Das Evangelium nach Johannes

Betonung der Identität Jesu mit Gott und seiner Sendung durch Gott

Ein “Adler“ als Symbol für den Evangelisten Johannes in der Pfarrkirche St. Josef-Siebenhügel - Emaileinlegearbeit von Josef Kolblinger auf der Tabernakeltür (© Foto: Internetredaktion - KH Kronawetter)
Ein “Adler“ als Symbol für den Evangelisten Johannes in der Pfarrkirche St. Josef-Siebenhügel - Emaileinlegearbeit von Josef Kolblinger auf der Tabernakeltür (© Foto: Internetredaktion - KH Kronawetter)

Das Evangelium nach Johannes hat folgenden Aufbau:
Joh 1,1-18  Prolog
Joh 1,19-12,50 Die Offenbarung Jesu vor der Welt
Joh 13,1-20,31 Die Offenbarung Jesu vor den Seinen:
13-17: Vor den Seinen
18-20: Passion und Ostern
Joh 21   Nachtrag
Aufgrund der schwer nachvollziehbaren Abfolge einiger Texte, geht man von folgender ursprünglicher Reihenfolge aus: Joh 4,1-54 → 6,1-71 → 5,1-47 → 7,15-24 → 7,1-14.

Zum Verfasser des Johannesevangeliums:
Irenäus von Lyon nennt Johannes, den Sohn des Zebedäus, als Verfasser des vierten Evangeliums. Das Zeugnis stammt aus der Zeit um 180. Auch Papyri aus dem zweiten Jahrhundert bezeugen diese Zuweisung. Das Evangelium selbst nennt den Namen des Verfassers nicht. Es spricht aber häufig vom Jünger, den Jesus liebte. Die Figur des Lieblingsjüngers wurde wahrscheinlich von einem Bearbeiter des Evangeliums eingeführt. Sie tritt am Ende des Evangeliums besonders häufig auf – meist im Umfeld von Petrus. Einerseits steht der Lieblingsjünger über Petrus, andererseits wirkt er merkwürdig funktionslos. Die Figur wurde also aller Wahrscheinlichkeit nach eingeführt, um durch das Naheverhältnis des Lieblingsjüngers zu Jesus die Autorität des Evangeliums zu untermauern. Eine historische Person lässt sich hinter dieser Figur nicht festmachen.
Der Verfasser des vierten Evangeliums dürfte also ein herausragendes Mitglied der johanneischen Gemeinde gewesen sein, der uns namentlich nicht mehr bekannt ist. Nach seinem Tod haben Mitglieder der johanneischen Schule die Texte vom Lieblingsjünger und Joh 21 eingefügt, sowie die Eschatologie (die Rede von den letzten Dingen) durch den Aspekt des künftigen Heils ergänzt.

Abfassungszeit und –ort:
Es gibt keine Daten, die zur Festlegung eines genauen Datums führen könnten. Viele Autoren gehen davon aus, das Evangelium sei kurz nach 100 entstanden.
Auch über den Ort der johanneischen Schule ist bereits viel spekuliert worden. Zunächst fällt die gute Kenntnis jüdischer Sitten und der Topographie Jerusalems auf. Jüdische Autoritäten stehen im Vordergrund, von den heidnischen wird nur Pilatus genannt. Die Sprache weist viele Anleihen aus dem Semitischen auf. Zudem ist das Evangelium durch die noch nicht vor langer Zeit vollzogene Trennung der Kirche vom Judentum stark geprägt worden. Diese Argumente verweisen uns nach Palästina oder Syrien bzw. in eine Stadt mit einer starken jüdischen Gemeinde. Andererseits wird seit Irenäus von Lyon (180) Ephesus als Entstehungsort bezeugt. Diese Zuweisung hat schon in der alten Kirche eine bedeutende Rolle gespielt.

