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Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Die Corona-Pandemie im Spiegel der Theologie

Dialog mit Karl Rahner über Angst und Vertrauen

Tabernakel im Bildungshaus Schloss Seggauberg (M. Kapeller)
Tabernakel der Kapelle im Bildungshaus Schloss Seggauberg (M. Kapeller)

Die aktuelle Corona-Pandemie löst bei vielen Menschen Angst aus. Plötzlich stehen wir einer unsichtbaren aber realen Bedrohung gegenüber, die viele Selbstverständlichkeiten des Alltags infrage stellt. Diese Situation mit ihrer massiven Einschränkung von Freiheits- und Bewegungsrechten ist in dieser Form neu und so gibt es kaum Deutungs- und Handlungsstrategien auf die wir zurückgreifen könnten. Dennoch gab es in den letzten Jahrzehnten durchaus Krisenszenarien ähnlichen Ausmaßes. Eine davon war die atomare Bedrohung in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie veranlasste den Theologen Karl Rahner sich über die Begriffe Angst und Vertrauen Gedanken zu machen. Diesen Beitrag hat er im 15. Band seiner Schriften zur Theologie unter dem Titel „Angst und Vertrauen in theologischer Perspektive“ (S. 267-279) veröffentlicht. Darin finden sich auch Zugänge für unsere gegenwärtige Situation. So bin ich, auf dem Hintergrund der aktuellen Krise, mit den Überlegungen dieses großen Theologen in ein Gespräch eingetreten, das sich schließlich zu einem fiktiven Dialog (die Redebeiträge Rahners sind direkte Zitate, S. 270-276) verdichtet hat.

Die Wurzel der Angst

KAPELLER: Ich möchte ganz unmittelbar mit dem Begriff Angst einsteigen. Dabei begreife ich Angst zunächst als einen inneren Zustand, der sich aktiviert, wenn ich mich mit einer wie auch immer gearteten Gefahr konfrontiert sehe. Angst kann mich dabei schützen, warnen und zur Vorsicht mahnen. Wo liegt nun aber die Wurzel menschlicher Angst?
RAHNER: Wir gehen davon aus, dass der Mensch die Erfahrung einer letzten Ungesichertheit seiner Wirklichkeit, seiner Existenz macht. (…) Wir sind nicht von uns selber; wir haben angefangen und diesen Anfang nicht selber gesetzt und entschieden; wir sind dauernd angewiesen und abhängig von Wirklichkeiten, Situationen und Hilfen, die nicht zu uns selber gehören, über die wir selbst nicht autonom verfügen können.
KAPELLER: Die Wurzel der Angst liegt demnach nicht in einer konkreten Bedrohung, sondern in unserer menschlichen Verfasstheit. Das heißt, wir haben in unserem Leben immer weniger im Griff als wir meinen und vermögen weniger zu kontrollieren, als wir landläufig vorgeben?
RAHNER: Wir sind die ungefragt uns Aufgegebenen und Abhängigen, die herkommen, ohne über diese Herkunft und Zukunft selber bestimmen zu können.

Daseinsangst als Ausdruck menschlicher Existenz

KAPELLER: Der Alltag bietet aber für Wahrnehmungen dieser Tiefe und dieser Tragweite wenig Raum. Vielmehr sind wir Menschen auch in Krisen wohl eher darauf ausgerichtet, das zu kompensieren, was gerade nicht möglich ist und damit Strukturen zu schaffen, die das Gefühl vermitteln, das Leben aus eigener Kraft gestalten zu können.
RAHNER: Der Mensch kann diese Erfahrung niederhalten, er kann diese Bedingtheit vor dem Allerlei des täglichen Betriebes bis zu seinen höchsten, aber selbst reflektierten Idealen hinauf vergessen. Aber sie ist da, drängt sich immer wieder vor.
KAPELLER: Ich möchte nochmals zu meinem Gedanken vom Beginn zurückkehren und ihn mit diesem Zugang verknüpfen. Wenn ich demnach Angst vor einer bedrohlichen Situation empfinde, dann rührt das im Letzten daher, dass ich mich in meiner gesamten Existenz als ungesichert und abhängig erlebe. Dies wirft die Frage auf, wie ich diesen Zustand der Abhängigkeit und der Bedingtheit meines Lebens interpretiere.
RAHNER: Diese Erfahrung der Bedingtheit kann man reflex gewiss verschieden auslegen, man kann sie als Erfahrung der Geschaffenheit interpretieren oder in atheistischen Philosophien anders nennen. Aber sie ist da und trägt, und zwar unausweichlich, den Charakter dessen, was man eben Angst (…) nennen kann.

