Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Freund und nicht Richter

Univ.-Prof. Michael Schneider SJ im SONNTAG-Gespräch über Buße und Beichte

Unter dem Motto „Feier der Versöhnung“ hielt der Jesuit kürzlich einen Studientag für Priester. Zum Thema Sünde, Buße und Beichte sprach er mit Johann Sedlmaier, Leiter des Referates für Priester und Provisor von Arnoldstein

Der Jesuit Michael Schneider im SONNTAG-Gespräch über das Sakrament der Versöhnung, was Sünde eigentlich ist und die Rolle des Priesters beim Bußsakrament. (© Foto: Sedlmaier)
Der Jesuit Michael Schneider im SONNTAG-Gespräch über das Sakrament der Versöhnung, was Sünde eigentlich ist und die Rolle des Priesters beim Bußsakrament. (© Foto: Sedlmaier)
Michael Schneider SJ, Bischof Alois Schwarz und Subregens Richard Pirker beim Studientag in St. Georgen (© Foto: Sedlmaier)
Michael Schneider SJ, Bischof Alois Schwarz und Subregens Richard Pirker beim Studientag in St. Georgen (© Foto: Sedlmaier)

Hat sich das Sakrament der Buße, die Beichte, in unserer Welt überholt? Oder anders gefragt: Wozu braucht es heute noch die Beichte?
SCHNEIDER: Ich glaube, dass sich das Bußsakrament nicht überholt hat. Sie sehen es auch bei Jugendlichen sei es bei Nightfever oder Weltjugendtagen. Junge Menschen empfangen bei diesen Gottesdiensten das Bußsakrament und haben keine grundsätzlichen Schwierigkeiten damit. Es hat sich aber der Vollzug geändert. Man macht es nicht mehr pro forma, sondern nimmt es in den Alltag als Stück Lebensveränderung hinein. Es ist also mehr als eine rein „geistliche“ Übung, nämlich eine Hilfe, mit den eigenen Stärken und Schwächen im eigenen Leben zurechtzukommen. Darin zeigt sich beispielsweise ein neuer und hoffnungsvoller Zugang zum Bußsakrament.

Trotzdem gibt es unter manchen Priestern und Theologen die Meinung, früher standen die Menschen vor den Beichtstühlen Schlange und heute sind die Praxen der Psychotherapeuten überfüllt.
SCHNEIDER: Dieser Eindruck ist wohl etwas kurz gefasst. Ich mache sogar die gegenteilige Erfahrung: Therapeuten sind sehr wohl daran interessiert, dass ihre Klienten zum Priester gehen und dort im Bußsakrament die Absolution empfangen. In der Therapie kann zuweilen recht deutlich werden, dass es Dinge im Leben eines Menschen gibt, die durch ein Gespräch oder die Therapie allein nicht zu bereinigen sind. Gegenüber früheren Jahren sehen es Therapeuten auch gerne, wenn ich als Priester mit ihren Klienten ein geistliches Gespräch führe, weil so nochmals ganz andere Seiten im Leben von Menschen angesprochen werden können. Insofern meine ich, könnte man darüber nachdenken, ob die Therapie wirklich schon ein Ersatz des Bußsakramentes ist. Wenn Menschen das Bußsakrament heute weniger empfangen, muss man die Ursachen vermutlich wo anders suchen.

Wo zum Beispiel?
SCHNEIDER: Es kann ein Manko der Priester sein, heute nicht genügend Zeit und Kraft aufzuwenden, um diesem Sakrament zu entsprechen. Sodann gibt es eine Enttäuschung über die Kirche, die in moralischen Dingen nicht mehr als glaubwürdige Instanz erscheint. Im Jahr der Barmherzigkeit erfahren wir einen äußeren Anstoß, durch den die Gläubigen neu zum Bußsakrament finden können.

Hat die Kirche in Bezug auf die Beichtpraxis – früher war die Beichte zu Ostern oder zu Weihnachten schon ein „Zwang“ – vieles falsch gemacht? Kann man sagen, dass es hier auch Altlasten gibt?
SCHNEIDER: Ja, ich glaube, es gibt sogar sehr viele Altlasten. Die Kirche hatte in ihrer Bußpraxis nicht immer eine glückliche Hand (gehabt). Etwa in Ehefragen setzte man die Eheleute zuweilen ziemlich unter Druck. Das gab entsprechend große Enttäuschungen. Es kam teils zu einer Fixierung auf bestimmte Sünden. Weiterhin blieb der Beichtvorgang formalisiert und oberflächlich. Die Menschen gingen einen Gebotekatalog durch, so dass nicht immer deutlich wurde, was dieser mit ihrem Leben zu tun hatte. So entstand das Gefühl, dass sich die persönliche Schuld in einem ganz anderen Bereich des eigenen Lebens befindet, der aber bei der Beichte nicht zur Sprache kommen konnte. Hier sind die Gläubigen heute viel ehrlicher und sogar einfordernder geworden. Gerade in der Beichte wollen sie ihr Leben, so wie es tatsächlich ist, vor Gott bringen; sie wollen nicht „etwas“ bekennen, sondern sich selbst bekennen.

