60 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil
Michael Kapeller im Gespräch mit Helmut Gfrerer über eine Kirche im Geist des Konzils
Am 8. Dezember 1965 fand das Zweite Vatikanische Konzil in Rom seinen Abschluss. Seit dem Konzilsbeginn am 11. Oktober 1962 haben 2.850 Konzilsväter unter der Leitung von zwei Päpsten insgesamt 16 Dokumente beschlossen. Bei dieser Versammlung handelt es sich um das 21. Ökumenische Konzil. Es war zugleich das größte in der 2000-jährigen Kirchengeschichte. Anlässlich dieses Jubiläums treffe ich mich mit Msgr. Helmut Gfrerer zu einem Gespräch in seiner Wohnung in Spittal an der Drau.
Helmut Gfrerer hat von 1966 bis 1972 an der Gregoriana in Rom Theologie studiert und somit den Umbruch nach dem Konzil hautnah erlebt. Nach seiner Priesterweihe war er nach Kaplansjahren Regens im Priesterseminar in Salzburg und Pfarrer in Spittal an der Drau. Von 2001 bis 2009 leitete er das Bischöfliche Seelsorgeamt. In dieser Zeit ist er mir zu einem guten Freund geworden. In den letzten Jahren wirkte er als Pfarrer in den Pfarren Weißenstein, Kellerberg und Fresach. Seit Herbst 2024 ist er im Ruhestand. Im Blick auf das Konzilsende vor 60 Jahren möchte ich mit Helmut Gfrerer darüber sprechen, was dieses Konzil zu so einem besonderen Ereignis gemacht hat, wie es die Kirche verändert hat und was davon bis heute weiterwirkt.
KAPELLER: Wie war die Atmosphäre unmittelbar nach dem Konzil in Rom?
GFRERER: Es war ein wirklicher Aufbruch, der zu einem starken Umbruch führte. Für mich drückt sich das im folgenden Bild aus: Als ich im Herbst 1966 ins Priesterseminar des Germanicums nach Rom kam, lagen überall rote Talare herum, die allesamt wie auf einem Misthaufen entsorgt worden waren. Diese Talare waren über 400 Jahre lang von Studenten des Germanicums getragen worden. Nun erschien dieses äußere Zeichen als klerikal und unpassend und verschwand im Archiv. Im Studium selbst wurde die lateinische Sprache um die Weltsprachen ergänzt und die Inhalte des Konzils wurden in die Vorlesungen aufgenommen. In den folgenden Jahren begannen auch Frauen und Männer, die keinem Priesterseminar oder Orden angehörten, Theologie zu studieren.
KAPELLER: Was war nach dem Konzil anders als davor?
GFRERER: Die Veränderung in der Liturgie war am prägendsten. Das ist uns allen unter die Haut gegangen. Durch die Liturgiereform wurde das Feiern grundlegend verändert: So wurde die Messe nun nicht mehr parallel an Seitenaltären gelesen, sondern es gab eine gemeinsame Feier mit der Möglichkeit der Konzelebration.
KAPELLER: Bis es dann zu neuen liturgischen Büchern kam, dauerte es aber einige Zeit.
GFRERER: Diese Jahre waren sehr spannend. Es gab viele liturgische Versuche und Experimente. Durch die Zulassung der Muttersprache wurde es notwendig, die richtige Sprache und die geeigneten Worte zu finden. Das war anfangs nicht leicht und brauchte Zeit. Mir hat die Umstellung vom alten zum erneuerten Ritus sehr gut getan. Zentral war für mich, dass es in der Liturgie zu einer Umformung von innen heraus kam. Die versammelte Gemeinde brachte sich nun aktiv in den Gottesdienst ein.
KAPELLER: Wenn es um die Auslegung der Konzilstexte geht, ist oft vom „Geist des Konzils“ die Rede.
GFRERER: Dieser besondere Geist, der die Konzilstexte prägt, zeigt sich für mich zunächst im Abbau der klerikalen Leitungshierarchie. Mit dem Konzil kam es zudem zu einem neuen Bewusstsein für die Einheit der Christen. Weiters zeigt sich der Geist des Konzils für mich in der Aufforderung, sich aus einer Christusbeziehung heraus in der „Welt“ einzubringen und sich zu engagieren. Ein letzter Punkt ist mir wichtig: Der Geist des Konzils hat zu einem großen spirituellen Aufbruch geführt. Seitdem sind Exerzitien nicht mehr Priestern und Ordensleuten vorbehalten – viele Männer und Frauen führen ein geistliches Leben und begleiten andere darin.
KAPELLER: Worin unterscheidet sich heute die Kirche am stärksten von der „vorvatikanischen“ Kirche?
GFRERER: Ich hätte mir nicht gedacht, dass die Kirche in der Lage ist, die Exklusivität der Lehrmeinung zu relavievieren und sich auf unterschiedliche Sichtweisen einzulassen, ohne dabei den eigenen Standpunkt aufzugeben. Diese neue Haltung findet für mich einen besonderen Ausdruck in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes. Das ist für mich das zukunftsoffenste Dokument des Konzils. Darin wird für mich etwas von den viel zitierten geöffneten Fenstern spürbar. Hier lässt sich die Kirche auf die Welt ein und teilt so die Freuden und Sorgen der Menschen.
KAPELLER: Wie wurde das Konzil in Kärnten aufgenommen?
GFRERER: In Kärnten wurde das Konzil zunächst nur zögerlich und etwas gebremst aufgenommen. Es kam jedoch zu einer schrittweisen Umsetzung. Besonders wichtig war dabei sicherlich Bischof Dr. Joseph Köstner. Er wurde vom Konzil tief geprägt und verändert. Immerhin ging er als Fürstbischof ins Konzil und kam als Diözesanbischof wieder heraus.
KAPELLER: Bischof Köstner hat dann 1972 zur Umsetzung der Konzils die Kärntner Diözesansynode einberufen.
GFRERER: Die Diözesansynode, an der ich als junger Priester teilnehmen durfte, war wirklich ein herausragendes Ereignis. Sie ist ein Ausdruck der nachkonziliaren Arbeit, die weltweit geleistet wurde. In Kärnten konnten wir auf den synodalen Strukturen aufbauen, die beim Konzil grundgelegt wurden. Mit der Regelung zur Zweisprachigkeit gab es dann auch ein Ergebnis, das in der Öffentlichkeit stark wahrgenommen wurde. Ebenso wichtig war für mich, dass es im Anschluss an die Diözesansynode ganz selbstverständlich wurde, dass sich Frauen und Männer auch pastoral einbringen. Das war vorher nicht der Fall.
KAPELLER: Welche Herausforderungen stellen sich der Kirche heute?
GFRERER: Die Herausforderungen von heute unterscheiden sich kaum von denen unmittelbar nach dem Konzil. Wichtig scheint mir eine starke theologische und geistliche Basis zu sein. Diese soll kompetent vermittelt werden. Auf dieser Basis sollte sich die Kirche – ganz im Sinne des Konzils – den Fragen der Zeit stellen und sich der Welt öffnen. Ich wünsche mir, dass sie mit den Wissenschaften, der Kunst und den anderen Religionen im Gespräch ist, von ihnen lernt und ihre Botschaft fundiert einbringt.