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Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Auf Hoffnung hin gerettet

Eine theologische Annäherung an Papst Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger von Theologe Michael Kapeller

Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. (Francesco Nigro auf Pixabay)
Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. (Francesco Nigro auf Pixabay)

Mit dieser Annäherung an Papst Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger anlässlich seines Todes am 31. Dezember 2022 erhebe ich nicht den Anspruch einer Darstellung von Lebensstationen, Verdiensten und Leistungen. Ebenso geht es hier nicht um eine theologische oder auch kirchenpolitische Einordnung dieses unbestritten bedeutenden Theologen und Papstes. Vielmehr möchte ich mich Papst Benedikt / Joseph Ratzinger theologisch annähern und mit einigen Stichworten ein wenig seine Gestalt sichtbar werden lassen. Diese Annäherung erfolgt auf der Grundlage von Schriften und Texten aus der Zeit seines Pontifikates und mit jener „Sympathie“, ohne die es – so Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. im Vorwort des 1. Bandes von „Jesus von Nazareth“ – „kein Verstehen gibt“.

Jesus Christus – Schlüssel zur Wirklichkeit

Mit seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“ (= Gott ist die Liebe) widmet Papst Benedikt nicht nur erstmals der zentralen göttlichen Tugend der Liebe ein eigenes Lehrschreiben, sondern vollzieht darin auch eine theologische Positionierung, wenn er in Artikel 1 festhält:

Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.

Für den am 19. April 2005 gewählten Papst ist Jesus Christus der Schlüssel zur Wirklichkeit, ihn möchte er den Menschen näher bringen und er ist für ihn auch Maßstab und Gradmesser theologischer wie philosophischer Reflexion.

Die Diktatur des Relativismus

Diese Ausrichtung auf Jesus Christus ist für den Papst wie ein Anker in einer Zeit der Unruhe und vieler ideologischer Strömungen. Vor den Folgen dieser Geisteshaltung eines Relativismus warnt Kardinal Joseph Ratzinger unter anderem eindringlich in seiner Predigt am 18. April 2005 vor dem Einzug ins Konklave:

Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt.

Aufgrund dieses Verständnisses interpretiert Joseph Ratzinger als emeritierter Papst den sexuellen Missbrauch in der Kirche als Ausdruck eines moralischen Relativismus, der sich in der Welt breit gemacht habe und dem einzelne Vertreter der Kirche erlegen seien. Für ein mögliches systemisches Versagen der Kirche selbst bietet dieser Zugang keinen Raum.

Die Wahrheit ist personal

Die Kirche habe ein anderes Maß als die Welt, so führt der Papst in seiner Predigt vor dem Konklave weiter aus, nämlich „den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Humanismus.“ Dieser Humanismus ist für Papst Benedikt nicht nur die Signatur der Kirche, sondern Ausdruck einer christlichen Lebensweise. Wahrheit begegne dort, wo ein Mensch in seiner Wahrheitssuche Gott als den Ursprung aller Dinge erkennt und anerkennt. Dies wiederum wirkt sich unmittelbar auf die Wahrheitsfähigkeit des Menschen aus.

Der Mensch wird wahr, wird er selbst, wenn er gottgemäß wird. (Papst Benedikt)


Dialog mit der Welt am „Vorhof der Völker“

Für den Dialog mit der Welt erfordert dies, eine klare Positionierung und die Bereitschaft dafür auch einzustehen. Papst Benedikt spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit, von einem Kinder- zu einem Erwachsenenglauben zu reifen. Dieser hält Widerstände aus, ringt um Verständnis, jedoch ohne unlautere Kompromisse in Kauf zu nehmen. In einer weitgehend säkularen Welt braucht es nun, so der Papst, Dialogforen, die Austausch und Auseinandersetzung möglich machen. Als Bild für diesen Dialog-Ort nimmt er Anleihe beim „Vorhof der Heiden“ des Jerusalemer Tempels. Anders als in Jerusalem, wo den Heiden der Zugang zum Heiligtum versperrt war, steht nun aber, weil Christus durch seinen Tod alles Trennende niedergerissen hat, allen Menschen der Zugang zum Heil offen. Bei einer „Vorhof der Völker“ genannten Begegnungsveranstaltung von Menschen ohne religiöses Bekenntnis am 25. März 2011 vor der Kathedrale von Notre Dame in Paris weist der Papst darauf hin, dass die Religionen keine Angst vor echter Laizität haben dürfen. Die dort versammelten Menschen, ruft er in einer Videobotschaft auf, gemäß ihrem Gewissen zu leben und gemeinsam eine „Welt der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu schaffen.“ Dieser Austausch führe schließlich, so der Papst, zur Erkenntnis, dass „nur Gott in Jesus Christus uns innerlich befreit und es uns schenkt, einander in Wahrheit als Brüder zu begegnen.“