Es gibt bei uns die landläufige Meinung, die katholischen Priester sehen überall die Sünde. Kaum kommt man in die Kirche, bekennen wir unsere Sünden und bereuen. Die Rede kreist ständig um die Sünde. Was ist denn Sünde?
SCHNEIDER: Was Sie ansprechen, ist ein Doppeltes: Zum einen wurde Sünde banalisiert. Es wurde etwas als Sünde bezeichnet, was sie gar nicht ist. Theologisch gesehen ist Sünde im eigentlichen Sinn „Hass gegen Gott“ und ein Verhalten, in dem ich mit erhobener Faust gegen Gott agiere, wie es per Definition beispielsweise bei den Todsünden von Mord, Ehebruch und Glaubensabfall gegeben ist. Vieles von dem, was wir gemeinhin als Sünde bezeichnen, sind eher Verfehlungen und Schwächen im eigenen Leben. Hier wäre eine sorgfältige Differenzierung notwendig, insofern Sünde nicht gleich Sünde ist. In der kirchlichen Verkündigung war es sicher nicht glücklich und hilfreich, immer gleich auf die Sünde zu sprechen zu kommen. Die Sünde ist ja die negative Seite unseres Daseins. Die positive Seite sind die Tugenden. So haben wir als Priester den Gläubigen zu helfen, dass sie mehr aus der Kraft des Glaubens leben, und dazu verhilft gerade ein Leben aus den Tugenden. Man müsste deshalb in der Beichte stärker an den positiven Grundhaltungen des Glaubens arbeiten und diese thematisieren. Solches drückt sich in dem neuen Ordo Paenitentiae darin aus, dass hier nicht nur bedacht wird, was es an Sünde im eigenen Leben gibt, sondern auch, wie deren Vorgeschichte aussieht. Meist sündigen wir mehr in der Vorgeschichte als in der Sünde selbst. Etwa zum Beispiel durch Nachlässigkeit im Glaubensleben.

Was ist die Aufgabe des Priesters bei der Beichte? Welche Funktion nimmt dieser für den Beichtenden ein? Ist er ein strenger Richter, Stellvertreter Christi?
SCHNEIDER: Das Richterbild war sicher lange Zeit prägend. In letzter Zeit entstand das Bild des Arztes, nämlich dass der Priester heilend dem Gläubigen zur Seite steht. Ich würde ein anderes Bild bevorzugen, nämlich das des Freundes. Es heißt ja auch von Christus, dass er ein Freund der Zöllner, der Sünder und der Dirnen war. Ebenso sollte der Priester ein Freund des Sünders sein und ihm freundschaftlich zur Seite stehen, ihm also wieder aufhelfen. In alten Riten finden wir dies schon darin zum Ausdruck gebracht, dass er dem Sünder nach der Absolution sogar leiblich wieder aufhilft, um auf die Beine zu kommen.

Wir stehen jetzt am Beginn eines neuen Kirchenjahres, der Adventzeit in Vorbereitung auf Weihnachten. Traditionell ist das eine Zeit der Umkehr und Besinnung. Was möchten Sie Menschen am Beginn des neuen Kirchenjahres mitgeben?
SCHNEIDER: Zum einen: Ähnlich wie wir es im Schuldbekenntnis vor Gott eingestehen, Gutes unterlassen zu haben, könnten wir es uns bewusst vornehmen und etwa am Abend vergegenwärtigen, im Guten nicht nachlassen zu wollen. Wir können uns schon dadurch verfehlen, dass wir lieben Menschen – aus Faulheit oder Bequemlichkeit – Gutes vorenthalten. Zum anderen: dass wir in der Adventzeit als Vorbereitung auf Weihnachten bewusst das Bußsakrament empfangen, indem wir uns nicht nur einige Minuten darauf vorbereiten, sondern uns Zeit für eine gründliche Besinnung nehmen, um nochmals neu die Größe der göttlichen Barmherzigkeit und seiner Menschenliebe, welche unter uns in der Geburt des Erlösers erschienen ist, erfahren zu können. Dann findet ein Fest der Erlösung, wie es Weihnachten ist, seinen angemessenen Ausdruck auch im Empfang des Bußsakramentes.