Mit Gott tanzen
Spurensuche BETEN – Geistliche Impulse von Michael Kapeller über bedeutende Männer und Frauen des 20. Jahrhunderts

Nein, Madeleine Delbrêl war keine Tänzerin. Und doch passt das Bild des Tanzes zu ihrem Leben. Denn für sie war der christliche Glaube wie ein Tanz und Gott wie ein Tanzpartner. Mit ihm wollte sie sich wie in einem großen Ballsaal durchs Leben bewegen – auch dann, wenn es ihr schwer fiel, sich seiner Führung anzuvertrauen. In solch einer Spannung fand sie sich 1952 wieder. Gleich mehrere Ereignisse ließen sie an ihrer Sendung zweifeln. So bestieg sie spontan den Zug und traf am 6. Mai um 8.45 Uhr in Rom ein. Dort verharrte sie zwölf Stunden im Petersdom beim Petrusgrab. Um 22.10 Uhr bestieg sie wieder den Zug, kehrte nach Ivry, der Stätte ihres Wirkens, zurück und setzte ihre Tätigkeit fort.
Mehr Kampf als Tanz
Geboren 1904 im südfranzösischen Mussidan als Tochter eines gutsituierten Bahnbeamten verbrachte Madeleine ihre Kindheit an vielen Orten und in einem Klima religiöser Gleichgültigkeit. Mit siebzehn Jahren war diese intellektuell hochbegabte junge Frau vom Tod Gottes überzeugt – die Fragen bohrten jedoch in ihr weiter. Über ihre Bekehrung im Jahr 1924 hat sie nie viel erzählt. Ihr vorausgegangen war die Erkenntnis, dass für sie die Nicht-Existenz Gottes doch nicht völlig gewiss sei. Dadurch bahnte sich ein Perspektivenwechsel an:
Seither habe ich durch Lektüre und Reflexion Gott gefunden. (…) Aber indem ich betete, erfuhr ich im Glauben, dass Gott mich fand, dass er lebendige Wirklichkeit ist und dass man ihn lieben kann, wie man eine menschliche Person liebt.
Nach ihrer Bekehrung trat sie nicht – wie geplant – in einen Karmel ein. Sie ließ sich in Ivry, einer Stadt bei Paris, nieder. Dort setzte sie sich als Sozialarbeiterin für Notleidende ein. Ivry war die erste Stadt Frankreichs, die kommunistisch verwaltet wurde. Als Christin hatte sie es an diesem Ort nicht leicht. Ihr Einsatz für die Arbeiter verschaffte ihr jedoch bald den Respekt der Kommunisten. 1943 war sie maßgeblich an der Entwicklung des Experimentes der Arbeiterpriester beteiligt. Dass dieses Experiment 1952 von Rom verboten, dann wieder eingeschränkt erlaubt und 1959 endgültig verboten wurde, hat sie in ihrer Kirchlichkeit schwer erschüttert. In den letzten Lebensjahren zog sie sich von ihrer sozialen Tätigkeit zurück und führte den Haushalt der kleinen Frauengemeinschaft in Ivry. Am 13. Oktober 1964 verstarb Madeleine Delbrêl an einem Schlaganfall.
Gleichmut lässt tanzen
Vermutlich gibt es kein Wort, das die Lebenseinstellung von Madeleine Debrêl besser ausdrücken könnte als Gleichmut. Gleichmut darf aber nicht mit Gleichgültigkeit verwechselt werden. Der Gleichmütige ist nicht passiv, er weiß vielmehr bei allem, was er tut, dass er alles von Gott empfängt. Deshalb nimmt er sich selbst auch nicht zu wichtig. Denn die Quelle seines Engagements ist nicht sein eigenes Vermögen, sondern das Schweigen und Hören auf Gottes Ruf. Dieser Ruf ist jedoch nicht auf das Gebet beschränkt, sondern ergeht oftmals mitten im Alltag und fordert zum Bekenntnis heraus. Dadurch wird der Alltag selbst zum Gebet und zum Ort der Glaubensverkündigung. Mit dieser Haltung des Gleichmuts, kann sich Madeleine, immer wieder neu Gott, ihrem Tanzpartner, anvertrauen.
Dein Geist leitet uns durch inneren Antrieb;
von innen her verkündet er uns, was ist.
Lautlos, in uns verhüllt, sät er in unser Herz
den Keim des Wortes.