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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Mission heißt, die Sendung der Kirche neu wahrzunehmen

P. Franz Helm, Steyler Missionar und Missionswissenschaflter, im "Sonntags"-Interview

Der Steyler Missionar und Missionswissenschaftler über Flüchtlingsströme, authentisches Christentum und die überraschende Aktualität des vor 50 Jahren verlautbarten Missionsdekretes "Ad gentes"

Der Steyler Missionar und Missionswissenschaftler P. Franz Helm SVD im SONNTAG-Interview über Flüchtlingsströme, authentisches Christentum und die überraschende Aktualität des vor 50 Jahren verlautbarten Missionsdekretes “Ad gentes“. (© Foto: SONNTAG / Haab)
Der Steyler Missionar und Missionswissenschaftler P. Franz Helm SVD im SONNTAG-Interview über Flüchtlingsströme, authentisches Christentum und die überraschende Aktualität des vor 50 Jahren verlautbarten Missionsdekretes “Ad gentes“. (© Foto: SONNTAG / Haab)
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„Das Evangelium entfaltet dann seine Leben spendende Kraft, wenn es mit den Augen der Leidenden gelesen wird“, haben Sie vor Jahren gesagt. Können Sie uns das ein wenig erläutern?

Helm: Ich bin als Neupriester nach Brasilien gekommen. Diese Erfahrung hat mich sehr geprägt. Dort habe ich erlebt, dass Menschen, die leiden oder in Armutssituationen sind, oft einen ganz direkten Zugang zum Wort Gottes finden, weil sie ihre persönlichen Erfahrungen sehr direkt mit der Erfahrung armer Menschen in der Bibel verknüpfen können. Das befähigt sie trotz ihrer Situation zu größtem Gottvertrauen und dazu, in ihrer Armut nicht verbittert zu sein, sondern noch mit anderen zu teilen. Das ist die Frucht des Glaubens und des Wortes Gottes: Gott ist groß; er ist größer als alles, was mir widerfahren kann; ich fühle mich bei ihm geborgen.

Mit den Worten von Papst Franziskus: Gott steht auf der Seite der Armen?

Helm: Durch ihren Zugang zum Wort Gottes werden diese Menschen für uns Verkünder der Botschaft Gottes. Die Befreiungstheologie sagt: Die Armen sind die Protagonisten der Evangelisierung. Sie sind keine passiven Almosenempfänger – sie brauchen lediglich unsere Solidarität. Und vom Evangelium her verdichtet: In ihnen begegnet uns Christus.

Wenn ich das mit Ihrem T-Shirt verbinde: Auch in den Flüchtlingen, unabhängig von ihrem Glauben, begegnen wir Christus?

Helm: Ja, auf mehreren Ebenen. Zuerst einmal: Menschen, die in Not sind, werden dazu noch verächtlich gemacht – ich denke an dieses Flüchtlings-Bashing –, sie werden zu den Geringsten gemacht. Aber in den Geringsten begegnet uns Jesus selber. Sie aufnehmen heißt ihn aufnehmen. „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“, sagt Jesus in Matthäus 25. Und dann: Ich verstehe nicht die Angst mancher Leute um das christliche Abendland: Jetzt hat das Abendland die Chance zu zeigen, dass es wirklich christlich ist, indem es den Glauben lebt und solidarisch ist. Was gibt es für eine schönere Verkündigung des christlichen Glaubens, als Menschen in Not aufzunehmen, ihnen Obdach zu geben und ihnen beizustehen? Früher sind die Missionare von Europa ausgesandt worden zu den anderen Völkern hin, hatten mühsame Reisen und viele Schwierigkeiten. Jetzt kommen die Völker zu uns, und wir haben die Chance, ihnen ein christliches Zeugnis zu geben. Vielleicht schickt sie uns der Herrgott. Vielleicht brauchen wir die Konfrontation mit einem gläubigen Islam, damit wir wieder zu einer Treue in unserem Glauben finden. Ohne berechtigte Bedenken wegen Sicherheit und Integration zu verdrängen, müssen wir die Dinge von der Seite her lesen, dass Gott uns damit etwas sagen will.

Missionstätigkeit hatte früher leicht den Geruch einer gewissen Arroganz: Wir wissen es besser. Ist der Schlüssel zu einem neuen Verständnis von Mission, den eigenen Glauben zuerst glaubwürdig zu leben?

Helm: Genau. Das Verständnis von Mission hat sich durch das Zweite Vatikanische Konzil stark verändert: Den Vorrang hat das gelebte Zeugnis, sagt Paul VI. in seiner Enzyklika „Evangelii nuntiandi“. Die Menschen glauben nicht den Lehrern, sondern denen, die es vorleben. In diesem Sinn unterscheide ich „missionieren“ und „missionarisch sein“. Missionieren heißt, den anderen zu etwas drängen. Ich nehme ihn nicht ernst in dem, was er denkt, was er fühlt, was er ist aufgrund seiner Identität, seiner Kultur, seiner Lebensgeschichte. Das Gegenteilige dazu ist „missionarisch sein“. Das ist keine Frage des Tuns, sondern des Seins. Wenn ich diesen Glauben, der mir geschenkt ist, lebe, wenn ich dementsprechend mein Leben gestalte und handle, bin ich eben nicht überheblich.

