Organisation

Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Synodal leben - Gnadenmomente der Begegnung

X. Sich in der Synodalität bilden

Begegnung und Wandlung (R_K_B_by_JMB_pixelio.de)
Begegnung und Wandlung (R_K_B_by_JMG_pixelio.de)

Im zehnten und abschließenden Themenfeld des Vorbereitungsschreibens „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung“ befasst sich Papst Franziskus mit der Frage, wie sich ein synodaler Stil ausprägen kann. Dazu braucht es, so der Papst, Bildungsprozesse, die sich nicht in einer erworbenen Methode erschöpfen, sondern von einer Spiritualität des „gemeinsamen Gehens“ getragen sind. Für Papst Franziskus ist Synodalität eine geistliche Lebenshaltung.

Christlicher Bildungsauftrag

Im Nachsynodalen Schreiben „Christus vivit“ (= Christus lebt) entwickelt Papst Franziskus Prinzipien eines christlichen Bildungsideals. Dabei setzt er zunächst bei der spirituellen Bildung an, die den Menschen in seiner Persönlichkeit formt und das Ziel verfolgt, dass sich seine bzw. ihre Anlagen im Geiste des Evangeliums entfalten können. Diese spirituelle Bildung soll sich mit einer kulturellen Bildung verbinden. Darunter versteht der Papst ein „menschliches und humanisierendes Wissen“ (CV 222), das der Mensch im Miteinander mit anderen Menschen und in der Begegnung mit Menschen anderer Weltanschauungen und Kulturen gewinnt. Darauf bezieht sich der Papst in der Apostolischen Konstitution „Veritatis gaudium“ (= Freude der Wahrheit), wenn er schreibt:

Das, was das Evangelium und die Lehre der Kirche heute fördern sollen (…) ist eine wahre Kultur der Begegnung (…) zwischen allen echten und vitalen Kulturen dank einem gegenseitigen Austausch der je eigenen Gaben. (VG 4)

Durch Begegnung und Austausch mit dem Anderen und dem Fremden wird persönliches Wachstum möglich und erfolgt zugleich eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln.

Gefangen im eigenen Ich

Im Narziss-Mythos begegnet die Kehrseite dieses Bildungsideals. Narziss, Sohn des Flussgottes Kephissos und der Naiade Leiriope wird vom Seher Teiresias ein langes Leben vorausgesagt, sofern er sich nicht selbst erkennt. Damit nimmt das Unglück seinen Anfang. Narziss verirrt sich auf der Hirschjagt im weglosen Wald, trifft dort auf die Nymphe „Echo“, deren Liebe er jedoch verschmäht. Die Strafe folgt auf dem Fuß. Er findet eine reine Quelle, wirft sich dort erschöpft nieder und erblickt sein eigenes Spiegelbild. In dieses verliebt er sich so sehr, dass ihn dieses Verlangen nach sich selbst verzehrt. Für Karl Matthäus Woschitz wird Narziss darin zum Sinnbild einer Verweigerung der Auseinandersetzung mit der Welt:

Narziss ist mit sich all-ein. Das „grandiose“ Selbst in seiner Beziehungslosigkeit führt nicht über sich hinaus.

Offen, Neues zu lernen

Unter einem gänzlich anderen Vorzeichen steht die Begegnung von Nikodemus, einem führenden Lehrer der Juden, mit Jesus. In der Nacht, so berichtet das Johannesevangelium, sucht dieser Pharisäer Jesus auf. Nikodemus verwickelt Jesus in ein Gespräch, indem er ihn auf die Zeichen anspricht, die Jesus vollbracht hat. Darauf geht Jesus jedoch nicht ein. Ohne Umschweife konfrontiert er Nikodemus mit dem Kern seiner Sendung, dem Anbrechen des Reiches Gottes. Nikodemus ringt um Verständnis und scheitert doch kläglich. So muss er, der Lehrer Israels, sich nochmals in die Schule des Wanderpredigers aus Nazaret begeben. Der Ertrag ist reichlich und wohl auch verstörend. Jesus erschließt ihm nichts weniger als das Wiedergeborenwerden im Heiligen Geist. Dieses Neuwerden kann er jedoch nicht selbst erwirken.

