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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Glaube und Zweifel sind Geschwister

Der Prager Priester und Philisoph Tomas Halik im "Sonntag"-Gespräch

Der Prager Priester, Theologe, Philosoph und Psychotherapeut über sein Buch sowie die Wege der Kirche im Jahr des Glaubens.

Der Prager Priester, Theologe, Philosoph und Psychotherapeut Tomas Halik im SONNTAG-Interview über Glaube, Kirche und Suchende (© Foto: KH Kronawetter / Internetredaktion)
Der Prager Priester, Theologe, Philosoph und Psychotherapeut Tomas Halik im SONNTAG-Interview über Glaube, Kirche und Suchende (© Foto: KH Kronawetter / Internetredaktion)
Halik: Glauben ist nie einfach (© Foto: kk)
Halik: Glauben ist nie einfach (© Foto: kk)

Papst Benedikt XVI. hat das „Jahr des Glaubens“ ausgerufen. Welche Chancen sehen Sie in diesem Jahr?
HalÍk: Der alte Widerspruch zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen existiert nicht mehr. Vielmehr sprechen wir heute von Suchenden. Es gibt Suchende unter den Gläubigen und unter den Nichtgläubigen. Im Jahr des Glaubens sollen wir für die Suchenden in der Kirche einen Raum schaffen. Das entspricht dem Gedanken von Papst Benedikt für einen „Hof der Völker“.

Wie kann es gelingen, hier eine Tür zu öffnen?
HalÍk: Man muss ein Suchender mit den Suchenden sein. Wenn für uns Glaube gleichsam der Besitz der Wahrheit ist, dann kommen die Suchenden nicht.

Ein schönes Zeichen angesichts des 50. Jahrestages des Konzils, wo es auch um eine Öffnung der Kirche zur Welt ging ...
HalÍk: Ja, sicher. Das ist kein Konformismus mit der Welt, sondern ein Dialog. Das II. Vaticanum hat im ersten Satz in Gaudium et Spes gesagt, die Freude, Ängste und Hoffnungen der Menschen sollten Freude, Ängste und Hoffnung der Gläubigen, der Nachfolger Christi sein. Das klingt mir nach einem Eheversprechen. Die Kirche hat dem heutigen Menschen Ehre, Treue und Liebe versprochen. Und jetzt kommt die Zeit der Nachfrage, ob die Kirche eine „Goldene Hochzeit“ mit den heutigen Menschen feiern kann. Ob wir 50 Jahre nach dem Konzil wirklich solidarisch mit den Menschen, ihren Sorgen, Freuden und Hoffnungen sind?

Und wie sieht die Bilanz aus? Können wir „Goldene Hochzeit“ feiern?
HalÍk: Es gibt in der Kirche viele Initiativen, die auf suchende Menschen eingehen. Aber es gibt schon auch andere Initiativen, die weniger sensibel sind.

Ein Suchender war der Zöllner Zachäus, den Jesus bei seinem Namen nannte und mit dem er ein Stück des Weges ging. In Ihrem Buch „Geduld mit Gott“ nehmen Sie Bezug darauf. Ist dieser Zachäus eine moderne Gestalt?
HalÍk: Dieser Zachäus ist für mich ein Gleichnis für die Kirche in unserem Land. Als wir das erste Mal in die Öffentlichkeit traten, gab es viele, die uns applaudierten, andere waren gegen uns. Aber die Straßen waren voll von diesen Zachäus-Gestalten. Sie waren Neugierige, wollten aber einen Abstand haben, die Übersicht bewahren. Jesus kam zu diesem Zachäus und hat ihn mit seinem Namen angesprochen. Das heißt, ich kenne dich, ich erkenne dich, ich möchte in deine Nähe kommen. Das hat die Kirche leider nicht getan. Mir wurde aber klar, dass es meine persönliche Sendung ist, nicht nur mit den Bekehrten zu verkehren, sondern diese Suchenden, Interessierten mit ihren Vorurteilen anzusprechen. Sie einzuladen oder noch besser: in ihre Nähe zu kommen. Nähe ist eine geistliche Qualität. Die Kirche sollte eine Nähe schaffen, eine Kultur der Nähe.

Wie kann die Kirche diese Menschen auf der Suche nach dem Glauben begleiten?
HalÍk: Es geht nicht nur um die Suche nach Kirche oder dem Glauben. Die Menschen sind auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Wir dürfen diese Menschen ja nicht vereinnahmen! Vielleicht werden manche davon nie Katholiken, aber sie gehen mit uns ein Stück des Weges.

Sie sprechen von den Suchenden. In Europa sind viele Menschen verunsichert: aus wirtschaftlichen und politischen Gründen, aber auch aus Glaubensnöten. Haben Sie ein Rezept für den alten Kontinent?
HalÍk: Wir brauchen nicht nur eine Gemeinschaft im ökonomischen oder administrativen Sinn. Die Einheit Europas braucht eine geistliche und moralische Atmosphäre. Die Kirche sollte dabei eine große Rolle spielen. Es geht aber nicht um eine Nostalgie nach dem christlichen Europa des Mittelalters, das es ohnehin nie gab. Das ist nur eine Phantasie der Romantik, und es weist nicht in die Zukunft. Das zukünftige Europa braucht einen Dialog, eine dynamische Einheit zwischen der christlichen Tradition und jener, die aus der Aufklärung kommt. Wenn die Christen den Säkularhumanisten feindlich gegenüberstehen, werden sie zu fanatisierten Fundamentalisten. Wenn der Säkularhumanismus aber den christlichen Glauben nicht ernst nimmt, führt dies zu einem Säkularfundamentalismus.

Ihr Buch heißt „Geduld mit Gott“. Wie ist das zu verstehen?
HalÍk: Ich bin überzeugt, dass man manchmal mit dem Schweigen, mit der Verborgenheit Gottes konfrontiert sein muss. Es gibt solche Momente in der Geschichte jedes Einzelnen, aber auch in der Geschichte der Kirche und der Welt. Ich denke an die kollektiven dunklen Nächte des 20. Jahrhunderts. Wenn wir mit dem Schweigen Gottes konfrontiert sind, müssen wir viel Geduld haben. Ich sage, die Atheisten haben keine Geduld. Sie erleben mit uns die Verborgenheit Gottes, ihr Schluss ist aber zu oberflächlich: Gott ist tot. Aber auch die religiösen Enthusiasten mit ihrem Halleluja sind nicht geduldig. Und die Traditionalisten, die immer wieder die alten Formeln wiederholen, sind auch nicht geduldig. Sie alle sind nicht imstande, diese stille Musik des Schweigens Gottes zu meditieren. Ich bin überzeugt, dass Glaube, Hoffnung und Liebe drei Arten der Geduld mit Gott, dem schweigenden verborgenen Gott, sind. Glaube ist für mich der Mut, in die Wolke des Geheimnisses Gottes einzutreten.

Sie waren Geheimpriester, arbeiteten im Widerstand, wurden verfolgt. Gab Ihnen Ihr persönlicher Glaube Kraft?
HalÍk: Ja, ich musste aus dem Glauben die Kraft schöpfen, in dieser schwierigen Situation durchzuhalten. Für mich ist der Glaube eine Kraft, um schwierige Situationen als Einladung und Herausforderung Gottes anzunehmen.

Ist es in schwierigen Lagen einfacher oder schwieriger, zu glauben?
HalÍk: Glauben ist nie einfach. Ich bin überzeugt, dass Glaube und Zweifel wie zwei Geschwister sind, die einander brauchen. Sonst führt der Glaube zu Radikalismus und Fundamentalismus und wird zu einer Karikatur seiner selbst.