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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Der Advent bereitet uns auf den Eintritt Gottes in unser Leben vor

Der Innsbrucker Neutestamentler Martin Hasitschka im Interview über seine Vorbereitung auf das Weihnachtsfest

Mit den großen Adventgestalten auf das Weihnachtsfest zugehen: Gedanken zum Fest und zur Vorbereitung darauf aus dem Neuen Testament

Der Innsbrucker Neutestamentler Martin Hasitschka im SONNTAG-Interview über seine Vorbereitung auf das Weihnachtsfest (© Foto: Christian Bargher / SONNTAG)
Der Innsbrucker Neutestamentler Martin Hasitschka im SONNTAG-Interview über seine Vorbereitung auf das Weihnachtsfest (© Foto: Christian Bargher / SONNTAG)
 (© Foto: Christian Bargher SJ)
(© Foto: Christian Bargher SJ)

Wie bereiten Sie sich auf Weihnachten vor?
Hasitschka: Ich beschäftige mich intensiv mit der Heiligen Schrift im Sinne der „lectio divina“, der geistlichen Schriftlesung. Dabei geht es um ein Doppeltes: das Hineinhören in die Schrift, was die Verfasser damals sagen wollten, und zweitens das Hineinhören in die Lebenssituation von heute, um bei diesem doppelten Hören herauszuspüren, inwieweit die Schrift für meine eigene Lebenssituation aktuell ist.

Welche Schriftstellen begleiten Sie dabei?
Hasitschka: Ich orientiere mich vor allem an den liturgischen Texten. Am ersten Adventsonntag z. B. wurde aus dem ersten Korintherbrief gelesen, wo Paulus sagt, dass wir auf die Offenbarung Jesu Christi warten. Jesus, der Auferstandene, ist in verborgener Weise schon da. Die Vollendung wird sein, wenn wir ihn sehen werden von Angesicht zu Angesicht. Wir gelangen in unserem Leben alle an eine Schwelle – die Schwelle vom Diesseits zum Jenseits. Dort kommt es in besonderer Weise zur Begegnung mit ihm. Das Evangelium vom ersten Adventsonntag enthält zwei Gleichnisse: Das erste: „Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum. Sobald seine Zweige saftig werden und die Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr all das geschehen seht, dass das Ende vor der Tür steht.“ Am Bild eines Frühlingsbaumes erkennen wir, dass der Sommer nahe ist. Das ist mit Hoffnung verbunden: Der Sommer ist die Zeit, in der die Früchte reifen.

Aber dann verbindet Jesus das Frühlingsbild mit Kriegen, Erdbeben und Hungersnöten.
Hasitschka: Er überträgt es überraschend auf die zum Teil bittere und leidvolle Situation, in der wir leben. Er spricht von der großen Bedrängnis, mit der seine Jüngerinnen und Jünger rechnen müssen. „Wenn ihr all das geschehen seht“ – Not, Verfolgung, aber auch das Auftreten von falschen Heilsbringern, und wir sehen und erleben es auch heute –, dann sollen wir zugleich erkennen, „dass das Ende vor der Tür steht“. Aber da ist ein Übersetzungsfehler, den die revidierte Einheitsübersetzung zum Glück verbessert hat: Nicht das Ende steht vor der Tür, sondern Er – Er, der Menschensohn. „Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr all das geschehen seht, dass Er vor der Tür steht.“ In diesem Sinn gleicht auch unser eigenes Leben einem blühenden Frühlingsbaum, der einmal wunderbare Früchte bringen wird. Wie der Baum sich auf den Sommer hin entfaltet, so zielt unser Leben hin auf eine einzigartige Vollendung.

Der Advent lenkt unsere Gedanken auf das Kommen Jesu in unsere Lebensgeschichte.

Das zweite Gleichnis ist das von den Knechten und dem Türhüter.
Hasitschka: Auch dieses Gleichnis  enthält das Bild der Tür. Jeder Diener hat eine Aufgabe, der er sich auf lange Sicht verantwortungsbewusst widmen muss. Das Gleichnis hebt aber die des Türhüters besonders hervor. Er hat die Aufgabe, auf die Rückkehr des Herrn zu warten. Auch das können wir auf unsere eigene Lebenssituation beziehen: Wie die Knechte haben auch wir unterschiedliche Aufgaben, Lebensaufgaben, denen wir uns langfristig widmen müssen. Zugleich aber müssen wir uns auch in der Rolle des Türhüters sehen, der wachsam ist. So lenkt der erste Adventsonntag unsere Gedanken besonders auf das Kommen des Auferstandenen Jesus in unsere Lebensgeschichte, die Begegnung mit ihm. Diese Begegnung wird etwas Wunderbares sein.

