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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Gott will, dass alle Menschen gut leben können

Über die Verlierer der Krise, Glaube und Wirtschaft und Orientierungshilfen aus der Katholischen Soziallehre

Die Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreich im "Sonntag"-Gespräch zu den Verlierern der Krise, Glaube und Wirtschaft und Orientierungshilfen aus der Katholischen Soziallehre

Magdalena Holztrattner, die Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreich, im “Sonntag“-Gespräch zu den Verlierern der Krise, Glaube und Wirtschaft und Orientierungshilfen aus der Katholischen Soziallehre (© Foto: SONNTAG / Haab)
Magdalena Holztrattner, die Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreich, im “Sonntag“-Gespräch zu den Verlierern der Krise, Glaube und Wirtschaft und Orientierungshilfen aus der Katholischen Soziallehre (© Foto: SONNTAG / Haab)
Dr. Magdalena Holztrattner ist Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreich (© Foto: Haab)
Dr. Magdalena Holztrattner ist Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreich (© Foto: Haab)

Die immer noch andauernde Wirtschaftskrise hat die Armen ärmer und die Reichen reicher gemacht. Was passiert da?

Holztrattner: Obwohl die Krise alle durchgeschüttelt hat, steigen die Reichen als Gewinner aus, die niedrigen Einkommensbezieher, junge Menschen ohne Erwerbsarbeit, Menschen in strukturschwachen Regionen – besonders Frauen! – sind die Verlierer, die über Steuern, Verlust ihrer Einkommen oder vorenthaltende Sozialleistungen den Großteil der Rettungsmaßnahmen zahlen. Wer profitiert davon? Was hindert uns, uns auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, diese Art von Sparprogrammen zu beenden, Spekulationen zu unterbinden und Steueroasen auszutrocknen? Oder eine Finanztransaktionssteuer einzuführen, die durch minimale Besteuerung große finanzielle Ressourcen für den Sozialstaat generieren würde? In wessen Interesse bleiben hier Gesetze und Entscheidungen auf der langen Bank – während andere durchgepeitscht werden? Nehmen Sie das Fortpflanzungsmedizingesetz oder das neue Islamgesetz. Warum werden im einen Fall Gesetze fortwährend blockiert und im anderen Fall mit einer Geschwindigkeit durchgezogen, die zu wenig Diskussion zulässt, keine Reifung, keinen gesellschaftlichen Prozess als den des Angstmachens, Verurteilens und Ausgrenzens?

Also eine Frage der Macht und wem die Macht dient? 

Holztrattner: Theologisch gesprochen: Welchem Gott diene ich mit meinen Entscheidungsbefugnissen? Dem christlichen Gott, der das gute Leben aller Menschen will? Der will, dass vor allem und zuerst die Armen lachen und in Freiheit leben können, dass sie zu essen haben und auch Feste feiern können? Oder dient meine Macht letztlich dem Gott des Geldes, das eine Ersatzgröße ist für etwas, mit dem ich mir Befriedigung, Bestätigung und Sinn erkaufen will?

Ist unser Glaube so theoretisch geworden, dass er für unser Handeln nicht mehr relevant ist?

Holztrattner: Der Anspruch ist an sich, dass Theorie und Praxis im Christentum ineinander übergehen; dass ich meine christliche Überzeugung auch im Alltag lebe. D. h. eben nicht immer meine eigenen Vorteile zu suchen, sondern zu schauen, dass es meiner Nachbarin und dem Kollegen auch gut geht. Und ebenso: Wo sind strukturelle Dimensionen, die Menschen in ihrer Lebensentwicklung würgen oder auch umbringen? Oder wie Papst Franziskus sagt: Es sind wirtschaftliche Zusammenhänge, die töten. Und das kann niemand, der wirtschaftliche Zusammenhänge ehrlich durchdenkt, leugnen. Nicht, dass eines unserer mittelständischen Unternehmen Menschen buchstäblich umbringt, das meint er nicht. Aber dass unsere internationalen Wirtschaftsbeziehungen großteils so gestaltet sind, dass einige wenige massive Gewinne daraus ziehen und  die große Mehrheit massive Verluste erleidet. Das können gesundheitliche Einbußen durch Raubbau an der Natur sein oder auch Morde im Auftrag von Konzernen oder Großgrundbesitzern. In diese Strukturen sind wir als Konsumenten, Arbeitnehmer, Unternehmer etc. verstrickt. Dazu müssen wir uns als Christen positionieren.

Obwohl die Krise alle durchgeschüttelt hat, steigen die Reichen als Gewinner aus.

In Ihrem Buch „Innovation Armut“ sprechen Sie und die anderen Autorinnen und Autoren sehr klar von der politischen Dimension der Christentums.

