu in Bethanien,

6. Reihe: 26. Einzug Jesu in Jerusalem, 27. Tempelreinigung Jesu, 28. Letztes Abendmahl und Fußwaschung, 29. Jesus am Ölberg, 30. Gefangennahme Jesu,

7. Reihe: 31. Jesus vor dem Hohepriester und Verleugnung Petri, 32. Verspottung Jesu im Haus des Hohepriesters, 33. Jesus vor Pontius Pilatus, 34. Jesus vor König Herodes, 35. Jesus an der Geiselsäule,

8. Reihe: 36. Dornenkrönung, 37. Ecce Homo, 38. Verurteilung Jesu und Handwaschung des Pontius Pilatus, 39. Kreuztragung, 40. Kreuzannagelung,

9. Reihe: 41. Kreuzigung, 42. Kreuzabnahme, 43. Auferstehung, 44. Christus erscheint seiner Mutter, 45. Noli me tangere,

10. Reihe: 46. Ungläubiger Thomas, 47. Himmelfahrt Christi, 48. Pfingstwunder, 49. Weltgericht

Quellen: Reiner Otto, Dom zu Gurk. Fastentuch, Gurk 1984. Sörries Reiner, Die alpenländischen Fastentücher. Vergessene Zeugnisse volkstümlicher Frömmigkeit, Klagenfurt 1988

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