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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Woran glauben

Rudolf Taschner, Professor für Mathematik, befasst sich in seinem jüngsten Buch mit dem Glauben

Der Autor des Buches „Woran glauben“ hält im März Vorträge in Tainach und Spittal. Mit dem „Sonntag“ sprach er über den Glauben an Zahlen, seine Sorgen um die Kirche und Irrwege des Glaubens

In seinem Buch “Woran glauben“ präsentiert der Mathematiker Rudolf Taschner 10 Angebote. Im SONNTAG-Gespräch analysiert er den Glauben an die Natur, die Kunst, an Zahlen und die Mathematik und spricht über seine Kritik an der katholischen Kirche. (© Foto: Manfred Weiss/Brandstätter Verlag)
In seinem Buch “Woran glauben“ präsentiert der Mathematiker Rudolf Taschner 10 Angebote. Im SONNTAG-Gespräch analysiert er den Glauben an die Natur, die Kunst, an Zahlen und die Mathematik und spricht über seine Kritik an der katholischen Kirche. (© Foto: Manfred Weiss/Brandstätter Verlag)
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Taschner (© Foto: ingo pertramer/brandstätter verlag)
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Taschner (© Foto: ingo pertramer/brandstätter verlag)

Sie sind als Mathematiker Vertreter einer exakten Wissenschaft, die sich mit Beweisen beschäftigt und klare Ergebnisse verlangt. Was hat Sie dazu bewogen, ein Buch über den Glauben zu verfassen?
Taschner: Nun, was ist ein Beweis? Es ist die Herleitung eines Sachverhaltes aus anderen Sachverhalten heraus, also eine Kette an Folgerungen. Aber womit beginnt denn diese Herleitungskette? Dieser Beginn sind die sogenannten Axiome, also unbeweisbare Feststellungen. Wenn Sie so wollen, ist das auch ein Glaube, der allerdings keine Konsequenzen für meine Existenz hat.

Wenn man das so hört, so stellt sich mir die Frage, warum Sie in Ihrem Buch den Glauben an die Mathematik nicht behandeln?
Taschner: Das gibt es schon. Aber es sind doch sehr skurrile Gestalten, die sagen: Ich glaube an die Mathematik. Dieser Glaube bringt auch nicht viel, daher finde ich ihn ziemlich uninteressant.

Aber einen gewissen Glauben an die Zahlen muss man heute doch feststellen. Wir leben in einer durch und durch ökonomisierten Welt, in der alles gemessen werden muss. Was man nicht in Zahlen ausdrücken kann, existiert nicht.
Taschner: Man möchte heute Sicherheit haben und daher dieses Festhalten an den Zahlen. Ich halte aber den Mythos, dass man die Welt letztendlich auf Zahlen zurückführen kann, für falsch. Man begibt sich dabei in eine Unmündigkeit, wenn man sich gänzlich auf die Zahlen verlässt. Das grenzt schon an Aberglauben.

Diese Unmündigkeit betrifft ja vor allem Menschen, die mit Zahlen wenig anfangen können. Es gibt ja den Spruch: Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Ohne entsprechendes Gefühl für Zahlen ist man leicht manipulierbar.
Taschner: Was da herauskommt, sieht man ja in der aktuellen Politik der USA. Der amerikanische Präsident behauptet einfach, bei seiner Amtseinführung waren mehr Menschen als bei Obama. Da helfen auch keine Bilder, die beweisen, dass das nicht stimmt. Das Postfaktische wird am besten durch Zahlen getarnt. Das ist schrecklich.

Hat nicht die Mathematik da eine ganz besondere Rolle im Sinne einer Aufklärung?
Taschner: Ja, das ist eine wichtige Aufgabe. Meine Frau und ich haben im Wiener Museumsquartier das „math.space“, wo wir genau diesen Umgang mit Zahlen anhand konkreter Beispiele darstellen. Wir nennen das „Zahlen der Macht“. Denn mit Zahlen wird ganz konkret Politik gemacht. Man könnte etwa die Pensionsentwicklung in Österreich sehr gut berechnen. Aber die Politiker schauen einfach nicht hin. Ich habe einmal eine Diskussion bei einer sogenannten „Elefantenrunde“ mit Vertretern aller Parteien verfolgt. Da wurden mehr als 200 Zahlen verwendet. Das hat die Menschen nur verwirrt. Man tut so, als ob man sich auskennt und hantiert mit Zahlen, was Kompetenz vortäuschen soll.

