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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Irene Harand: Vorbild katholischen Widerstands

Irene Harand war Vorkämpferin gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus

Irene Harand aus Wien wurde zu einer ernsthaften Gefahr für den aus Braunau stammenden Reichskanzler Adolf Hitler. Eine vergessene österreichische „Gerechte unter den Völkern“. von Josef Till

Irene Harand auf der Umschlagseite ihres Buches “Sein Kampf“, in dem sie die Ideologie Hitlers bloßstellte (© Foto: Archiv)
Irene Harand auf der Umschlagseite ihres Buches “Sein Kampf“, in dem sie die Ideologie Hitlers bloßstellte (© Foto: Archiv)

Irene Harand, die die nationalsozialistische Rassentheorie Hitlers aufs Korn nahm, wurde am 7. September 1900 als Irene Wedl in eine gemischt-konfessionelle Familie mit drei Geschwistern geboren. Die Erziehungsziele in der Familie beruhten auf der Achtung und der Anerkennung des Anderen trotz der Verschiedenheit. Toleranz lehnte sie ab, weil diese nur die Duldung des Anderen, nicht aber Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung anstrebt. Nicht nur für ein gemeinsames Leben von Katholiken und Evangelischen sind Dulden, Ertragen, also Toleranz, zu wenig. Irene wurde katholisch getauft und zu einem weltoffenen und mutigen Menschen erzogen, der zu studieren beabsichtigte, was allerdings die soziale und wirtschaftliche Notlage nach dem 1. Weltkrieg verhinderte.
Einsatz gegen Antisemitismus
 Im Alter von 19 Jahren heiratete sie den 24-jährigen ehemaligen Offizier und späteren Manager Frank Harand. Die Ehe blieb kinderlos, was Irene ermöglichte, den Job einer Sekretärin auszuüben. Gegen Ende der 1920er-Jahre lernte sie den aus Rumänien stammenden jüdischen Rechtsanwalt Moriz Zalman kennen. Er hatte ehrenamtlich für Tausende Kleinanleger gegen die österreichische Regierung geklagt und Entschädigungen erstritten. Das ahmte Irene Harand nach, im „Verband der Kleinrentner und Sparer Österreichs“ arbeitete sie ebenso ehrenamtlich mit wie als Autorin bei der Zeitung „Welt am Morgen“. Gemeinsam mit Zalman gründete sie 1930 die „Österreichische Volkspartei“ (keine Vorgängerin der ÖVP!), wo sie sich für Kleinrentner und Arme sowie gegen den Antisemitismus in Gesellschaft und Kirche einsetzte.  
Mit Zalman gab sie die Wochenzeitung „Gerechtigkeit“ heraus und begann, in Europa Vorträge über die Bedrohung durch den Nationalsozialismus zu halten. Der deutsche Botschafter von Papen protestierte gegen Harands Aktivitäten als Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten, worauf Österreichs Regierung die Auftritte Harands verbat. Sie ließ sich nicht einschüchtern und veröffentlichte ein kleines Werk mit dem Titel „So? oder so?“, in welchem sie den Antisemitismus und seine Anhänger geißelte. Sie kanzelte den aggressiven Hass gegen die Juden mit der Begründung ab, dass „der Kampf gegen die Juden eine Versündigung gegen den Juden Jesus bedeute“ und Verhetzung, Gewalt und Leid zur Folge haben werde. Zalman und Harand gründeten die „Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot“ (1933), die sich als „Harand-Bewegung“ international einen Namen machte und den Nationalsozialismus bekämpfte.
1935 gab Irene Harand das Buch „Sein Kampf. Antwort an Hitler“ auf eigene Kosten heraus, das ins Englische und Französische übersetzt wurde. Es war eine Abrechnung mit Hitler und seinen Ideen, den Stereotypen und den Lügen, dem Rassenhass und Antisemitismus, den Vorurteilen und Feindbildern, der Menschenverachtung und Verrohung. Sie widerlegte die Ansichten Hitlers über die Juden mit biblischen und historischen Argumenten, erwähnte berühmte jüdische Persönlichkeiten in Dichtung, Medizin und Physik, nannte jüdische Erfinder, Forscher, Nobelpreisträger, Künstler, Schriftsteller und Komponisten, verwies auf die Fälschungen, die unter dem Titel „Die Protokolle der Weisen von Zion“ firmierten und firmieren.
Sie beschrieb die Ermordung des Ständestaatskanzlers Engelbert Dollfuß durch die Nationalsozialisten und nannte auch prekäre soziale und wirtschaftliche Verhältnisse als Nährboden für die Ausbreitung der NS-Ideologie. Die praktizierende Katholikin war zunächst Anhängerin der Monarchie und später des autoritären, demokratiefeindlichen, antikommunistischen und antinationalsozialistischen Ständestaates sowie Mitglied der Vaterländischen Front. Gegen antisemitische Strömungen im Ständestaat und in der katholischen Kirche trat die Harand-Bewegung vehement auf.
Die mit Leidenschaft (lat. Passio) vorgetragene Auseinandersetzung mit Hitlers „Mein Kampf“ hatte für Irene (griech. der Friede) Leidenserfahrungen (lat. Passio) zur Folge. Während des Anschlusses in den Märztagen 1938 befand sich Harand auf einer Vortragsreise in Großbritannien. Eine Rückkehr nach Hause war nicht mehr möglich, weil ein Kopfgeld von 100.000 Reichsmark auf sie ausgesetzt wurde und ihre Bücher in Salzburg öffentlich verbrannt wurden. Ihr Mann schaffte es gerade noch, Österreich zu verlassen. Zalman wurde im KZ Sachsenhausen ermordet.
Irene Harand konnte in New York Fuß fassen, wo sie für in Not befindliche österreichische Emigranten sorgte und jüdischen Familien aus Österreich bei der Einwanderung in die USA half. 1943 errichtete sie in New York ein Institut für jüdische Schriftsteller und Künstler, das nach 1945 zum Forum für kulturelle Beziehungen zwischen Österreich und den USA wurde.
1969 erhielt Harand von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem die Ehrenmedaille und 1971 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Sie starb am 2. Februar 1975 in New York und erhielt im gleichen Jahr am Wiener Zentralfriedhof ein Ehrengrab. 2008 wurde der Platz vor der Paulanerkirche in Wien zum Irene-Harand-Platz umbenannt.
Wahrheit und Gerechtigkeit
Ihr Leitsatz lautete: „Ich bekämpfe den Antisemitismus, weil er das Christentum schändet.“ Gegen den Nationalsozialismus müssen, so Harand, „Waffen angewendet werden“, die ihm unbekannt sind: „Idealismus und Opfermut, Vernunft und Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit“. Irene Harand ist die Verkörperung des weiblichen katholischen Widerstandes. Weil sie von niemandem zu vereinnahmen war, wurde sie jedoch vergessen. Irene Harands Buch „Sein Kampf. Antwort an Hitler“ (Neuauflage 2005) ist immer noch ein bedeutsamer Beitrag zur Bewusstseinsbildung in der Auseinandersetzung mit dem virulenten Antisemitismus. Große Verdienste bei der Entdeckung Irene Harands haben Erika Weinzierl, Peter Marboe und Christian Klösch.