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Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Synodal leben - Elis Vorurteil

II. Zuhören

Ein Mahnmahl gegen Generalisierungen (J. Kapeller)
Ein Mahnmahl gegen Generalisierungen (J. Kapeller)

Als zweites zentrales Themenfeld des synodalen Prozesses, der nun in den Diözesen gestartet hat und 2023 in eine Bischofssynode mündet, führt Papst Franziskus in seinem Vorbereitungsdokument das Zuhören an. Dabei weist er zunächst darauf hin, wem zugehört werden soll – nämlich den Laien und dabei besonders Jugendlichen und Frauen. Noch wichtiger ist ihm aber wie zugehört werden soll, nämlich ohne Vorurteile und Stereotypen.

Die Kunst des Zuhörens

Im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Christus vivit“ (= Christus lebt), mit dem Papst Franziskus die Ergebnisse der Jugendsynode zusammenfasst, kommt er im neunten Kapitel ausführlich auf das Zuhören zu sprechen. (s. Christus vivit, 291-294).

Das Zeichen dieses Zuhörens ist die Zeit, die ich dem anderen widme. (…) Er muss spüren, dass ich ihm bedingungslos zuhöre, ohne mich angegriffen zu fühlen, ohne Anstoß zu nehmen, ohne gereizt oder müde zu sein. (Christus vivit, 292)

Die Latte liegt hoch. Der Papst fordert nicht weniger als hellhörig zu sein für die Anliegen, Freunden und Nöte des anderen und das ganz ohne erwarteter Gegenleistung, dass diese Person dann wohl auch mir zuhören wird und ganz ohne Absicht, dass ich etwas erfahre, das mir selbst weiterhilft oder dazu führt, dass ich meine eigene Position besser durchsetzen kann.

Vorurteile

Damit kommen wir zu dem, was der Papst als Haupthindernis beim Zuhören identifiziert, den Vorurteilen. Dabei handelt es sich um Annahmen, die sich zwischen mir und die Person schieben, die sich mir mitteilt. Sie verleiten mich, das Gehörte in mein Vorverständnis einzupassen und bilden so etwas wie einen Filter: ich höre, was meinem Vorurteil entspricht und überhöre, was ihm zuwiderläuft.

Generalisierungen

Noch ganz unter dem Eindruck des Nazi-Regimes nähert sich der Philosoph Max Horkheimer im Artikel „Über das Vorurteil“, erschienen 1961 in der FAZ, dieser Form einer Urteilsbildung an. Dabei hält er vorab fest, dass es auch nötige Vorurteile gibt. Darunter versteht er Vorannahmen, die aus Erfahrung und Übereinkunft gewonnen wurden. So kann sich ein Mensch im Straßenverkehr nur bewegen aufgrund des Vorurteils, dass sich auch alle anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer an die Rechtsregel halten. Diese Form einer Generalisierung wird jedoch problematisch, wenn sie absolut gesetzt wird. Denn, so Horkheimer lapidar:

Jenseits des Kanals fahren die Autos auf der linken Straßenseite. (Max Horkheimer)

Das gilt natürlich nicht nur für die Straßenverkehrsordnung. Besonders verhängnisvoll wirken sich diese Generalisierungen aus, wenn sie bei der Beurteilung von Menschen anderer Hautfarbe, sexueller Orientierung, Mitgliedschaft in einer politischen Bewegung oder Religionsgemeinschaft herangezogen werden. Dabei wird die Einzelperson oftmals mit fixen Zuschreibungen und Stereotypen bedacht, ohne in seiner bzw. ihrer Individualität gesehen oder gehört zu werden.

Elis Vorurteil

So etwas wie ein „Vorurteil“ findet sich auch im ersten Buch Samuel. Im Zentrum stehen dabei der Priester Eli und seine Söhne Hofni und Pinhas. Ihrer Aufgabe für Israel Opfer darzubringen, Mittler zwischen dem Herrn und dem Volk zu sein und somit in einer unmittelbaren Gottesverbindung zu stehen kommen sie nicht mehr nach. Ganz anders verhält es sich mit dem Knaben Samuel. Er hat beim Herrn Gefallen gefunden. Als der Herr Samuel mitten in der Nacht ruft, läuft er zu Eli, da er diesen für den Rufer hält. Eli aber schickt Samuel wieder zu Bett. Auch beim zweiten Ruf des Herrn reagiert Eli auf dieselbe Weise. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Wenn der Herr zu jemandem spricht, dann wohl zu ihm, dem Priester! Als Samuel das dritte Mal zu ihm kommt, fügt er sich und gibt dem Jungen den Rat.

Geh, leg dich schlafen. Wenn er dich ruft, dann antworte: Rede, Herr; denn dein Diener hört.“ (1 Sam 3,9)

Samuel hört

Samuel tut, wie ihm geheißen. Was er jedoch vom Herrn zu hören bekommt, ist alles andere als leichte Kost. Der Herr verheißt nichts Geringeres als die Vernichtung des Hauses Eli. Der Priester Eli aber hat seine Lektion gelernt. Nachdrücklich fordert er Samuel auf, ihm alle Worte des Herrn mitzuteilen und er nimmt sein Schicksal an, denn so Eli: „Es ist der Herr. Er tue, was ihm gefällt.“ (1 Sam 3, 21)

Eine synodale „Hör-übung“

Zuhören erfordert die Bereitschaft, sich verwirren und korrigieren zu lassen und immer wieder einmal an der Richtigkeit eigener Sichtweisen zu zweifeln. Zugleich haben wir es nicht in der Hand, dass das Gegenüber unsere Worte in derselben Haltung aufnimmt. Das ist anstrengend, manchmal auch unangenehm und frustrierend! Sich dem nicht auszusetzen hat aber, wie Max Horkheimer betont, weitreichende Folgen:

Rede und Gegenrede, Anklage und Verteidigung, das ganze Verfahren ist Schein. Die Beziehung zwischen Menschen wird leer, wie sehr sie auch funktioniert.

Polarisierungen, Vorverurteilungen und Verwerfungen sind mögliche Folgen. Daher mahnt Papst Franziskus ein Zuhören ein, das frei ist von Vorurteilen und Stereotypen. Der Mehrwert liegt auf der Hand: andere und vielleicht sogar neue Aspekte, Zugänge, Vorstellungen werden sichtbar. Wir werden unsere Vorurteile nie ganz los (teilweise sind sie sogar nötig!), doch können wir uns ihrer immer mehr bewusst werden. Als Kirche dürfen wir zudem von der Lernerfahrung Elis profitieren: Gott spricht zu uns auch durch Personen und auf eine Art und Weise, die uns überrascht und neue Zugänge eröffnet.