Organisation

Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Wie kann ich reden

Pfingstliche Gedanken über eine Sprache, die berührt

Alles ist durch das Wort geworden (Peter Weidemann, in: Pfarrbriefservice.de)
Alles ist durch das Wort geworden (Peter Weidemann, in: Pfarrbriefservice.de)

„Wie kann ich reden, wenn ich vergessen habe wie man weint“, fragt die evangelische Theologin Dorothee Sölle und setzt bohrend fort: „wie kann ich reden, wenn meine Tränen nur für mich sind“. Diese Fragen folgen auf Appelle, die sie vorher an Gott gerichtet hat. Er, Gott, soll sie aus dem Lügenhaus führen, ihre intelligente Burg schleifen und sie vom Verschweigen reinigen. Vielmehr soll er, Gott, sie an das Leid einzelner Menschen erinnern und ihr die Gabe der Tränen geben. Denn die Gabe der Tränen, so Dorothee Sölle, ist das Wasser des Lebens. Dieses Gedicht von Dorothee Sölle begleitet mich schon lange. In den letzten Monaten hat es für mich jedoch eine neue Bedeutung erhalten. Denn bei den Rückmeldungen zum Entwurf der Grundorientierung der synodalen Kirchenentwicklung, die ich gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe entgegennehmen und bearbeiten durfte, las ich immer wieder: biblische Texte sollen „verheutigt“ werden, die liturgische Sprache ist abgehoben und weltfremd und statt theologisch eingestanzter Sicherheitsbegriffe in der eigenen Blase soll eine moderne Sprache verwendet werden. Wie könnte diese neue Sprache aussehen und welchen Impuls erhalten wir dafür von Pfingsten her?


Das Pfingstwunder

Beginnen möchte ich mit der biblischen Botschaft von Pfingsten. In der Apostelgeschichte liefert Lukas ein messianisches Bild, das die Vision der babylonischen Einheitssprache umkehrt. Denn erweist sich in Gen 11,1-9 die eine Sprache als Ausdruck der inneren Verbundenheit aller Völker, so ist hier die Sprachenvielfalt das entscheidende. So hebt Christoph Theobald hervor, dass die Galiläer in anderen Sprachen reden und alle versammelten Völker sie in ihrer Muttersprache vernehmen.

Sprachliche Vielfalt wird (…) zum "Ort" einer auf gegenseitigem Verstehen aufbauenden multilateralen Begegnung. (Christoph Theobald)

Dieses neue Verstehen erfolgt nicht von einer Sekunde auf die nächste. Zunächst herrschen Unsicherheit, Unverständnis und Spott. Wie tritt Petrus dem entgegen? Er tut dies, indem er auf Vertrautes hinweist. Was sich an diesem Pfingsttag ereignet, so Petrus, hat bereits der Prophet Joël verheißen und das Geschick Jesu wurde bereits von König David in Psalm 16 besungen. Der Hinweis auf diese „alten“ Texte ermöglicht dem Petrus, die neue Botschaft zu verkünden: „Gott hat Jesus von den Wehen des Todes befreit und auferweckt“ (Apg 2,24). Die Wirkung dieses Vermittlungsversuchs ist beeindruckend: „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz.“ (Apg 2,27)

Schwieriges Terrain

Wie ist es heute um die Vermittlung dieser Botschaft bestellt? Welche Reaktionen würde Petrus auslösen, wenn er erfüllt vom Heiligen Geist mit heutigen Mitteln Jesus als den gekreuzigten Auferstandenen verkünden müsste? Wären es Spott, Ablehnung, Ignoranz oder Begeisterung? Wenn ich mich auf Social Media durch Facebook, Instagram und Twitter klicke, begegnen mir mitten unter Nachrichten, Sportmeldungen, Werbeeinschaltungen, Fotos und Videos von Bekannten, „Freund:innen“, Künstler:innen und Influencer:innen auch biblische Botschaften, Ankündigungen von liturgischen Feiern und Berichte von Wallfahrten, Ausflügen und pfarrlichen Festen. Lese ich die Kommentare, wird deutlich: wer nicht Teil dieser Gemeinschaft ist, bringt sich hier eher nicht ein. Die stärksten Reaktionen finden sich noch, wenn kirchliche Positionen in Spannung zu gesellschaftlichen Forderungen wie der Gleichstellung der Geschlechter, sexueller Selbstbestimmung oder einer strikten Trennung von Kirche und Staat stehen.

Gastfreundschaft leben

Mit Christoph Theobald, den ich bereits zum Kern des Pfingstwunders zu Wort kommen habe lassen, möchte ich der Frage nachgehen, welchen „Ort“ Christ:innen heute in Mittel- und Westeuropa einnehmen und wie sie die Botschaft Jesu vom nahe gekommenen Reich Gottes weitersagen können. Für Theobald ist dieser „Ort“ nicht etwas Fest-Umrissenes, sondern die Haltung der Gastfreundschaft. Wer Gastfreundschaft gewährt, lässt sich ganz auf den bzw. die Andere ein. Durch diese Haltung öffnet sich ein Raum der Verbundenheit zwischen Gast und Gastgeber:in und das Bewusstsein, als Einzelne:r Teil der Menschheitsfamilie zu sein. Diese Form der Gastfreundschaft gehört für Theobald zum Wesen christlicher Existenz. Dabei verweist er auf die Worte Jesu beim Letzten Abendmahl:

Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. (Lk 22,19)

Wenn Christ:innen sich von dieser Selbsthingabe Jesu berühren lassen, machen sie deutlich: uns geht es nicht zuerst um uns, sondern um die Menschen, die zu uns kommen. Wir schenken Zeit und Aufmerksamkeit, nicht um den anderen für Christus oder die Kirche zu gewinnen, sondern weil Gott uns ihn bzw. sie, als sein geliebtes Geschöpf, „geschickt“ hat. Diese vorbehaltlose Begegnung wird, so ist Theobald überzeugt, eine Ahnung davon aufleuchten lassen, dass menschliches Leben lebenswert ist und eine Zukunft hat, die sie sich nicht selbst geben kann.

Worte, die berühren

Was bedeutet dies nun aber für die eingangs gestellte Forderung nach einer „neuen“ Sprache? Je mehr ich mich mit dieser Frage beschäftige, desto mehr wird mir klar: besonders im Bereich des Religiösen und des Glaubens geht es um das Begreifen. Begreifen kann ich aber nur etwas, das ich berühren und mit dem ich in eine Beziehung eintreten kann. Wörter sind dabei „Medien“, die dies erleichtern oder erschweren. Entscheidend ist aber, dass die Vermittler:innen dieser Botschaft sich selbst davon berühren haben lassen und sie in der Haltung der Gastfreundschaft mit anderen teilen. Dann drücken die verwendeten Begriffe eine Erfahrung aus, die Begegnung ermöglicht. Dieses Vorhaben ist fordernd und auch riskant. Denn es ist möglich, dass unser Reden immer wieder einmal ins Stocken gerät, weil das Wort Gottes kein inneres Echo auslöst, sondern sich in uns Leere breit macht. Manchmal werden uns vielleicht überhaupt die Worte fehlen, weil sich die Begegnung mit dem ganz Anderen nicht ausdrücken lässt oder das Leid eines Kindes, einer Freundin stumm macht. In dieser Wortlosigkeit bleibt wohl nur, Gott darum zu bitten, uns die Gabe der Tränen zu schenken, die Gabe, uns seinem Geist anzuvertrauen und die Gabe, uns von seiner Nähe berühren zu lassen.