Organisation

Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Totengedenken

Theologische Fragmente im Spiegel der Corona-Pandemie

Totengedenken (J. Kapeller)
Totengedenken (J. Kapeller)

Im Frühjahr 2020 hat uns die Corona-Pandemie förmlich überrollt und viele unserer Lebensbereiche in einem mehrwöchigen Lockdown im wahrsten Sinn des Wortes lahm gelegt. Nach einem Sommer, in dem wir etwas Aufatmen konnten, stehen wir nun bereits mitten in einer zweiten Corona-Welle und gehen auf einen neuerlichen Teil-Lockdown zu. Das betrifft bereits unmittelbar das Allerheiligenfest und besonders das Totengedenken.

Der Tod ist groß

Mal kündigt er sich an, mal kommt er heimlich wie ein Dieb – der Tod. Nicht immer ist es möglich, dass wir uns verabschieden können und manchmal wird uns ein Abschied zugemutet, der kein Ende zu finden scheint. Immer jedoch hinterlässt der Tod eine Lücke. Erinnerungen an Gemeinsames und Bilder von Erlebnissen steigen auf – angenehme und stärkende, aber auch bittere, die wir vielleicht gerne absteifen und vergessen würden. Zu Allerheiligen und Allerseelen, wenn in unseren Breiten die Tage kürzer und dunkler werden, rückt die Tatsache, dass menschliches Leben unweigerlich in den Tod mündet näher. Und auch das Fehlen von Menschen, mit denen wir das Leben geteilt haben und die uns viel bedeutet haben, wird oftmals noch schmerzlicher erfahrbar.

Der Toten gedenken

Allerheiligen und Allerseelen führt uns an die Gräber unserer Verstorbenen, im Wissen: wir sind mit unserer Trauer, mit unserer Leere nicht allein. In diesem Jahr ist jedoch vieles anders. Andachten sind nicht möglich und größere Verwandtschaftstreffen unerwünscht. So mag der Weg ans Grab noch schwerer werden. Rainer Maria Rilke vermag für mich die Grundatmosphäre des Totengedenkens am Allerheiligentag in besonderer Weise ins Wort zu bringen. Denn im „Requien für eine Freundin“, das er für die expressionistische Malerin Paula Modersohn-Becker verfasst hat, verortet er die Welt jenseits der Todesgrenze in unserer Lebensrealität.

„Komm her ins Kerzenlicht.
Ich bin nicht bang, die Toten anzuschauen.
Wenn sie kommen, so haben sie ein Recht,
in unserm Blick sich aufzuhalten, wie andere Dinge.
Komm her; wir wollen eine Weile still sein.“


Voll-Endung des Lebens

Doch diese Begegnung mit den Toten und diese Stille, von der Rilke schreibt, lässt sich nicht leicht aushalten, denn oft ist es in uns nicht leise sondern laut und voller Fragen: Warum musste er/sie gerade jetzt sterben? Wie soll es nun weitergehen? Romano Guardini hat zeitlebens mit diesen Fragen gerungen. So befasst er sich in seinem Buch „Die letzten Dinge“ zunächst eingehend mit dem Tod und dem, was er für uns Menschen bedeutet. Für Guardini gehört der Tod zum Leben. Er ist nicht ein letzter Tropfen, der aus einem Gefäß rinnt, sondern er bestimmt alles, was ihm vorausgegangen ist. Wie die letzten Töne eine Melodie erst ganz gegenwärtig machen, so führt der Tod das Leben des Menschen zur Voll-Endung. Zugleich begleitet der Tod uns im Alltag: viele Abschiede von Menschen, von Lebensphasen, von Aufgaben oder von der Gesundheit sind wie Tode mitten im Leben.

Der christliche Sinn des Todes

Die christliche Dimension des Todes reicht für Romano Guardini über die Tatsache des physischen Todes hinaus. Er ist für ihn die letzte Konfrontation mit der Wirklichkeit Gottes, vor der wir für alles, was wir in unserem Leben an Gutem und Schlechtem getan haben, gerade stehen müssen. Dabei ist jedoch der Tod nicht das Dunkel-Furchtbare.

Vielmehr lässt Gott den Menschen an der Verwandlung teilnehmen, mit welcher Gottes Großmut das Ende zu einem neuen Beginn gemacht hat, und wird zum Durchgang zum neuen Leben.


An den Gräbern

Ich werde auch in diesem Jahr die Gräber meiner Angehörigen besuchen, nicht in großer Gemeinschaft, sondern mit meiner Familie. Dabei werden mir die Andacht mit den Texten aus der Heiligen Schrift, die Gebete und die Musik fehlen. Ich werde aber vielleicht in der Stille dieses Nachmittags noch deutlicher erfahren, dass der Tod ein Durchgang zu einem neuen Leben ist und zwar nicht nur für meine bereits verstorbenen Angehörigen, sondern auch für mich selbst und bereits jetzt.