Holztrattner: Christentum und Kirche müssen politisch sein, weil wir uns auf die Seite der Unterdrückten, der armen Menschen, aber auch der Natur stellen müssen, wenn wir an den biblischen Gott des Lebens glauben. Dessen Haltung wird eindeutig vom Magnifikat der Maria über die erste öffentliche Rede Jesu in der Synagoge bis zur Sendung der Jünger bezeugt: Es geht darum, den Armen eine frohe Botschaft zu verkünden, zu schauen, dass die Menschen leben können, auch wenn sie von Krankheiten physischer, psychischer oder sozialer Art geschlagen sind. Und genauso Strukturen anzuprangern wie bei der Tempelreinigung. Wenn die letzte Instanz bei Entscheidungen nicht das Wohl der Menschen ist, sondern das Wohl des Marktes und individueller Interessen, läuft etwas falsch. 

Wir kümmern uns mehr um den Markt als um die Menschen?

Holztrattner: Markt und Wirtschaft werden allgemein gerne mit Glück identifiziert. Dahinter steht, glaube ich, die Angst vor Armut, die Angst, mit Menschen in Berührung zu kommen, deren Lebensbedingungen ich niemandem wünsche und vor denen ich selber Angst habe. Und: Wir reduzieren das Leben viel zu oft auf seine materielle Dimension und ökonomisieren alles – wir unterwerfen selbst unsere Beziehungen und Freundschaften der wirtschaftlichen Frage, was es mir bringt.

Der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister hat neulich im Interview eingemahnt, der Europäische Sozialpakt sei in Vergessenheit geraten ...

Holztrattner: Ich sehe das ähnlich. Wenn Europa als Vorbild leuchten will, braucht es neue Ideen, eine neue Sprache, neue Konzepte. Da könnte Griechenland auch ein Anlass sein, das zu üben. Welche neuen Wege gäbe es denn, damit die Folgen der Krise nicht ganze Bevölkerungen in die Knie zwingen? Man muss ja sehen: In Griechenland ist die Selbstmordrate seit der Wirtschaftskrise massiv gestiegen, ebenso die Zahl der Totgeburten, Depressionen greifen um sich. Dazu die Frage, was mit all den Gemeingütern – Bildung, Gesundheit, öffentliche Plätze etc. – passiert, die nun an
Private verkauft werden müssen.

Dabei hat man ja das Gefühl, dass auch dort gerade die Reichen gut aussteigen.

Holztrattner: Es geht darum, europaweit die Gleichheit der Menschen auch vor dem Fiskus sicherzustellen. Was heißt es, wenn sich Besitzer großer Vermögen und Kapitalien Schlupflöcher suchen und in Luxemburg, der Schweiz und auch Österreich nach wie vor die Gelder parken können, die sie ihrem Land durch Steuerflucht entziehen? Von der katholischen Soziallehre her sagen wir: Privateigentum ist gut und wichtig, aber es ist immer auch im Dienst des Gemeinwohls zu sehen. 

Was erwarten Sie in diesem Sinne von der Steuerreform?

Holztrattner: Meine Befürchtung ist, dass die Schere weiter auseinandergeht, dass große Vermögen und Einkommen letztendlich nicht so stark belastet werden wie niedrige Einkommen. Kleine Einkommen werden ja erheblich durch indirekte Steuern wie z. B. die Mehrwertsteuer reduziert. Das passiert bei vielen der geparkten Gelder nicht, die sind – auch in Stiftungen – vor den Steuern in Sicherheit gebracht. Mein Wunsch ist auch, dass in Österreich ein neues Bewusstsein gegenüber Steuern wächst: Dass Bürger gerne Steuern zahlen, weil sie wissen, dass der Staat nur durch Steuern dafür sorgen kann, dass die staatliche Gesundheitsversorgung oder Bildung zufriedenstellend bleibt oder der öffentliche Verkehr ausgebaut wird. Auch mehr Transparenz täte uns gut: In anderen Ländern ist es völlig normal zu wissen, was die Chefin verdient und wie viel Steuern das benachbarte Unternehmen zahlt. Wenn das allgemein transparent wäre, sähe man deutlicher, wo Ungerechtigkeiten verringert werden könnten. Das würde größeren sozialen Frieden und Zusammenhalt schaffen.  

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Dr. Magdalena Holztrattner, 1975 in Salzburg geboren, studierte Theologie und Religionspädagogik. Studienaufenthalt und Lehrtätigkeit in El Salvador mit Schwerpunkt Armutsforschung, Autorin. Holztrattner ist seit 2013 Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreich (ksoe).

Buchtipp:

Magdalena Holztrattner (Hrsg.), Innovation Armut. Wohin führt Papst Franziskus die Kirche?

Erschienen im Tyrolia-Verlag (2013), 143 Seiten, € 14,95.

Veranstaltungstipp:

Am 9. April startet die ksoe in Salzburg einen Lehrgang Geld und Leben. Wirtschaftskompetenz entwickeln“. Näheres dazu siehe www.ksoe.at!