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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

„Ich bin für meine Heimat nach wie vor kulturell tätig“

Die weltweit ankerannte Kärntner Literaturwissenschafterin Marie-Luise Caputo-Mayr im Gespräch mit Janko Ferk

Marie Luise Caputo-Mayr (© Foto: Sandra Agnoli)
Marie Luise Caputo-Mayr (© Foto: Sandra Agnoli)

Du bist Kärntnerin, in Villach aufgewachsen, mit heutigem Zweitwohnsitz in Kärnten. Hast Du in New York, Deinem Hauptwohnsitz, Heimweh?
Caputo-Mayr: Man kann es nicht Heimweh nennen, sondern eher ein Leben zwischen zwei Kontinenten. Ich bin ständig da und dort, vergleiche und sehe doppelt. Jetzt bin ich mit dem Internet mit meinen Freunden permanent verbunden und weiß, was in der „alten Heimat“ vor sich geht. Ja, manchmal weiß ich mehr, als meine Kärntner Bekannten, weil ich täglich im Internet österreichische Zeitungen lese.
Das Heimweh habe ich in ein „Doppelleben“ umfunktioniert. Ich bin weder ganz hier, noch ganz dort, aber immer verbunden, immer Teil von beiden, mit ständig tieferen Einsichten über beide.

Würdest Du noch einmal Deine zweite so weit von der ersten Heimat  entfernt finden wollen?
Caputo-Mayr: Das ist schwer zu sagen, fast unmöglich, im Nachhinein einen zweiten Lebensweg zu zeichnen, fast wie in second life! Es war ja nie geplant, ewig hier, in New York, zu bleiben. Das Schicksal entscheidet in diesen Belangen. Ich war seit dem Jahr 1968 an der Temple University in Philadelphia als Deutschprofessorin tätig und bin seit dem Jahr 2001 emeritiert.

Man könnte Dich als Brückenbauerin zwischen der alten und neuen Heimat apostrophieren.
Caputo-Mayr: Seit Beginn habe ich in New York meine österreichische Heimat vertreten und bin noch immer für sie kulturell tätig.
Es waren viele österreichische Künstler, Schriftsteller und andere kulturelle Repräsentanten meiner Heimat in meinem speziell auf Österreich ausgerichteten Deutschprogramm an der Temple University zu Gast. In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Kulturforum in New York habe ich beispielsweise Gottfried von Einem und Lotte Ingrisch, Friederike Mayröcker und Ernst Jandl, Peter Rosei, Hilde Spiel, Wendelin Schmidt-Dengler, Julian Schutting und aus Kärnten Anton Fuchs, um nur einige zu nennen, eingeladen.

Du bist ausgezeichnet worden.
Caputo-Mayr: Für alle diese Tätigkeiten und meine Kafka-Arbeit habe ich Ende der achtziger Jahre das Goldene Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst erhalten.

Du bist weltweit als Kafkologin anerkannt. Warum hast Du Dich für die Kafka-Forschung entschieden?
Caputo-Mayr: Meine Kafka-Forschung entstand im Zug meiner Österreicharbeit an der Temple University, wo ich im Jahr 1974 einen Weltkongress über Franz Kafka organisierte, der von vielen der damaligen Top-Kafkaforscher besucht wurde. Es kamen Walter H. Sokel, Wilhelm Emrich, Klaus Wagenbach aus Deutschland, die damals noch lebende Witwe von Johannes Urzidil, Gertrude, Reinhard Urbach aus Wien, Princetons Stanley Corngold und viele andere. Ich habe Franz Kafka ausgewählt, weil er der wohl faszinierendste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ist.

Deine Kafka Society of America ist ebenso weltweit bekannt. Warum hast Du die Gesellschaft gegründet?
Caputo-Mayr: Nach meinen Erfahrungen wurde mir klar, dass es weltweit noch keine Kafka-Gesellschaft gab. Ich gründete also mit viel Mut, Unwissen und mit Ermunterung durch den Doyen der amerikanischen Kafka-Forschung, Walter H. Sokel, in San Francisco auf der Convention der Modern Language Association of America, kurz MLA genannt, im Jahr 1975 die erste Kafka Society of America.

Du hast die Kafka-Forschung nachhaltig beeinflusst.
Caputo-Mayr: Ich habe seit dem Jahr 1975 als „allied organization“ der MLA jährlich zwei Kafka-Seminare organisiert. Diese Seminare haben im Lauf von fünfunddreißig Jahren wohl die wichtigsten Kafka-Themen diskutiert: Biografie, Politik, Arbeitsrecht, Frauen, Musik, Theater, Film, Judaismus, Zionismus, Prag, Psychologie, Philosophie, Übersetzungen, Nachdichtungen, globale Rezeption, Geschichte, Erinnerung, Kafkas Beziehung zur Tierwelt, kurz, wir haben nichts ausgelassen.

Kafka – und kein Ende?
Caputo-Mayr: Ja! Eine allumfassende Beschäftigung und ständige He-rausforderung, Neuentdeckung und Weiterbildung. Eine große Verantwortung.