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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Aus der Krise nichts gelernt

Krimiautor Veit Heinichen im SONNTAG-Gespräch

Der berühmte Kriminal-Autor über internationale Kapitalverbrechen, die Wirtschaftskrise und ihre Folgen sowie das Eigenleben seiner Romanfiguren.

Veit Heinichen, international gefeierter Krimiautor aus Triest, im SONNTAG-Interview über das Geschäft mit der Not, die Angst vor den Opfern - nicht den Tätern, die falschen Folgerungen aus der Wirtschaftskrise und das Eigenleben seiner Romanfiguren. (© Foto: goina)
Veit Heinichen, international gefeierter Krimiautor aus Triest, im SONNTAG-Interview über das Geschäft mit der Not, die Angst vor den Opfern - nicht den Tätern, die falschen Folgerungen aus der Wirtschaftskrise und das Eigenleben seiner Romanfiguren. (© Foto: goina)
Krimiautor Veit Heinichen (© Foto: privat)
Krimiautor Veit Heinichen (© Foto: privat)

Ihr jüngstes Buch, „Die Zeitungsfrau“, ist in einem Milieu von Korruption, mafiösen Machenschaften und Wirtschaftskriminalität angesiedelt. Wie kommt man auf diese Themen?
Heinichen: Der Schlüssel dazu sind immer die Finanzflüsse dahinter. Man kann vereinfacht sagen: Folgen Sie dem Geld und Sie kommen auf die kriminellen Machenschaften drauf. Das betrifft aber nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Politik.


Es geht aber nicht nur um das große Geld, sondern immer auch um das Gegenteil: Armut.
Heinichen: Not wird immer wirtschaftlich und politisch missbraucht. Jetzt sind das die Flüchtlinge, früher waren es die Vertriebenen, die ja auch nie mit offenen Armen empfangen wurden. In diesem Umfeld ist dann immer auch Menschenhandel angesiedelt, Ausbeutung usw. Es gibt immer jemanden, der von Not und Armut anderer profitiert.

Wenn man sich so lange und so intensiv mit diesen Themen beschäftigt, wird man dann abgestumpft oder gar zynisch? Wie wichtig ist Ihnen ein ethischer Ansatz?
Heinichen: Die Ethik ist mir bei all diesen Dingen eminent wichtig. Es geht ja darum, Missstände aufzuzeigen. Es besteht immer noch ein Quäntchen Hoffnung, dass am Ende das Gute siegt.

Seit Jahren beschäftigen Sie sich mit Kriminalität – hat es sich zum Guten oder eher zum Schlechten geändert?
Heinichen: Ich will jetzt nicht besonders negativ erscheinen, aber ich sage so: Zum Besseren hat sich die ganze Situation nicht entwickelt. Wir leben nun einmal in einer Zeit der anhaltenden Wirtschaftskrise. Das wirft große soziale Probleme auf. Die Jugendarbeitslosigkeit führt in eine Perspektivenlosigkeit. In Klagenfurt schließen alteingesessene Geschäfte in der Innenstadt. All das sind keine guten Zeichen.

Darf man sich angesichts dessen wundern, dass viele Menschen Ängste empfinden?
Heinichen: Das nicht, aber was mich wirklich besorgt, ist die Verlogenheit, mit der die ernsten Probleme unserer Zeit behandelt werden. Anstatt seriös den Kern der Probleme zu analysieren und daraus gültige Lösungen zu finden, wird mit dumpfem Populismus an die niedrigsten Instinkte appelliert. Leider geschieht dies mit Erfolg. Wir jammern auf einem ziemlich hohen Niveau.

Viele Menschen haben den Eindruck, die oben können es sich auf Kosten der Bevölkerung richten.
Heinichen: Dieser Befund stimmt. Aber was macht man dann? Man sucht sich noch Schwächere, um auf sie loszugehen, anstatt die Drahtzieher zur Verantwortung zu ziehen.

Ist das Schreiben der Versuch, eine Veränderung zu bewirken?
Heinichen: Das Genre des Romans bietet schon die große Chance, einen Raum zu beleuchten, der sonst allzu leicht vertuscht wird. Ich war ja der Erste, der die Geschichte rund um die Kärntner Hypobank und das enorme Wirtschaftsverbrechen, das damit verbunden ist, im Roman aufgezeigt hat. In der Folge hat Richard Schneider seine beiden Schlüsselbücher zum Fall Hypo veröffentlicht. Ich weiß nicht, ob ohne meinen Anstoß jemals etwas ans Licht gekommen wäre.

Wird alles ans Licht kommen?
Heinichen: Für mich ist klar, dass niemals alles aufgedeckt wird. Man tut ja noch heute sein Möglichstes, kein Licht in die ganze Sache zu bringen. Das ist enttäuschend, hat aber mit dem Faktor Mensch zu tun. Der Bürger gewöhnt sich an alles und fragt nach einiger Zeit nicht mehr nach. Die Medien spielen dieses Spiel leider mit. Da habe ich mit meinen Romanen auch einen Vorteil: Ich habe niemanden, der mich zensurieren könnte oder der mit Inseraten Druck auf mich ausüben könnte. Da kann ich auch viel freier recherchieren.

Akribische Recherchen ziehen sich durch alle Ihre Romane. Es sind keine fiktiven Erzählungen, sondern reale Verbrechen.
Heinichen: Der Roman war immer der Spiegel einer Epoche und eines geografischen Raumes. Ich persönlich habe erfundene Geschichten nie gemocht. Schon als Kind war ich kein Freund von Märchen. Sie müssen auch bedenken, dass man als Autor in seiner Zeit lebt und die Geschehnisse um einen herum wahrnimmt. Ich versuche, diese Welt sehr präzise zu betrachten. Dann liefert sie so viele Geschichten, die erzählt werden wollen.

Wie real sind Ihre Protagonisten?
Heinichen: Den Commissario Proteo Laurenti gibt es nicht. Aber auch er ist aus Vorbildern entstanden. Ich habe für diese Figur lange recherchiert. Ihm liegen drei reale Personen zugrunde, mit denen ich eng befreundet bin: einer aus Palermo, einer aus Bologna und einer aus Ancona. Er ist also kein Hirngespinst. Seine Assistentin Marietta gibt es zumindest nicht im Polizeipräsidium von Triest. Ich verbringe sehr viel Zeit damit, die Figuren mit Leben zu füllen. Dann lasse ich sie laufen und folge ihnen. Ich kann nie vorhersagen, was sie als nächstes tun werden. Das macht die Figuren lebendig.

Wie real ist die Namensgeberin Ihres jüngstes Buches, die Zeitungsfrau?
Heinichen: Sie ist ja in jeder Beziehung überzeugend. Sie hat eine enorme Ausdruckskraft und Willensstärke. Sie ist die alleinerziehende Mutter von drei Kindern, die sie vor einem tragischen Hintergrund zu richtigen Menschen erzogen hat. Sie ist eine Person, bei der sich Informationen kreuzen. Wie auch in der Bar gegenüber ihrem Laden. Das ist alles real, denn so ist es ja auch im echten Leben.