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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Familiensynode: Von Polyphonie zum symphonischen Miteinander

Der Wiener Dogmatiker Tück über die Familiensynode, ihre Früchte und Chancen und wie Familie heute gelingen kann

Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück im SONNTAG-Interview über die Familiensynode, ihre Früchte und Chancen und wie Familie heute gelingen kann. (© Foto: Haab/Pixabay/Collage-Internetredaktion)
Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück im SONNTAG-Interview über die Familiensynode, ihre Früchte und Chancen und wie Familie heute gelingen kann. (© Foto: Haab/Pixabay/Collage-Internetredaktion)
 (© Foto: G.Haab)
(© Foto: G.Haab)

Wie schätzen Sie das Ergebnis der Synode ein?

Tück: Kritisch könnte man sagen: Das Ergebnis ist, dass es keines gibt. Aber eine solche Kritik übergeht, dass Franziskus zunächst einen synodalen Prozess angestoßen hat. Er will die unterschiedlichen Stimmen aus den diversen Regionen der Weltkirche hören – und baut darauf, dass im Hören auf diese Stimmen und im Durchgang durch Streit- und Konfliktprozesse eine Einigung gefunden wird. Erst dann, wenn alles gesagt worden ist, wird unterschieden und sondiert – und dann entschieden. Außerdem ist zu beachten, dass der Schlussbericht der Synode keinen Beschluss-, sondern Vorschlagscharakter hat. Der Papst, der ein guter Zuhörer ist, wird aus den synodalen Beratungen seine Schlüsse ziehen und entscheiden.

Eine Synode baut auf dem Prinzip des Dialoges auf, das auch Fundament der Demokratie ist?

Tück: Dialog ja, aber mit dem Demokratie-Vergleich wäre ich zurückhaltend. Die Synode ist kein Parlament, das über Gesetze abstimmt. Sie ist ein Beratungs- und Konsultationsgremium, das dem Papst bei der Leitung der Gesamtkirche hilft. Jeder Bischof soll als Hirte in Tuchfühlung mit dem Volk Gottes sein und dessen Anliegen einbringen. Sein Amt ist vor allem ein Dienstamt, das heißt, er soll – wie im Bild einer umgekehrten Pyramide – in, mit und unterhalb des Volkes sein, um demütig jede Stimme zu hören und auch die Wortmeldungen Ausgegrenzter zuzulassen. Auch das advokative Eintreten für die Stimmlosen gehört dazu. Wenn dann das ganze polyphone Stimmengewirr gehört wurde, ist eine Entscheidung zu treffen. Das wird Franziskus natürlich nicht im Alleingang tun, sondern „una cum“, wie das Konzil sagt, „gemeinsam mit“, deswegen hat er die Bischöfe ja zweimal nach Rom gerufen. Das ist ein neuer, synodaler Führungsstil, der das Prinzip der Kollegialität der Bischöfe stärker zur Geltung bringt.

Was am Schlusspapier ist für Sie besonders interessant?

Tück: Die Synode pflegt eine sensiblere und pastorale Sprache, die nicht von rechtlichen und dogmatischen Aspekten geleitet ist und auf Verurteilungen verzichtet. Auch wenn das Prinzip der Gradualität, das zwischen der sakramentalen Ehe als Vollform und eheähnlichen Beziehungen als Abstufungen unterscheidet, im Text nicht ausdrücklich erwähnt wird, so wird doch alles in allem in einem Ton der Wertschätzung gesprochen. Damit ist die Abkehr von einem Schwarz-Weiß-Denken verbunden und zugleich anerkannt, dass es auch außerhalb der Ehe Elemente des Guten und Wahren gibt. Die deutsche Synodengruppe hat sogar eine Entschuldigung ausgesprochen, dass die Kirche früher oft zu unbarmherzig und hart mit Menschen gesprochen habe, die ihr Leben außerhalb der klassischen Ehe führen – ledige Mütter, außerehelich geborene Kinder, Menschen in vorehelichen und nichtehelichen Beziehungen. Da wird ausdrücklich um Verzeihung gebeten. Das scheint mir wichtig, weil die „Reinigung des Gedächtnisses“ die Voraussetzung für eine glaubwürdige Reform ist. Man muss die eigenen Fehler selbstkritisch aufarbeiten, bevor man Neues angehen kann.

Was ist neu bezüglich wiederverheirateter geschiedener Christen?