Das Evangelium nach Johannes und die synoptischen Evangelien:
Neben einigen Stellen, die Johannes mit der synoptischen Tradition gemein hat, fallen die Unterschiede besonders ins Gewicht:

  • Nach Johannes weilt Jesus mehrmals in Jerusalem. Der Schwerpunkt seines Wirkens liegt in Jerusalem und Judäa. Die Synoptiker hingegen folgen dem Schema öffentliches Wirken Jesu in Galiläa – Weg nach Jerusalem – einmaliger Aufenthalt in Jerusalem, Tod und Auferstehung.
  • Das Todesdatum Jesu ist bei Johannes der Tag, an dem die Pessachlämmer geschlachtet werden, bei den Synoptikern ist es der folgende Tag.
  • Die Tempelreinigung steht bei Johannes zu Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu, bei den Synoptikern ist sie der Grund für seine Gefangennahme.
  • Zudem unterscheiden sich der Stil des Evangeliums und die Auswahl des Materials deutlich von den Synoptikern.
  • Der religionsgeschichtliche Hintergrund des Johannesevangeliums:

Die Gnosis:
Die Grundzüge dieser Irrlehre lassen sich folgendermaßen zusammenfassen. Die Welt stammt von einem bösen Schöpfergott, der auch den Menschen geschaffen hat. Der Mensch ist zwar im Materiellen gefangen, dennoch schlummert in ihm ein Funke des Göttlichen. Ein Offenbarer kommt nun vom Himmel in die Welt und macht dem Menschen seine göttliche Herkunft bewusst. Die Erlösung geschieht demnach durch Erkenntnis. Seit die Lehre der Gnosis bekannt ist, wird über ihren Einfluss auf das Johannesevangelium spekuliert. Dagegen spricht, dass die Gnosis zu dieser Zeit erst im Entstehen begriffen war und Johannes höchstens Vorstufen der Gnosis gekannt haben durfte.

Das Judentum:

Die starke Betonung der Juden im Evangelium lässt auch auf entsprechend großen Einfluss des pharisäischen und hellenistischen Judentums schließen. Zudem ist gerade bei Johannes von großer Eigenständigkeit auszugehen.

Theologie:
Das Johannesevangelium ist geprägt von einer starken nachösterlichen Perspektive. Es spricht der erhöhte Christus. Im Vordergrund steht die starke Verbindung zwischen Christus und Gott: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Der Evangelist betont einerseits die Identität Jesu mit Gott, andererseits wird der Sendung des Sohnes durch den Vater großer Stellenwert beigemessen. Jesus ist gekommen, um den Willen Gottes zu tun, der Sohn ist dem Vater gehorsam. Seine Sendung dient der Rettung der Welt. Das Göttliche steht im Vordergrund – die Stunde des Leidens ist zugleich auch die Stunde der Verherrlichung. Johannes misst dem Sohn-Gottes-Titel besondere Bedeutung zu. Er tritt erläuternd zum Messiastitel, der alleine nicht ausreicht, um die Herkunft Jesu zu bezeugen. Dies gipfelt schließlich im Bekenntnis des Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28).
Die Weltsicht des Johannesevangeliums unterscheidet sich an entscheidenden Punkten deutlich von der Gnosis. Die Welt ist durch das Wort (den Logos) entstanden. Das Böse ist ihr also nicht in die Wiege gelegt. Die Welt hat sich jedoch vom Logos-Christus, der ihr von Anfang an innewohnt, entfernt und ihn abgelehnt. Johannes betont den offenkundigen Gegensatz zwischen der Welt, gepaart mit den Begriffen Fleisch, Finsternis, Tod, Hass und Gott, verbunden mit den Begriffen Geist, Licht, Leben und Liebe. Der Glaube allein kann vor dem Gericht retten. Jesus wird allerdings nicht als Richter dargestellt, um seine Rolle als Heilbringer nicht zu verdunkeln. Der Unglaube selbst bewirkt das Gericht, so wie der Glaube vor dem Gericht rettet und zum ewigen Leben führt. Die Sünde schlechthin ist demnach der Unglauben. Durch den Glauben wird der Mensch der sündigen Welt entnommen. Er lebt zwar noch in ihr, ist aber nicht mehr von ihr. Die Rettung ist das Werk des Sohnes. Er ist der Offenbarer, der die Menschen zur Entscheidung zwischen dem Licht und der Finsternis drängt. Glauben heißt also, anzuerkennen, dass Jesus der Messias und Sohn Gottes ist. Das Heil kommt von Gott. Die johanneische Erlösungslehre kann mit folgendem Zitat umrissen werden.

Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat (Joh 3,16).
 

Jesus ist der Offenbarer Gottes, zugleich aber auch Inhalt der Offenbarung. Die „Ich-bin-Worte“ nehmen Bezug auf die Offenbarungsformel im Alten Testament („Ich bin Jahwe“ - etwa in der Erzählung vom brennenden Dornbusch Ex 3,14). Das Johannesevangelium überliefert sieben Bild-Offenbarungsworte:

  •  Ich bin das Brot des Lebens (Joh 6,35)
  •  Ich bin das Licht der Welt (Joh 8,12)
  •  Ich bin die Tür (Joh 10,7)
  •  Ich bin der gute Hirte (Joh 10,11)
  •  Ich bin die Auferstehung und das Leben (Joh 11,25)
  •  Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6)
  •  Ich bin der wahre Weinstock (Joh 15,1)

Die meisten der Bilder stammen aus dem Alten Testament. Manche von ihnen werden durch ein Wunder erläutert (zum Beispiel: Ich bin das Licht der Welt – die Heilung des Blindgeborenen).

Das Wunder wird bei Johannes als Zeichen verstanden. Die Wunder sollen also nicht in sich selbst betrachtet werden. Jesus offenbart durch diese Zeichen seine Herrlichkeit. So wird deutlich, dass Gott in Jesus gegenwärtig ist. Die Stunde der Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit beginnt mit der Hochzeit zu Kana und gipfelt in der Erhöhung Jesu am Kreuz. Dies ist „die Stunde“, für die der Menschensohn in die Welt gekommen ist.
Wenn man den Seewandel als Wunder versteht, überliefert Johannes neben den sieben „Ich-bin-Worten“ auch sieben Wunder. Drei von ihnen sind in der synoptischen Tradition beheimatet:

  •  Die Hochzeit in Kana (Joh 2,1-12)
  •  Die Heilung in Kafarnaum – synoptisch (Joh 4,46-54)
  •  Die Heilung des Gelähmten am Teich Betesda (Joh 5,1-18)
  •  Die wunderbare Speisung am See von Tiberias – synoptisch (Joh 6,1-15)
  •  Der Seewandel – synoptisch (Joh 6,16-21)
  •  Die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9,1-41)
  •  Die Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1-53)


Der Sühnegedanke wird bei Johannes durch das Bild des Lammes zum Ausdruck gebracht (Joh 1,29). Jesus hat sich selbst als sündentilgendes Opfer dargebracht und so alle Opfer vollendet. Er stirbt in der Stunde, in der die Pessachlämmer im Tempel von Jerusalem geschlachtet werden. Wie diesen, wird auch an ihm kein Gebein zerbrochen. Die johanneische Eschatologie ist stark vom Gedanken der Erlösung hier und jetzt geprägt. Wer glaubt, hat das Leben bereits, der Tod hat seine Dramatik verloren. Dabei geht es nicht um eine Verwandlung des Menschen oder eine neue Qualität des Menschseins. Der Glaube stiftet Gemeinschaft mit Christus und dadurch letztlich auch mit Gott. Diese Gemeinschaft kann auch vom Tod nicht zerstört werden.
Johannes betont immer wieder die Rolle des Geistes. Er wird in den fünf „Parakletsprüchen“ Beistand genannt. Sein Wirken ist auf die Erkenntnis der Wahrheit ausgerichtet. Zudem verleiht er die Befähigung zum rechten Beten. Johannes hat den Pfingstbericht mit dem Ostergeschehen verknüpft. Der Auferstandene erscheint den Jüngern am Ostersonntag, haucht sie an und teilt ihnen so den Geist mit.