Gebet und Gewalt
Spurensuche BETEN – Geistliche Impulse von Michael Kapeller über bedeutende Männer und Frauen des 20. Jahrhunderts

Spätestens am 18. August 2005 hatte sich die Nachricht in weiten Teilen der Welt verbreitet. Am Vorabend wurde der Gründer der Gemeinschaft von Taizé, Roger Schutz, von einer offenkundig psychisch kranken Rumänin während des Abendgebets in der Versöhnungskirche in Taizé mit drei Messerstichen getötet. Die Frau wurde rasch überwältigt und ließ sich widerstandslos von der Polizei abführen. Die Brüder trugen den Leichnam von Frère Roger aus der Kirche und setzten das Gebet wie ursprünglich geplant mit dem Liedruf „Laudate omnes gentes, laudate Dominum“ (Lobet alle Völler, lobet den Herrn“) fort.
Der Tod dieses 90jährigen Mannes hat viele Menschen erschüttert. Dennoch folgte auf diese Meldungen keine kollektive Welle der Trauer. An vielen Orten wurde jedoch zu so genannten Taizé-Gebeten eingeladen. Menschen wollten so ihre Trauer über den Tod von Frère Roger ausdrücken und ein Zeichen der Verbundenheit mit der Gemeinschaft von Taizé setzen.
Ein Pilgerweg des Vertrauens
Begonnen hatte alles am 20. August 1940. An diesem Tag reiste der junge reformierte Theologe Roger Schutz von der Schweiz in das Burgund und ließ sich im Bauerndorf Taizé nieder. Dort versteckte er Flüchtlinge, besonders Juden, vor den Nationalsozialisten. Nach dem Krieg kümmerte er sich um Kriegswaisen und deutsche Kriegsgefangene. Aus dieser karitativen Tätigkeit wuchs rasch eine geistliche Gemeinschaft. Bereits 1949 legten die ersten Brüder ihre Gelübde ab und banden sich dadurch an eine Gemeinschaft, die aus Männern unterschiedlicher christlicher Konfessionen bestand. In den nächsten Jahrzehnten breitete sich diese Idee einer gelebten Ökumene aus und wurde zu einem Frühling der Kirche(n). Besonders junge Menschen fanden sich am Hügel von Taizé oder bei den großen Treffen ein, um miteinander zu beten und über das Wort der Schrift zu reden. Frère Roger leitete als Prior die Gemeinschaft und gab die geistliche Richtung vor: Taizé sollte zu einem Ort des Versöhnung werden und Menschen einladen, sich mit Jesus Christus auf einen Pilgerweg des Vertrauens zu machen.
Verzeihen, allein um Christus nachzufolgen
Vertrauen war für Frère Roger nicht nur ein Leitmotiv, es war ein Wesenszug. Dieses Vertrauen war nicht naiv, sondern von Realismus getragen. Er wusste um die Abgründe im Menschen. So wies er immer wieder darauf hin: In jeder Begegnung steckt die Gefahr der Verwundung. Nur Christus kann den Menschen berühren, ohne ihn zu verletzen. Von ihm allein kommt Heilung und Heil. Wer sich ihm anvertraut, der überwindet seine Angst und wird frei für den Weg des Vertauens und auch des Verzeihens.
Verzeihen heißt in der Liebe bis zum Äußersten gehen. (…)
Verzeihen, nicht um den anderen zu verändern, sondern einzig und allein, um Christus nachzufolgen.
Niemand kann dem lebendigen Gott noch näher kommen.
Wohl aus diesem Geist heraus konnten die Brüder von Taizé selbst im Angesicht des gewaltsamen Todes ihres Gründers das gemeinsame Gebet fortsetzen. Wohl aus diesem Geist heraus haben sie den Pilgerweg des Vertrauens bis heute fortgeführt. Vielleicht lässt sich gerade aus diesem Geist heraus die vielfältige Gewalt – im Kleinen wie im Großen – überwinden und das Antlitz der Erde erneuern.