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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Auf die Jugend hören ...

Stephan Sigg, Theologe und Jugendbuch-Autor, im SONNTAG-Gespräch

Der Theologe und Jugendbuch-Autor zur Frage, wie die Kirche wieder einen besseren Zugang zur Jugend findet, und über Freundschaft

Stephan Sigg, Jugendbuch-Autor und Theologe, wünscht sich, dass die Kirche auf Jugendliche zugeht, ihre Sprache spricht und ihre Symbole verwendet. Denn: “Jugendiche sind offen für die Fragen des Lebens.“ (© Foto: Tiroler Sonntag / Sigg)
Stephan Sigg, Jugendbuch-Autor und Theologe, wünscht sich, dass die Kirche auf Jugendliche zugeht, ihre Sprache spricht und ihre Symbole verwendet. Denn: “Jugendiche sind offen für die Fragen des Lebens.“ (© Foto: Tiroler Sonntag / Sigg)
Stephan Sigg, einer der meist gelesenen christlichen Jugendbuch-Autoren (© Foto: sigg)
Stephan Sigg, einer der meist gelesenen christlichen Jugendbuch-Autoren (© Foto: sigg)

Ihr neues Buch „Nächtelang und meilenweit“ handelt von der Freundschaft. Haben Bücher Jugendlichen noch etwas zu sagen?
Sigg: Bücher sind grundsätzlich eher statisch. Deshalb ist es gut für Jugendliche, wenn man durch die Gestaltung gewisse Herausforderungen einbaut: dass man das Buch zum Beispiel umdrehen muss, lässt auch neues Denken zu und bewirkt, sich auf ein Thema neu einzulassen, die Perspektive zu wechseln. Das Thema Freundschaft ist immer aktuell: egal welches Alter, welche Zeit. Durch die Denkanstöße und Tests regt das Buch auch zur Aktion an.

In sozialen Netzwerken haben Jugendliche unzählige Freunde. In der Realität sieht es oft anders aus. War diese Tatsache für Sie der Auslöser, dieses Buch zu schreiben?
Sigg: Ja und nein. Man hat noch nie so viel über das Thema Freundschaft nachgedacht und hinterfragt wie heute, weil sich die sozialen Rahmenbedingungen stark verändert haben: Wir sind mobiler, reisen, studieren oder arbeiten woanders und können mit der ganzen Welt verbunden sein. Dabei helfen die neuen Medien. Jugendliche wissen aber sehr wohl, dass Facebook-Freunde Kontakte sind und nicht das gleiche wie echte Freunde.

Brauchen Jugendliche heute Anleitungen, Freunde zu finden beziehungsweise Freundschaften zu pflegen?
Sigg: Es gibt keine Rezepte und Anleitungen, eher würde ich es Tipps nennen, was man konkret machen kann. Manchmal braucht es gar nicht viel, um etwa einen Konflikt zu beseitigen, um dem anderen schwierige Zeiten zu erleichtern. Manche Jugendliche sind auch Außenseiter – für diese soll es eine Ermutigung sein, offen auf andere zuzugehen.

Wie und wo haben Sie für Ihr Buch recherchiert? Wie schaffen Sie es, eine jugendgerechte Sprache zu finden?
Sigg: Überall und sehr lange. Es spielen meine eigenen Erfahrungen, die ich als Jugendlicher und Erwachsener gemacht habe, hinein. Bei jedem Buch frage ich mich: Bin ich noch ganz dran? Durch Schreibworkshops, Jugendzeitschriften, Pop-Musik, Filme und Medien versuche ich mitzubekommen, was gerade wichtig ist. Dabei fokussiere ich mich, welche Bilder verwendet werden. Ich bin oft mit Bussen und Zügen unterwegs. Plötzlich höre ich einen Satz, wenn sich Jugendliche unterhalten, der ein Gefühl ausdrückt, der Bilder im Kopf entstehen lässt. Gerade im Religiösen muss die Sprache moderner werden. Dabei versuche ich, mit konkreten Beispielen zu arbeiten, zum Beispiel: „Wirf doch wieder einmal einen Blick in deinen Kleiderschrank.“ Dies könnte Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ausdrücken.