Tück: Ich finde, dass das deutsche Abschlusspapier zu Recht gesagt hat, dass es keine einfachen und generellen Lösungen gibt, dass man genau hinschauen und unterscheiden muss, bevor man Entscheidungen fällt. Das Erste, was angeführt ist, ist die Differenzierung, ob jemand trotz aufrichtigem Bemühen, die Ehe zu retten, zu Unrecht verlassen wurde, oder ob jemand leichtfertig durch Schuld seine Ehe zerstört hat. Sodann wird ein Weg der Besinnung und Buße empfohlen, bei dem diverse Aspekte (die Kinder, der zurückgelassene Partner, die Bereitschaft zur Aussöhnung etc.) zu beachten wären. Das alles gilt es, im Gewissen vor Gott anzuschauen und in Begleitung eines erfahrenen Seelsorgers zu besprechen. Am Ende wird – vielleicht etwas ausweichend – gesagt, dass niemandem, der eine kritische Selbstbesinnung vornimmt, die Barmherzigkeit Gottes verweigert wird.

Im Gesamtpapier ist man aber vorsichtiger?

Tück: Das hängt auch damit zusammen, dass in der Synode Bischöfe der gesamten Weltkirche versammelt waren und in manchen Regionen kein Bedarf für eine Öffnung gesehen wird. Denken Sie an Afrika, wo es teils noch polygame Verhältnisse gibt, da möchte man nicht schon wieder von Öffnungsklauseln für Ausnahmefälle reden. Ob der Papst im Blick auf dieses Problem auf das Stichwort der „heilsamen Dezentralisierung“ zurückkommt und in den kulturellen Großräumen möglicherweise unterschiedliche Wege zulässt, bleibt abzuwarten. Der Papst ist Garant der Einheit: Er muss hier sorgsam vorgehen, damit er nicht die einen vor den Kopf stößt, wenn er den Wünschen der anderen nachgibt.

Erwartet man heute von der Kirche überhaupt eine Hilfe zu gelungener Ehe?

Tück: In unseren Breiten kann nicht mehr vorausgesetzt werden, dass Getaufte, die heiraten wollen, wissen, was eine sakramentale Ehe ist. Vielleicht deshalb nicht, weil es keine angemessene Einweisung gibt. Auf die Weihe zum Priestertum bereiten sich die Kandidaten jahrelang vor; vor der kirchlichen Eheschließung gibt es oft kaum mehr als ein Gespräch mit dem Pfarrer. Hier klafft eine Lücke, die man pastoral neu und kreativ füllen müsste. Insofern begrüße ich es, dass die Synode ganz entschieden für ein Ehekatechumenat eintritt, eine Art Glaubensschule, die die Paare vor der kirchlichen Trauung durchlaufen.

Was ist denn für Sie, in knappen Umrissen, der „Mehrwert“ einer sakramentalen Ehe?

Tück: Wenn man sich im Glauben wechselseitig vor Gott das Ja-Wort gibt, darf man darauf bauen, dass Gott seinerseits Ja sagt zu diesem Bund. Das Ja Gottes steht, auch wenn es schwer wird. Ein Mehrwert ist also, dass es einen Dritten gibt, der das wechselseitige Treueversprechen besiegelt und selbst Ja dazu sagt. Mir scheint, dass diese Hintergrundversicherung viel zu wenig im Bewusstsein ist. Sie kommt auch nur dann ins Bewusstsein, wenn der Weg der Ehe als geistlicher Weg verstanden wird. Dazu gehört, dass das Paar versucht, gemeinsam zu beten, die erlebten Ereignisse eines Tages am Abend gemeinsam reflektiert und vor Gott bringt, so dass der gemeinsame Weg auch tatsächlich ein Weg vor und mit diesem Dritten ist. Das ist eine ungeheuer erleichternde und oft befreiende Geschichte, in die ein Paar immer tiefer hineinfinden kann, wenn es dem Sakrament, das es empfangen hat, Nachbegleitung und Pflege zukommen lässt.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Jan-Heiner Tück, geb. 1967, studierte in Tübingen, München, Luzern und Freiburg. Seit 2010 ist Tück Ordinarius für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, seit 2006 Schriftleiter der internationalen kath. Zeitschrift „Communio“.

Tück ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

 

Veranstaltungstipp:

Theologischer Studientag „Jesus Christus – Retter und Erlöser?“ mit Jan-Heiner Tück, Freitag, 13. November 2015, 14.30 Uhr bis 19.30 Uhr in Maria Saal. Anmeldung bis 9. November: susanne.schlager@kath-kirche-kaernten.at oder 0676/8772-2410