Und der zweite Adventsonntag?
Hasitschka: Da erwartet uns der Beginn des Markus-Evangeliums. „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, Gottes Sohn. Wie geschrieben steht beim Propheten Jesaja: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her.“ In Wirklichkeit sind es zwei Schriftstellen, die miteinander verbunden werden: Maleachi 3 und Jesaja 40. Beiden geht es um den Boten, der nicht irgendjemandem, sondern dem lebendigen Gott den Weg bereitet. Johannes als Adventgestalt macht darauf aufmerksam, was sich im Kommen Jesu ereignet. Seine prophetische Symbolhandlung: „Ich taufe euch im Wasser. Aber er, der kommt, wird euch im Heiligen Geist taufen.“ So wie Johannes Menschen in den Jordan eintaucht, dass sie ganz umspült und gereinigt werden durch das Wasser, so wird Jesus die Menschen eintauchen in den Geist, so dass sie ganz im Lebensraum des Geistes sind. Geist ist bei Markus eine Beziehungswirklichkeit: Wir werden hereingenommen in eine einzigartige, neue Gottesbeziehung.

Am dritten Advent ist wiederum von Johannes die Rede ...
Hasitschka: Ja, jetzt als Modellgestalt für den Zeugen: „Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht.“ Es braucht die Zeugen, die auf Jesus hinweisen, weil Jesus sich nicht selbst zur Geltung bringt. Und dann kommt etwas Überraschendes: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt.“ Johannes weist auf den hin, der mitten unter den Menschen steht. Das dürfen wir auch in mutiger Weise aktualisieren: Einer steht unerkannt mitten unter uns, und es braucht den Zeugen, der auf ihn hinweist, weil Jesus sich auch heute nicht machtvoll zur Geltung bringt.

Der vierte Advent führt uns Maria vor Augen.
Hasitschka: Sie ist die Modellgestalt des Glaubens. Glauben heißt: sich auf ein Wort einlassen. Das ist eine uns vertraute Stelle, wo der Engel zu Maria kommt und die Geburt des Kindes verheißt. Sie schließt mit dem Wort des Engels: Denn für Gott ist nichts unmöglich, worauf Maria antwortet: Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast.

Wenn Sie sich auf diese Weise vorbereiten: Was bedeutet dann Weihnachten für Sie?
Hasitschka: Im Weihnachtsevangelium, im Johannesprolog, hören wir: Das Wort ist Fleisch geworden. Gemeint ist: ein sterblicher, verletzlicher Mensch wie wir. In der Christnacht hören wir, dass die Weihnachtsbotschaft an die Hirten gerichtet ist, die wir zur ärmeren Bevölkerungsschicht rechnen dürfen. Auch im vierten Kapitel bei Lukas, beim ersten programmatischen Auftreten in seiner Heimatsynagoge in Nazaret, bezieht Jesus ein Jesaja-Wort auf sich: die Frohbotschaft für die Armen. Das ist sozusagen die Überschrift über das Wirken Jesu bei seinem ersten Kommen.

Was können wir daraus für unseren eigenen Heilsweg lernen?
Hasitschka: Die Evangelien sind im Licht des Osterglaubens geschrieben, in der Überzeugung, dass Jesus als der Auferstandene bei uns ist. Zugleich ist er der Kommende, den wir erwarten. Der Blick auf das erste Kommen Jesu und das Weihnachtsgeheimnis – wir haben gesehen, dass er zu den Armen, den Leidenden gekommen ist – stärkt in mir die Hoffnung auf sein zweites Kommen: das Kommen, das ich nicht nur in der Weltgeschichte denken muss, sondern das sich auch in meiner eigenen Lebensgeschichte ereignen wird. Wenn ich mich auf die Begegnung mit ihm vorbereite, versuche ich mich auf den einzustellen, der kommt. Die Vorbereitung auf die Begegnung prägt meine Lebensweise. Davon redet Matthäus 25: „Was ihr einem meiner geringsten Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Gleiches sagen die Werke der Barmherzigkeit. Auf diese Weise können wir uns vorbereiten auf die Begegnung mit ihm.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Univ.-Prof. Dr. Martin Hasitschka SJ, geb. 1943 in Schlad-ming, studierte zunächst Elektrotechnik. 1964 trat er in den Jesuitenorden ein. Nach seiner Priesterweihe 1972 war er zu-erst als Seelsorger und geistlicher Begleiter tätig, dann als Universitätsassistent. Habilitation 1987, 1992 Universitäts-Professor für Neutestamentliche Bibelwissenschaft. Martin Hasitschka war bis zu seiner Emeritierung 2011 Vorstand des Instituts für Bibelwissenschaften und Fundamentaltheologie der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck.