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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Ich schreibe nicht, ich werde geschrieben

Jana Revedin im SONNTAG-Interview

Die kosmopolitische Autorin im Gespräch mit Christine Weeber über ihr jüngstes Buch „Isabel“, ihre literarische Schaffenskraft und die weltweiten Herausforderungen der Gegenwart.

Die kosmopolitische Autorin Jana Revedin im SONNTAG-Gespräch über ihr jüngstes Buch „Isabel“, ihre literarische Schaffenskraft und die weltweiten Herausforderungen der Gegenwart. (© Foto: Gernot Gleiss)
Die kosmopolitische Autorin Jana Revedin im SONNTAG-Gespräch über ihr jüngstes Buch „Isabel“, ihre literarische Schaffenskraft und die weltweiten Herausforderungen der Gegenwart. (© Foto: Gernot Gleiss)
Jana Revedin - zu Hause in Paris, New York und Wernberg (© Foto: Gleiss)
Jana Revedin - zu Hause in Paris, New York und Wernberg (© Foto: Gleiss)

Frau Professor Revedin, Ihnen ist wieder ein beachtliches Buch, „Isabel“, gelungen. Warum haben Sie es geschrieben?
Revedin: Diese Frage stelle ich mir nicht. Ich schreibe nicht, ich „werde  geschrieben“. In meinem Debütroman, „Lysis“, erfand ich vor Jahren zwei Protagonisten, einen Architekten, eine Schriftstellerin, die seither weiterleben, ihr eigenes Leben – ganz unabhängig von mir. Zum Reifen einer neuen Geschichte braucht es Zeit. Und die lasse ich ihnen …

In jedem Ihrer Romane kommen dann weitere Figuren „zu Besuch“, diesmal ist es eine betagte, doch immer noch umwerfende Schauspielerin, Isabel. Wer ist diese Isabel? Was verbirgt sie hinter ihrer schillernden Fassade?
Revedin: Sich selbst. Sie verbirgt das, was uns noch ausmacht, unser innerstes Wesen, das Ehrlichsein mit uns selbst. „Was heißt schon Erfolg, wenn das Herz leer wird“, wird sie sich irgendwann im Gespräch mit Ted, dem Architekten, eingestehen. Ein Leben lang hetzte sie von Rolle zu Rolle, von Triumph zu Triumph und machte doch niemals Frieden mit dem, was wir selten wirklich kennen und noch seltener wirklich annehmen: unserer eigenen Vergangenheit.

Gibt es diese Vergangenheit? Ist die Geschichte der Isabel eine wahre Geschichte?
Revedin: Ich erfinde nichts. Ich höre nur zu, forsche nach und füge dann neu zusammen. Auf dem Langstreckenflug von Paris nach Rio de Janeiro, wohin sowohl Isabel als auch Ted die Arbeit ruft, entspannt sich ein so grundlegendes wie leichtfüßiges Gespräch, das in Isabels Vergangenheit, ihre tragische Familiengeschichte führt. Dieser Roman ist ein Hohelied auf den Dialog, den direkten Austausch von Gedanken und Gefühlen, der so heilsam und erlösend sein kann und der doch in unserer globalisierten Kommunikationsflut zunehmend untergeht. Gleichzeitig ist dieser Roman auch eine Liebeserklärung an Isabel.

Das Buch beginnt am Tag nach den Anschlägen des 13. November 2015 in Paris. Wir erleben eine Stadt im Trauma, wir erfahren sie, als wären wir mit Ted, der hier lebt und lehrt, mitten im Geschehen. Sie selbst treten sehr für Menschenrechte, für Gleichberechtigung und Selbstentwicklung ein. Wie stehen Sie zu den weltweiten Terrorakten?
Revedin: Sie sind ein unsichtbarer ideologischer Krieg, der uns unverhofft trifft, weil wir seit Jahrzehnten einer falschen Definition von „Fortschritt“ hinterherrennen. Gedankenfreiheit, Kants wunderbares „Sapere aude!“ – „Wage zu wissen – kann nur auf Selbstverantwortung aufbauen. Als Hannah Ahrendt in den 1960er-Jahren nach „Permanenz, Stabilität, Dauer“ rief, entschied sich die westliche Welt für ein vermeintliches Endlos-Wachstum, für sinnlosen Überfluss. Jetzt, nach einem halben Jahrhundert hohler Kommerzgier wundern wir uns, religiösem Extremismus keine Stabilität geistiger und seelischer Inhalte entgegenstellen zu können.

Warum ist der Architekt Ted nach den Attentaten des 13. November 2015 in Paris dermaßen getroffen? Ist er persönlich involviert?
Revedin: Ted wird den Tag nach den Terrorattentaten mit seinen Studenten bei der Arbeit in der Universität verbringen. Die ganze Stadt steht unter Schock! Gegen Abend wird bekannt: Rick, Teds Doktorand und Assistent, ist eines der Opfer der Straßenschießereien vor dem Café Carillon. Ted wird Wochen brauchen, um diesen Verlust zu verkraften und sich selbst die Schuld am Tod des jungen Kollegen geben. Um Ricks Projekt in den Favelas von Rio fertigzustellen, bricht Ted am 1. Jänner 2016 schließlich auf …

Sie sind erfolgreiche Architektin. Wie wird man dabei zur Schriftstellerin – und sofort erfolgreich?
Revedin: Ich selbst bin bekanntermaßen menschenscheu, doch ich schaue meinen Zeitgenossen gerne „beim Leben zu“, lerne von ihren Bewegungen, ihren Blicken, ihren Worten, den Spuren, die sie hinterlassen. Von ihren Ausflüchten auch, ihren überspielten Schwächen, den Rissen in der Oberfläche, durch die doch das Licht dringt.

Welche Rolle spielt Religiosität in Ihrem Leben?
Revedin: „Sich nur dem Höchsten beugen“, mahnte Hilde Domin (deutsche Autorin 1909-2006). Diese Worte sind mir in Momenten der Enttäuschung, der Trauer, des Entsetzens über Missgunst, Ungerechtigkeit, Lüge, Gier immer Aufruf und Stütze. Mit ihnen nehme ich auch Kämpfe auf, wenn die denn notwendig sind.

Was sind die neuen Pläne Ihres literarischen Werkes? Welcher „Besucher“ kommt auf Ted und Sylvie zu?
Revedin: Es ist eine weitere authentische Figur, die mich seit Jahren umtreibt: ein berührendes Schicksal der Zwischenkriegszeit, ein bahnbrechender deutsch-französischer Designer, Jude, Kommunist, Homosexueller. Mitten im Zweiten Weltkrieg, 1941, stürzte er sich von einem New Yorker Hochhaus. Er wurde weder betrauert, noch erinnert. Denn gleichzeitig starben Hundertausende in Gaskammern, an der Front, auf der Flucht ... Ich erforsche seine Geschichte, den Grund seines Verzagens.

Sie haben zu Jahresbeginn eine Dozentur in Paris angetreten. Wird Ihnen dabei der „Haselweg“ in Wernberg, über den Sie ebenfalls ein Buch geschrieben haben, fehlen?
Revedin: Der kann mir nicht fehlen, denn den trage ich in mir. In Kärnten steht das Haus meiner Erinnerungen – und der Schauplatz meiner möglichen Zukunft. Wenn ich durchs Dorf gehe und die Nachbarn treffe, am Weg, im Wald, auf den Feldern, und sich ein kleines Gespräch ergibt, dann ist es, als sei ich keinen Tag weg gewesen.