Das Verwiesensein des Menschen auf Gott

KAPELLER: Wenn ich aus christlicher Perspektive den Begriff des Geschaffenseins aufgreife und mich demnach als Geschöpf begreife, schlägt dann diese existentielle Angst nicht fast notwendig in ihr Gegenteil um, nämlich in Vertrauen? Oder anders formuliert: Lässt sich diese existentielle Angst und damit auch die konkrete Erfahrung der Angst aufheben, wenn ich mir meiner Herkunft von Gott bewusst werde?
RAHNER: Auch dann aber ist ihre Daseinsangst nicht einfach aufgehoben. Sie verfügen ja auch dann nicht über ihre Herkunft und ihren Standpunkt. Aber ihre Angst ist in einem schwer zu beschreibenden Zustand der Erlöstheit, einer Selbstverständlichkeit, einer sich selber gar nicht notwendig noch einmal reflektierenden Überzeugtheit davon, dass man nicht fällt, obwohl man nicht festhält.
KAPELLER: Selbst, wenn ich mich als Geschöpf Gottes begreife, bleibt demnach etwas Schwebendes: ich erfahre mich ausgesetzt und verwiesen und zugleich gehalten ohne diesen Halt selbst nochmals festhalten zu können. Wie kann ich nun aber unter diesen Vorzeichen zu einer Haltung des Vertrauens finden, wenn die Daseinsangst so tief in die menschliche Existenz eingeschrieben ist?
RAHNER: Wenn unsere unverfügbare Herkunft die schöpferische Setzung des unbegreiflichen und immer unbegreiflich bleibenden Gottes ist, der uns in eine Bewegung setzt, deren Ziel die Unmittelbarkeit seiner selbst ist, dann kann diese erlösende Grundannahme unserer angsthaften Existenz entfaltet werden in die drei christlichen Grundexistentialen: Glaube und Hoffnung und Liebe.
KAPELLER: Wenn ich recht verstehe, lässt sich Angst nicht einfach abschütteln oder durch Vertrauen ersetzen, sie bleibt ein ständiger Begleiter. Dabei wirkt sie oft lähmend, einengend und bedrückend. Wenn sie mich „überfällt“, fällt es schwer in Bewegung zu kommen bzw. sich in Bewegung setzen zu lassen.

Vertrauen als Geschenk

RAHNER: Dieses so gemeinte Vertrauen (…) ist (…) ein freies das Subjekt als solches wagendes und weggebendes Sicheinlassen auf die Existenz als ganze und eine.
KAPELLER: Dazu ist aber ein mehr oder weniger bewusst vollzogener Akt der Freiheit erforderlich. Denn es liegt an mir, ob ich mich auf die Existenz, auf das Leben, einlasse.
RAHNER: Dieser eine Grundakt (…) vollzieht sich in der Hinwendung zu den konkreten Aufgaben der Freiheit im Umgang mit den einzelnen materiellen, gesellschaftlichen und geschichtlichen Wirklichkeiten.
KAPELLER: Und doch bleibt selbst dieser Schritt der Freiheit hinein in das Tun ein Stück weit entzogen. Denn es gibt Menschen, die in Zeiten der Krise und Angst das Wagnis des Vertrauens eingehen können und andere, die dies nicht vermögen.
RAHNER: Ein solches Vertrauen, (…) lässt sich (…) nicht (…) herstellen. Das eigentliche Vertrauen lässt sich nur indirekt feststellen, und so und darum als „Gnade“ erfahren. (…) Man lebt in solcher Gefasstheit aus einer Überzeugung, dass letztlich eben doch nichts passieren kann.
KAPELLER: So bleibt am Ende die Hoffnung, dass ich doch, wenn ich mir der Daseinsangst als Wurzel meiner Ängste bewusst werde, von einem reflektierenden Erwägen der Bedrohung in eine Haltung des Vertrauens wechseln kann. Denn dann blicke ich zuerst nicht auf das, was mir Angst macht, sondern auf Gott, dem ich mein Leben verdanke und der mir Gutes will.
RAHNER: Man erfährt eine innere Unbeschwertheit, Gelöstheit und Heiterkeit, die alle uns das Recht geben, zu hoffen, das eben doch auch dort, wohin wir mit unserer (…) Reflexion nicht mehr hingelangen, alles in Ordnung sei, ein Friede gegeben sei, der, wie die Schrift sagt, alles Begreifen übersteigt.