Zurück zu Ihrem Buch: Sie üben darin teils heftige Kritik an der Kirche. Einerseits sprechen Sie davon, dass die Kirche den Zug der Zeit versäumt hat und das II. Vaticanum zu spät gekommen ist. Andererseits kritisieren Sie aber auch die Weltoffenheit von Papst Franziskus. Wie müsste eine Kirche aussehen, mit der Sie zufrieden wären?
Taschner: Ich sehe das so: Als die Kirche gemerkt hat, sie ist zu spät dran, hat sie so stark beschleunigt, dass sie vor der Wand nicht mehr bremsen konnte. Mir kommt vor, dass die Kirche ihre alte Kraft aufgegeben hat. Heute bekommt man oft das Gefühl, dass man in einem kleinen Club ist, wo man halt versucht, lieb zu sein. So verliert man sein Publikum. Dasselbe gilt für die Predigten. Wenn ein Priester vorne ins Mikrofon nuschelt, dann hat das nichts mit dem ursprünglichen Sinn einer Predigt zu tun. Da erwarte ich mir mehr. Die Kirche sollte wieder viel selbstbewusster auftreten und nicht versuchen, in alle Richtungen hin nur lieb zu sein. Wenn man nur lieb ist, wird man beliebig. Das ist schade.  


Sie beginnen Ihr Buch mit Betrachtungen über den Aberglauben, gehen u. a. auf den Glauben an die Kunst, an das Ich, an Gott ein – und lassen eigentlich alle mehr oder weniger gelten. Einzig im Kapitel „Der Glaube an die Natur“ widerlegen Sie diesen Glauben am Schluss ungewohnt scharf. Was stört Sie so daran?
Taschner: Da bin ich besonders skeptisch. Wenn man Naturwissenschaft betreibt, erkennt man am besten, was am Glauben an der Natur problematisch ist. Wenn man an die Natur glaubt, hört sich ja jede Moral auf, weil nur die harten Gesetze der Natur gelten. Ein echter Natur-Gläubiger war Adolf Hitler, dessen Rassengesetze ja naturrechtlich definiert wurden. Dabei stellt sich die Frage, von welcher Natur wir sprechen. Vieles, was uns so erscheint, ist ja nur ein Erklärungsmodell. Nehmen Sie den Urknall. In dieser Form ist er ein Modell, um zu verstehen, warum die Welt so aussieht, wie wir sie sehen. Er ist also nur eine Konstruktion. Das betrifft viele andere scheinbar natürliche Gesetze. Ich lehne diese Form des Glaubens ganz massiv ab.

Ein eigenes Kapitel widmet sich dem Glauben an die Kunst. Wo aber liegt die Grenze zwischen Glaube und sich einfach an etwas zu erfreuen? Ist die Freude vieler Menschen an Kunstwerken, an Musikstücken oder Architektur schon ein Glaube?
Taschner: Es stimmt, der Übergang ist oft fließend. Ich denke, der Glaube an Musik oder Kunst im Allgemeinen beginnt dann, wenn man sich so richtig darin verlieren kann. Wenn man etwa in den Kaiserwalzer von Johann Strauß hineinhört, jede einzelne Sequenz wahrnimmt, sich eben darin verliert, dann wäre das Glaube. Solange man es nur so zur Unterhaltung hört, wäre der Begriff Glaube sicher zu weit gegriffen. Es hängt also auch mit Tiefe zusammen.  

Man hat den Eindruck, dass viele Menschen auf der Suche nach einem Glauben sind. Sie haben in Ihrem Buch zehn Wege aufgezeigt. Soll das Buch eine Art Wegweiser auf der Suche sein?
Taschner: In gewisser Weise ja. Es gibt viele Wege und ebenso viele Irrwege zum Glauben. Ein Irrweg ist es dann, wenn man sich in eine Abhängigkeit begibt. Man muss sich seines eigenen Verstandes bedienen. Früher gab es durch die viel stärkere Institutionalisierung des Glaubens durch die Kirche einen fixen Rahmen. Dazu dienten auch die Rituale und Symbole. Heute verlässt man diesen Rahmen, und wer seinen Verstand nicht benutzt, läuft halt dann irgendwelchen Heilsversprechen nach.

Ganz persönlich gefragt: Ist bei den zehn Wegen des Glaubens Ihr eigener Weg dabei? Verraten Sie, welcher es ist?
Taschner: Der Mensch ist ein ewiger Wanderer bis ganz zum Schluss. Mein Buch ist ja ein reiner Essay und man spürt schon, wo sich der Autor mehr und wo er sich weniger zu Hause fühlt. Aber offen und ehrlich gesagt: Um mich ganz zu outen, bin ich zu feig. Oder anders gesagt: Ich finde die Worte nicht, um mich zu outen.