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Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Weil Gott sich verbirgt

Theologische Fragmente zum "Tag des Judentums"

Symbolbild zum “Tag des Judentums“ (J. Kapeller)
Symbolbild zum "Tag des Judentums" (J. Kapeller)

„Ein Christ kann kein Antisemit sein.“ Diese Überzeugung hat Papst Franziskus in den letzten Jahren immer wieder geäußert. In Zeiten einer deutlichen Zunahme von verbaler und physischer Gewalt gegenüber Jüdinnen und Juden und von Angriffen auf jüdische Einrichtungen ist dieser Hinweis besonders wichtig. Papst Franziskus ist sich bewusst, dass dies kein reines Lippenbekenntnis bleiben darf, sondern theologisch zu begründen ist und die Beziehungen zum Judentum gepflegt und vertieft werden müssen.

Tag des Judentums

Die Initiative zu diesem Gedenk- und Begegnungstag geht auf die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung 1997 in Graz zurück. Im Schlussdokument wird empfohlen nach dem Vorbild Italiens und Deutschlands in ganz Europa einen Tag festzulegen, der dem „Dialog mit dem Judentum und der Begegnung mit dem lebendigen jüdischen Glauben gewidmet ist.“ In Österreich wurde dieser Tag vom „Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich“ erstmals im Jahr 2000 durchgeführt. Dabei wurde der 17. Jänner gewählt, damit die Kirchen den Geist dieses Tages in der unmittelbar daran anschließenden „Gebetswoche für die Einheit der Christen“ (18. bis 25. Jänner) weiter tragen.

Die gemeinsamen Wurzeln

Bereits bei seiner ersten offiziellen Begegnung mit Vertreter/innen des „Internationalen jüdischen Komitees für interreligiöse Beziehungen“ am 24. Juni 2013 weist Papst Franziskus darauf hin, dass die bleibende Basis der Beziehungen zum jüdischen Volk die Erklärung des 2. Vatikanischen Konzils „Über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ („Nostra aetate“) bildet. In diesem Konzilsdokument wird betont, dass sich die Anfänge des Glaubens der Kirche bereits bei den Patriarchen, bei Mose und bei den Propheten finden (NA 4). Die Kirche fühlt sich den Worten des Apostels Paulus verpflichtet, der im Römerbrief auf die bleibende Erwählung Israels und die jüdische Herkunft Jesu hinweist (Röm 9, 4-5). Zudem ermahnt Paulus mit dem Bild des Ölbaums die junge Kirche das Verhältnis zu Israel in rechter Weise zu begreifen:

Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich. (Röm 11, 18).

Auf diesem Hintergrund ist es für Papst Franziskus unmöglich, dass Christ/innen antisemitisch sind, denn dadurch würden sie ihre eigenen Wurzeln abschneiden und den eigenen Lebensnerv treffen.

Gedenken an Unrecht

Und doch geschah genau dies! Über Jahrhunderte hinweg kam es zur Verfolgung von Juden und zu Progromen, die schließlich im Nationalsozialismus zur Shoa, der geplanten vollständigen Ausrottung des jüdischen Volkes, führte. Erst nach dem 2. Weltkrieg war es der Kirche möglich, die Mitschuld am Leid des jüdischen Volkes wahrzunehmen und einzugestehen. Maßgeblich war dabei Papst Johannes Paul II., der Juden als unsere älteren Brüder (heute würden wir ergänzen: und Schwestern) bezeichnete und bei den großen Vergebungsbitten im Jahr 2000 folgendes Schuldbekenntnis im Verhältnis zu Israel veranlasste: „Lass die Christen der Leiden gedenken, die dem Volk Israel in der Geschichte auferlegt wurden. Lass sie ihre Sünden anerkennen, die nicht wenige von ihnen gegen das Volk des Bundes und der Seligpreisungen begangen haben, und so ihr Herz reinigen.“ Diese Haltung verkörpert auch Papst Franziskus, wenn er einmahnt, dass wir nie vergessen dürfen, was dem jüdischen Volk an Leid zugefügt wurde.


Keiner sucht mich

Nun möchte ich auf eine „Wurzel“ zu sprechen kommen, die wir Christen den Juden verdanken. Eine Chassidische Erzählung von Martin Buber bringt sie für mich treffend zum Ausdruck: „Rabbi Baruchs Enkel, der Knabe Jechiel, spielte einst mit einem anderen Knaben verstecken. Er verbarg sich gut und wartete, dass ihn sein Gefährte suche. Als er lange gewartet hatte, kam er aus dem Versteck, aber der andere war nirgends zu sehen. Nun merkte Jechiel, dass jener ihn von Anfang an nicht gesucht hatte. Darüber musste er weinen, kam weinend in die Stube seines Großvaters gelaufen und beklagte sich über den bösen Spielgenossen. Da flossen Rabbi Baruch die Augen über, und er sagte:

So spricht Gott auch: „Ich verberge mich, aber keiner will mich suchen.“


Nicht habhaft werden

Zu Weihnachten haben wir die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus gefeiert. In Joh 1, 14 heißt es wörtlich: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet.“ Darin erkennt Jan Heiner Tück einen Anklang an die Präsenz Gottes im Offenbarungszelt (Num 12, 4-6) und an seine Einwohnung im Volk Israel. Gott aber, so erfährt Israel, lässt sich nicht fassen, nicht schauen und wird schließlich auch nicht mehr benannt. Er, der sich Israel als Eigentum erwählt hat und sein Volk in Treue begleitet, bleibt der Unverfügbare. Das hat sich mit Jesus Christus nicht geändert. Auch wenn wir bekennen, dass Gott Mensch geworden ist und Jesus uns seinen Vater als Abba, als lieben Papa, vorstellt, lässt sich Gott nicht auf unsere Wünsche und Vorstellungen reduzieren. Gott übersteigt alles Erwart- und Ausdenkbare. Besonders in Situationen des persönlichen und kollektiven Leids scheint Gott sich zurückgezogen zu haben. Doch, so dürfen wir von der Leidensgeschichte des jüdischen Volkes lernen, selbst darin ist Gott verborgen gegenwärtig und lohnt es sich mit ihm zu ringen und nach ihm zu schreien. Damit diese Wurzeln der Gotteserfahrung Israels im Christentum lebendig bleiben, braucht es, so Papst Franziskus, die Förderung jüdischen Lebens, die Begegnung mit Jüdinnen und Juden und vor allem das gemeinsame Gebet. Dazu möchte uns der Tag des Judentums anregen.