 

In den Geringsten begegnet uns Jesus selber. Sie aufnehmen heißt ihn aufnehmen.

Das Konzil war in vielem seiner Zeit voraus. Gilt das auch für das Dekret „Ad gentes“, das sich mit der Mission beschäftigt?

Helm: „Ad gentes“ ist ein Beispiel für das Konzil als Prozess. Es hat die ganzen drei Jahre des Konzils gedauert, bis dieses Dokument fertig war. Obwohl die Kurie schon zu Beginn des Konzils ein fertiges Dokument in der Schublade hatte, das  vorsah, vor allem die Verwaltung der Mission zu perfektionieren. Dieses Schema fiel aber durch, und eine Kommission, in der auch der Konzilsberater Ratzinger war, hat entscheidende Weichenstellungen getroffen. So steht schon im zweiten Abschnitt: Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch, weil sie an der Sendung des Vaters und des Sohnes im Geist Anteil hat.

Mit ihrem Wortspiel: Die Kirche missioniert nicht, aber sie ist missionarisch?

Helm: Genau. Kirche ist Communio, Gemeinschaft: Sie ist Gemeinschaft und stiftet Gemeinschaft und Versöhnung.  Kirche ist Mysterium: Sie ist ein Geheimnis, das wir nie einholen, weil Gott sie gegründet hat. Kirche ist Mission, weil dieser Glaube geteilt wird; so ist Kirche ja überhaupt entstanden. Wenn es aufhört, dass Glaube miteinander geteilt wird, gibt es auch Kirche nicht mehr. Das ist ja schon im trinitarischen Gott verankert: Gott ist Einheit in Verschiedenheit, deshalb ist auch Kirche ein Beziehungsgeschehen. Auch Mission hat zutiefst mit Beziehung zu tun. Nicht damit, Gebiete zu besetzen und für das Christentum zu gewinnen; das ist die Geschichte der unseligen Eroberungen im Namen Gottes. Nein, es geht darum, in Beziehung und Dialog zu treten und über das Heiligste, was Menschen haben, ins Gespräch zu kommen. Dann sind wir miteinander diesem Heiligen auf der Spur: das, was wirklich wertvoll ist in unserem Leben, was trägt, was unser Zusammenleben gelingen lässt. 

Viele sagen ja: Kirche ist veraltet, sie hat mit meinem Leben nichts tun.

Helm: Ein Punkt, der sehr wichtig ist, gerade weil wir Europäer immer mehr als Missionskontinent bezeichnet werden: Da ist ein Abschnitt in „Ad gentes“, wo es ums „Personal“ für die Mission geht. Besonderes Augenmerk wird auf einheimische Priester, Ordensleute und pastorale Mitarbeiter gelegt. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Mitarbeiter in ihrer Ausbildung nicht ihrer Lebenswelt und Kultur entfremdet werden dürfen. Die Ausbildung hat in Kontakt mit der Lebensrealität der Menschen und verwurzelt in sie zu geschehen. Ist das nicht auch für uns heute wegweisend?  

Mission heißt Sendung. Welche Sendung sehen Sie für die Kirche heute?

Helm: Wettersegen und Flurprozessionen sind schöne Bräuche, sie ziehen an, aber sie kommen aus einer agrarischen Welt. Mit dem Leben der meisten Menschen heute hat das nicht mehr viel zu tun. Wir brauchen neue Rituale, die die Welt und die Leidenden ins Zentrum rücken. Im Sinn des Wortes von Papst Franziskus: Ich will eine Kirche in ständigem Aufbruch und eine Kirche der Armen für die Armen. Für das christliche Zeugnis in einer pluralen Welt kommen wichtige Impulse vom Konzil, durch die Erklärung über die Religionsfreiheit, die Gewissensfreiheit, die Erklärung über die nicht-christlichen Religionen, an der Kardinal König mitgewirkt hat: Auch in anderen Religionen ist Gutes, Wahres und Schönes, und das kann nur von Gott kommen. Oder das Dekret, das zu Beginn nicht vorgesehen war, aber im Laufe des Konzils entstanden ist: die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“, Kirche in der Welt von heute. Das ist es, was wir heute unter Mission verstehen: Die Kirche muss ihre Sendung in der Welt von heute wahrnehmen, treu dem Evangelium.

Interview: Georg Haab


Zur Person:

P. Franz Helm SVD, geb. 1960 in Ybsitz, trat 1979 ins Noviziat der Steyler Missionare ein. Nach Theologiestudium und Priesterweihe war er bis Ende 1993 in der Pfarrseelsorge in Brasilien tätig und studierte Missionstheologie an der Päpstlichen Theologischen Fakultät in Sao Paulo. Von 1994 bis 1998 war der Steyler Missionar Generalsekretär der Päpstlichen Missionswerke in Wien und promovierte unterdessen in Missionswissenschaft. Derzeit ist er Vizeprovinzial und Provinz-Koordinator für Kommunikation. Helm, der seit April 2015 Geistlicher Assistent der Katholischen Frauenbewegung Österreichs ist, wurde Ende September zum Generalsekretär der Superiorenkonferenz gewählt. 

Anfang September weilte P. Helm als Exerzitienleiter im Bildungshaus Sodalitas/Tainach.