Was möchten Sie mit Ihren Büchern, mit religiösen Texten erreichen?
Sigg: Ich wünsche mir, dass religiöse Texte die Herzen erreichen. Dorothee Sölle ist ein Vorbild darin für mich. Die Kirche müsste Jugendliche aktivieren, ihre Gedanken, Emotionen und Fragen zu artikulieren. Eigentlich kommunizieren wir so viel wie nie zuvor, aber das, was mich wirklich beschäftigt, gebe ich nicht preis. Kirche könnte diesen Raum ermöglichen.

Was macht für Sie persönlich eine gute Freundschaft aus?
Sigg: Freundschaften fallen einem oft zu, aber man muss auch etwas tun dafür. In unserer schnelllebigen Zeit mit vielen Veränderungen ist Freundschaft etwas Verlässliches, eine Heimat, ein Ruhepol, wo man sein kann, wie man ist. Mir ist wichtig zu vermitteln, dass es sich lohnt, in Freundschaften zu investieren. In einer guten Freundschaft muss man sich nicht verstellen, man muss sich selbst akzeptieren und den anderen. Der andere braucht nicht mein Spiegel zu sein, sondern man muss die Gegensätzlichkeiten akzeptieren und mehr noch, sie als Bereicherung annehmen. Widerstände, die die Freundschaft schwierig machen, wie Schul- oder Ortswechsel oder gegensätzliche Hobbys, lassen wahre Freundschaft oft noch wachsen.

Warum liegt Ihnen als Theologe so viel am Thema Freundschaft? Braucht es gelungene menschliche Beziehungen, um eine Beziehung zu Gott aufzubauen bzw. zu erfahren?
Sigg: Auf jeden Fall. Gott begegnet mir im anderen Menschen, darum ist Glaube und Gottesbeziehung ohne den Kontakt zu anderen nur schwer möglich. Der Glaube wird im Mitmenschen konkret und gleichzeitig zur Herausforderung. Es gibt Menschen, die mich zuerst irritieren, die mir nicht so sympathisch sind, auf die ich mich einlassen muss.

Welches Potenzial hat Freundschaft für unsere Gesellschaft?
Sigg: Das ist ein Dauerbrenner in meinen Büchern. Freundschaft soll auch nicht verzweckt werden, aber Jugendliche sollen sich dessen bewusst sein, dass sie unsere Welt positiv verändern können. Mit Freunden haben wir´s lustig, wir schauen aufeinander, aber wir haben auch Verantwortung für die, die keine Freunde haben oder denen es nicht so gut geht. Wir können diakonisch wirken, Impulse geben, das einmal auszuprobieren.

Setzt sich die Jugend mit Fragen der Spiritualität auseinander?
Sigg: Jugendliche sind offen für die Fragen des Lebens. Das Thema ist aber die Sprache. Wie die Fragen in der Kirche gestellt werden, kommen sie nicht an und werden nicht verstanden.

Das heißt, Inhalte werden zu wenig jugendgerecht oder „cool“ vermittelt?
Sigg: Man muss zuhören, wie die Jugendlichen heute reden, mit welchen Fragen sie sich beschäftigen. Im Grunde sind es nicht neue Fragen, nur die Begrifflichkeit ist eine neue. Ich orientiere mich an der Medienwelt und auch am Internet. Die Onlinesprache ist vielschichtiger, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Nehmen wir als Beispiel bei Facebook den „Gefällt-mir“-Button oder die Möglichkeit, jemandem zu folgen. Es steckt einiges hinter diesen Symbolen. Man müsste in diese Richtung viel mehr experimentieren. Dabei sollte man aber nicht nur die Teenager im Auge haben, sondern auch die Generation der heute 30- und 40-Jährigen. Viele wünschen sich von Seiten der Kirche eine lebensnahe Sprache.

Mit welchen Methoden kann man Jugendlichen Glaubensfragen vermitteln? Kommt es nur auf die Sprache an?
Sigg: Man jammert zwar, dass die Jugendlichen nicht über Religion reden, aber man bietet ihnen wenig Chancen, dies zu üben. Man kann sie Gebete zeichnen und malen oder Gebete auch mit Gebärden oder mit Tanzbewegungen zum Ausdruck bringen lassen. Es gibt viele Möglichkeiten über den Text hinaus. Ich sehe darin auch große Möglichkeiten für die Erwachsenen.