Organisation

Referat für Menschen mit Behinderungen

Felix, kommst du heute wieder zu uns?

Ein Gespräch über den Zivildienst und die Entstehung von unsymmetrischen Freundschaften

 (© Foto: privat)
(© Foto: privat)

Felix Seilern ist Zivildiener in einer Einrichtung der Caritas für Menschen mit Behinderung im Weinviertel. Interview: Renate Trauner

 

Sie sind Zivildiener im Behindertenbereich. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Seilern: Für den Zivildienst habe ich mich entschieden, weil ich anderen Menschen in irgendeiner Art helfen wollte. Das könnte ich beim Zivildienst eher als beim Heer, habe ich mir gedacht. Auch meine Brüder haben den Zivildienst absolviert, einer sogar im Behindertenbereich. So ist mir die Entscheidung nicht so schwer gefallen. Jetzt bin ich schon sieben Monate in der Einrichtung in Retz und kenne viele Klientinnen und Klienten, weil ich in vielen Werkstätten

aushelfe.

Jetzt können Sie schon auf eine erfahrungsreiche Zeit zurückblicken.

Seilern: Ja! Seit Beginn meines Zivildienstes hat sich meine Sichtweise von Menschen mit einer Behinderung sehr verändert. Früher bin ich dem behinderten Menschen auf der Straße freundlich begegnet und nicht mehr. Hier sehe ich, dass jeder eine eigene Persönlichkeit ist. Jeder hat seine Stärken und Schwächen, seine Vorlieben, das, worüber er sich ärgert, was er nicht so gern macht und so weiter. Jeder hat seine eigene Ausdrucksweise, seinen eigenen Humor. Der eine hat sich schneller mit mir angefreundet, und der andere hat mehr Zeit gebraucht. Auch ich spüre, dass ich zu dem einen eine bessere Beziehung habe als zum anderen, so wie in der Gesellschaft auch. Bevor ich hier meinen Zivildienst begonnen habe, fragte ich mich: Wie werde ich mich mit den Menschen verständigen? Was soll ich mit ihnen reden? In diesen Monaten habe ich gelernt, dass ich mit jedem anders reden muss und kann. Ich weiß jetzt, wie ich ein Gespräch aufbaue, was mir der andere erzählen möchte und was uns beide interessiert. Ich bin offener geworden und traue mich auch, etwas zu fragen. Manche reden mit mir auch darüber, was sie stört und was sie freut. Sie sehen mich mehr als Freund.

Was sind Ihre Aufgaben?

Seilern:In der Früh komm ich sehr gern in den Dienst. Am Weg zum Arbeitsplatz begegne ich vielen Klientinnen und Klienten, die mir freundlich zulächeln, mich grüßen oder sogar zu mir laufen und mich fragen: „Felix, kommst du heute zu uns in die Werkstatt?“ Der eine Bewohner erzählt mir gern und freudestrahlend das Ergebnis des Fußballspiels vom Vortag, der andere zählt auf, was er gemacht hat. Was ist das Schöne in Ihrer Arbeit? Hier lerne ich durchs Tun, ganz praktisch. Es ist anders als in der Schule. Was ich von einer Betreuerin gelernt habe, kann ich gleich anwenden, das, was ich gesehen habe, kann ich gleich selber ausprobieren. Erkannt habe ich auch, wie wichtig jedem einzelnen seine Arbeit ist, auch wenn es scheinbar einfache Tätigkeiten sind , die jeden Tag gleich ablaufen. Das habe ich mir gar nicht so gedacht.

Können Sie das noch ein wenig erläutern?

Seilern: Die Menschen machen ihre Arbeit sehr gewissenhaft und sind oft verstört, wenn sie im Ablauf irritiert werden. Frau G., die täglich nach dem Mittagessen die Mülleimer zum Mistsammelplatz entleeren geht, ist irritiert, wenn sie einmal nicht gehen kann. Ebenso braucht Herr Z. besondere Aufmerksamkeit, wenn er die tägliche Hauspost nicht im gewohnten Ablauf verteilen kann. Mit Frau G. und Herrn Z. habe ich gelernt, ihre Probleme ernst zu nehmen und mit ihnen eine Lösung zu finden, sei es eine andere Zeit, einen anderen Ablauf oder eine andere Beschäftigung. Frau G. und Herr Z. haben gespürt, dass ich sie ernst nehme, und sie haben meinen Lösungsvorschlag angenommen. Sich füreinander Zeit nehmen, den anderen ausreden lassen, nachfragen, wenn ich etwas nicht verstehe, all das ist hier sehr wichtig. Da habe ich im Miteinander viele Erfahrungen gesammelt und viel gelernt. Die Menschen freuen sich, dass wir miteinander arbeiten, und das freut auch mich. Da macht selbst das Unkrautjäten Spaß. Manche Menschen müssen zur Arbeit motiviert werden. Wenn es gelingt, den ein oder anderen davon zu überzeugen, dann wird es meist ein schönes Erfolgserlebnis für uns alle.

Gibt es auch Schwieriges in Ihrer Arbeit?

Seilern: Schwierig sind für mich die Situationen, wo es zu Streitereien kommt und Menschen aggressiv werden. Von den Betreuern habe ich viel im Umgang mit gewalttätigen Menschen gelernt. Anfangs war ich dabei und habe beobachtet, wie sich KlientInnen von den BetreuerInnen wieder beruhigen lassen. Wenn ich jetzt in der Werkstatt bin und ein Konflikt auftritt, kann auch ich den einen oder anderen beruhigen. Das hilft allen in der Werkstatt und freut auch mich.

Wie sind die Begegnungen gewachsen?

Seilern: Hier ist es nie langweilig. Es gibt immer kleine Arbeiten, die wir gemeinsam tun können, zum Beispiel ein selbstbemaltes Papier mit Hilfe einer Schablone für eine Schachtel zuschneiden oder die Jause vorbereiten. Und es gibt immer jemanden, der etwas erzählen will und dem ich gern zuhöre. Da schaltet sich Frau P. ein und meint: „Ja, mit Felix kann man sehr gut reden, der hört einem zu, der ist ein guter Freund! Nein, Freund sagt man da nicht. Wie sagt man? Ja, ein guter Kumpel!“.