Das Wesen der Kirche

Die Fragen nach dem Wesen und Auftrag der Kirche ziehen sich wie ein roter Faden durch das Leben und Wirken von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI.. So verfasst er seine Dissertation über „Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche“ und kommt knapp vor seinem Tod in einem Brief anlässlich eines internationalen Kongresses zur Ekklesiologie von Joseph Ratzinger vom 19. bis 21. Oktober 2022 an der Franciscan University of Steubenville (USA) nochmals darauf zu sprechen. Dabei verweist er zunächst auf seinen theologischen Werdegang und die Entwicklung eines geistlichen Verständnisses von Kirche als „Leib Christi“. Die Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ habe Kirche als in der Welt aber nicht von der Welt gefasst. Darin spiegle sich auch seine eigene Ekklesiologie. Kirche-sein ereignet sich im Spannungsfeld einer Herkunft von Gott und eines Daseins mitten in dieser konkret verfassten Welt. Dabei gilt: die Kirche versteht sich von Gott her, hat sich auf ihn hin zu bewegen und darf sich nicht an die Welt anpassen. So lehnte er eine Veränderung von kirchlichen Ämtern aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen und Forderungen ab. Vielmehr hat Kirche die Gestalt des Auferstandenen in dieser Welt sichtbar zu machen. Als ihm dies am Stuhl Petri nicht mehr vollumfänglich möglich ist, zieht er sich vom Papstamt zurück und emeritiert.

Der Geist der Liturgie

Diese Verfasstheit der Kirche findet in der Liturgie ihren besonderen Ausdruck. Dabei hebt Joseph Ratzinger hervor, dass die rechte Feier des Kultes einer göttlichen Einsetzung bedarf. Nur so könne sie ihre Aufgabe, die Trennung von „oben“ und „unten“ zu überwinden, gerecht werden. In der Liturgie ereigne sich eine Vorwegnahme eschatologischer Vollendung. Darin ist sie, so der Papst, „gestaltgewordener Ausdruck der Ekklesialität“ (Vom Geist der Liturgie, S. 143). Daher verdankt sich die Liturgie, so der Papst, nicht Einfällen von Menschen. Sie ist vielmehr ein „Ein-Fall Gottes“ in diese Welt, der im Rahmen des liturgischen Geschehens nach einer Antwort des Menschen verlangt.

Aus der Hoffnung leben

In seiner zweiten Enzyklika „Spe salvi“ (= Auf Hoffnung hin gerettet), erschließt der Papst biblisch-theologisch den Begriff Hoffnung. Dabei fasst er Hoffnung nicht nur als etwas Zukünftiges, das noch zu erwarten ist. Hoffnung ist für den Papst eine Wirklichkeit, die durch Jesus Christus präsent geworden ist. Darin liegt für ihn die „performative“ Kraft christlichen Glaubens. Wir hoffen nicht auf etwas, sondern leben die Hoffnung, die mit Christus in die Welt gekommen ist, ist der Papst überzeugt. Diese Hoffnung bewirkte, dass sich große Christen von den Mönchen des Altertums bis Franz von Assisi für andere eingesetzt haben, um ganz für sie da zu sein und ihnen beizustehen.

Für uns, die wir auf diese Gestalten hinschauen, ist dieses ihr Tun und Leben in der Tat ein "Beweis", dass das Kommende, die Verheißung Christi, nicht nur Erwartung, sondern wirkliche Gegenwart ist. (Spe salvi, Art. 8).

Für eine Kirche, die diese Hoffnung lebt war Joseph Ratzinger / Papst Benedikt, wie Papst Franziskus mehrfach betonte, ein glaubwürdiger Zeuge.