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Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Maßnehmen an Josef: Träume und Visionen

Fastenzeit 2021

Träume und Visioinen (M. Kapeller!)
Träume und Visionen (M. Kapeller!)

Vom 8. Dezember 2020 bis zum 8. Dezember 2021 hat Papst Franziskus mit dem Apostolischen Schreiben „Patris corde“ (= Väterliches Herz) ein Jahr des Heiligen Josef ausgerufen. In der Fastenzeit und im Umfeld des Gedenktags des Heiligen Josefs am 19. März möchte ich mit diesen Beiträgen einige Anstöße zu einer vertieften Auseinandersetzung mit diesem Heiligen und den Anliegen von Papst Franziskus geben.

Visionen und Ärzte

„Wer Visionen hat, braucht einen Arzt.“ Es gibt wohl wenige Aussprüche von Politikern, die in der kollektiven Erinnerung so nachdrücklich haften geblieben sind wie dieser. Und dies, obwohl der ehemalige Bundeskanzler Franz Vranitzky die Urheberschaft dieses Zitates von sich gewiesen hat. Doch einerlei. Ein Ausspruch wie dieser wird zu einem geflügelten Wort, weil er in einer konkreten Zeitstunde ein Lebensgefühl verdichtet ins Wort bringt. So verbirgt sich hinter dieser Zuordnung von Visionen in den Bereich der Psychiatrie eine klare Überzeugung: Entscheidungen müssen daten- und faktenbasiert sein und Strategien zur Lösung gegenwärtiger und zukünftiger Probleme benötigen eine berechenbare und evaluierbare Grundlage. Die Hintergrundfolie für diese Zuschreibung ist die Erkenntnis am Ende des 20. Jahrhunderts, dass, wie Jean-François Lyotard meint, die großen Erzählungen und philosophischen Entwürfe mit dem Scheitern des Kommunismus und dem Relevanzverlust des Christentums nicht mehr tragen. In der Postmoderne werden sie vielmehr von Einzelentscheidungen abgelöst, die das Individuum selbst zu treffen und zu verantworten hat. Was bedeutet es aber, wenn es keine gemeinsamen Ideale mehr gibt, sondern alles dem Diktat der Berechenbarkeit und Nützlichkeit unterworfen wird? Dieser Frage möchte ich mich auf der Grundlage von Abschnitt drei und vier von „Patris corde“ annähern.

Josef der Träumer

Gott offenbart sich Josef in der Überlieferung des Matthäusevangeliums in vier Träumen. In der Bibel dienen Träume jedoch nicht zur Aufarbeitung von „Tagesresten“ im Schlaf und verdeutlichen auch nicht das plötzliche „Aufleuchten“ von ersehnten zukünftigen Entwicklungen und Ereignissen. Vielmehr sind sie entweder verschlüsselte Botschaften, die zu deuten sind oder direkte göttliche Aufträge, denen zu folgen ist. Bei Josef zeigt sich in seinen Träumen der Wille Gottes, der ihn auffordert trotz der unerklärlichen Schwangerschaft Maria zur Frau zu nehmen (Mt 1,20-21), mit Maria und dem Jesuskind nach Ägypten zu fliehen (Mt 2,13), nach dem Tod des Herodes wieder zurückzukehren (Mt 2,19-21) und dabei nicht nach Judäa, sondern in die Stadt Nazaret zu ziehen (Mt 2,22-23). Auf alle vier Träume reagiert Josef auf dieselbe Weise. Papst Franziskus fasst sie zusammen und stellt dabei eine Verbindung zu Maria und Jesus her:

In jeder Lebenslage vermochte Josef, sein „fiat“ zu sprechen, wie Maria bei der Verkündigung und Jesus in Getsemani.

Mit diesem „fiat“, diesem „so geschehe es“, entspricht Josef dem Willen Gottes. Damit erweist er sich als Hörender, der dem traut, was ihm von Gott vermittelt wird und diesem Weg folgt.

Josef der Realist

Nicht wenige Visionen in Politik, Gesellschaft und Kirche scheitern, weil ihnen der Bezug zur Wirklichkeit fehlt. Sie werden nicht ausreichend in ein offenes Gespräch mit anderen Menschen gebracht, um sie zu erproben, weiterzuentwickeln und zu verändern. Auch hier, so Papst Franziskus, können wir von Josef lernen. Denn Josef bleibt nicht bei sich, wenn er Entscheidungen trifft, sondern lässt seine eigenen Vorstellungen von dem korrigieren, was ihm widerfährt. So schreibt der Papst in Patris corde:

Wie rätselhaft es ihm auch erscheinen mag, er nimmt es an, übernimmt Verantwortung dafür und versöhnt sich mit seiner eigenen Geschichte.

Josef zeichnet sich durch die Gabe der „Annahme“ aus. Dadurch wird er aber nicht passiv oder gar resignativ. Denn er vermag auch in den Dunkelheiten und Schwierigkeiten seines Lebens das Wirken Gottes zu erkennen. So lasse sich an Josef so etwas wie eine christliche Weltsicht ablesen: „Der Glaube, den Christus uns gelehrt hat ist der Glaube (…), der nicht nach Abkürzungen sucht, sondern dem, was ihm widerfährt mit offenen Augen begegnet und persönlich Verantwortung übernimmt.“ (Patris corde)

Wenn einer allein träumt…

Dieser wache Blick auf die Nöte der Menschen ist für Papst Franziskus die Grundlage für christliche Träume und Visionen. Dies kann im 21. Jahrhundert vor allem auch in Erzählgemeinschaften erfolgen, wie Johann Baptist Metz dies immer wieder eingemahnt hat. Denn im Erzählen über das Wirken Gottes in Geschichte und Gegenwart wird deutlich, wo Gott präsent wird und wie sein Wort das Leben und das Zusammenleben verändern kann. Damit entwickelte Metz bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts so etwas wie eine „Methode“, die besonders in Lateinamerika Basis der Befreiungstheologie wurde. Besonders maßgeblich war daran Dom Hélder Câmara (1909-1999) beteiligt, der sich aus seinem Glauben heraus für die ausgebeuteten Kleinbauern Brasiliens einsetzte, andere auf diesem Weg mitnahm und für seine Träume, trotz aller Repressalien, einstand. Ihm wird auch das Wort zugeschrieben, das, wenn man es auf dem Hintergrund seines Lebenszeugnisses und loslöst von Lagerfeuerromantik versteht, etwas vom Anspruch der Botschaft Jesu erahnen lässt:

Wenn einer allein träumt, bleibt es ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, dann ist es der Anfang einer neuen Wirklichkeit.

Vision eines guten Lebens

Diese Überlegungen möchten zum Aufbruch einladen. Besonders in einer Zeit, in der die Einschränkungen der Corona-Pandemie lähmend wirken und die negativen Folgen davon immer deutlicher sichtbar werden. Denn Visionen gehören nicht therapiert, sondern gelebt, geteilt und verbreitet. Rückschläge, Grenzen und Enttäuschungen stehen dazu nicht im Widerspruch. Vielmehr gilt es wie Josef das Leben anzunehmen wie es ist und darin immer wieder neu nach dem Überraschenden Ausschau zu halten, denn

Gott kann Blumen zwischen den Felsen sprießen lassen. (Patris corde)

Wer sich diesen Blick bewahrt oder ihn neu gewinnt, kann für sich, für andere und vor allem gemeinsam mit anderen dem Leben mehr an Leben, Zuversicht und Freude abgewinnen.