Wenn jemand nicht aus dem Wasser und dem Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. (Joh 3, 5)

Der Kontrast zwischen Narziss und Nikodemus könnte größer nicht sein. Verschließt sich Narziss im Kreisen um sich selbst gegenüber dem Anderen im Kreisen, so lässt sich Nikodemus auf die Begegnung mit Jesus ein und empfängt darin einen neuen Selbst- und Weltbezug.

Narzistische Versuchung

Bereits 1980 hat Johann Baptist Metz in „Jenseits bürgerlicher Religion“ auf die Gefahr einer Verbürgerlichung des Christentums hingewiesen, das sich mit einem geglaubten Glauben und einer geglaubten Liebe begnügt. Das Christsein verkomme dabei zu einer Behübschung des Alltags. Wenn Kirche diesen Binnenbereich nicht mehr verlässt und sich darauf beschränkt, unpolitisch Traditionen zu pflegen verliert sie ihren missionarischen Stachel und schafft das Christentum der Nachfolge Jesu ab. Als Gegenprogramm fordert Metz

Eine Hinkehr zur Umkehr, zur messianischen Praxis der Liebe.

Seit diesem viel beachteten Werk sind mehr als vierzig Jahre vergangen. Die Diagnose mutet hingegen erschreckend aktuell an. So prangert Papst Franziskus immer wieder eine kirchliche Selbstgenügsamkeit an, die so sehr auf die Wahrung des Eigenen bedacht ist, dass die Fragen und Nöte der Menschen unbeachtet bleiben.

Nikodemische Wandlung

In den letzten Jahrzehnten ist die Kirche, so Rainer Maria Bucher, endgültig in eine neue Phase der Kirchengeschichte – er nennt sie nachpianisch oder auch nachkonstantinisch – eingetreten. Denn nach 1500 Jahren hat die Kirche das Privileg einer vom Staat gestützten kulturellen und sozialen Sonderstellung verloren. Christsein erfolgt seither kaum noch aufgrund einer am Ort oder in der Familie gelebten kirchlichen Tradition, sondern aufgrund einer persönlichen Entscheidung und in einem Umfeld, in dem mehrere religiöse und weltanschauliche Optionen zur Wahl stehen. Auf diese Veränderung soll die Kirche nun jedoch nicht mit Rückzug und Wahrung von Besitzständen reagieren. Vielmehr soll sie, so Bucher, diese „Machtlosigkeit“ annehmen und „sakramental“ begreifen. Wie Brot und Wein in der Eucharistie in den Leib und das Blut Jesu Christi verwandelt werden, so soll Kirche der „Welt“ mit der Haltung begegnen, dass Christus bereits präsent ist und dass sie in ihr das Entscheidende vorfindet, um in ihr heilend, stärkend und wandelnd wirken zu können.

Gemeinsames Gehen

Das Programm des „Gemeinsamen Gehens“ umschließt für Papst Franziskus alle Lebensbereiche. Kirche kann jedoch nur in diesem Sinne wirken, wenn sie sich selbst erneuert und wandelt und zwar: von autoritären Vorgaben hin zu einem gemeinsamen Ringen um Entscheidungen und von einem Beharren auf eigene Standpunkte hin zu einer Offenheit für andere Positionen. Wenn wir uns als Kirche darauf einlassen, so Papst Franziskus in seiner Predigt zur Eröffnung des Synodalen Prozesses, dürfen wir auf „Gnadenmomente der Begegnung“ vertrauen und zuversichtlich sein, „dass der Herr, den wir suchen, uns mit seiner Liebe zuvorkommt.“