Organisation

Referat für Menschen mit Behinderungen

Lichtblicke

Damals wollte ich keine Freunde sehen und schon gar nicht deren Kinder. Und trotzdem haben sie mir unendlich gut getan.

 (© Foto: Haab)
(© Foto: Haab)

Vor einiger Zeit habe ich einer Bekannten vom schwierigen und dramatischen Start des Lebens unserer ältesten Tochter erzählt. Nach 18 Jahren habe ich das wahrscheinlich schon recht abgeklärt getan – sie hat mich daraufhin erstaunt gefragt: „Hast du denn nie geweint?“ Und da ist mir wieder eingefallen, wie sehr ich in den ersten Jahren geweint habe. 

Ich habe geweint, weil alles nicht so war wie bei anderen, weil ich mir die Geburt unseres ersten Kindes so anders vorgestellt hatte, weil ich mich die ganze Zeit fragte: Warum gerade wir? Ich erinnere mich daran, wie emotional diese erste Zeit gewesen war und wie schwer es mir damals gefallen ist, Freunde zu sehen, Freunde zuzulassen.

Immer wieder fragen mich heute Menschen, wenn in ihrem Bekanntenkreis ein behindertes Kind geboren wird: Was soll ich machen? Soll ich anrufen?, und ich sage immer: Ja, bitte ruf an! Erwarte aber nicht, dass sie deinen Rat hören wollen oder dass du mit offenen Armen empfangen wirst – aber geh trotzdem hin. Ich erinnere mich gut an die Flut von gut gemeinten Tipps und Ratschlägen, die ich damals bekam, aber einfach nicht annehmen konnte, für die ich gar kein Ohr hatte und für die ich einfach noch Zeit brauchte.

Am meisten hat mir eine Freundin geholfen, die zur selben Zeit ein Kind bekommen hat. Sie hat angerufen und gefragt, ob sie mich besuchen dürfe, aber ich wollte sie und das Kind nicht sehen. Sie hat sich jedoch von mir nicht abschütteln lassen und ist trotzdem gekommen. Dann ist sie einfach bei uns gesessen, und es war gut so. Ich spürte, dass der Schmerz zu heilen begann.

Damals ist für mich ein Licht aufgegangen: Das Leben geht weiter. Meine Freunde sind immer noch meine Freunde. Und es ist schön, dass es sie gibt. Sie leiden genauso wie ich: Jeder trägt sein Leid, gemeinsam tragen wir unser Leid. Es gibt kein Abwägen.

Alexandra Liechtenstein

 

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