Das Gottesgeschehen feiern

Bibel und Liturgie - ein Beitrag von Theologe und Philosoph Walter Kirchschläger, em. Univ.-Professor für Exegese des Neuen Testaments an der Universitären Hochschule Luzern

Biblische Gebete und Zitate ziehen sich wie ein roter Faden durch den Gottesdienst (Foto: KNA)
Biblische Gebete und Zitate ziehen sich wie ein roter Faden durch den Gottesdienst (Foto: KNA)

„Im Namen des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ – diese bekannte Formel steht am Beginn der meisten Gottesdienste in unserer Katholischen Kirche. Damit stellt die zur Liturgie versammelte Gemeinschaft ihr Feiern und Beten in Beziehung zum dreifaltigen Gott und gibt ihrem Tun damit eine aussagekräftige Grundlage. Denn Gottesdienst feiern können wir nicht einfach aus uns selbst, und es ist auch kein Selbstzweck. Die Bezugnahme auf den dreifaltigen Gott erinnert uns daran, dass wir am Beginn unseres Lebens als Christen ganz bewusst in den Wirkbereich dieses Gottes hineingestellt wurden: Bei der Taufe wurde diese dreifaltige Gottesbezeichnung über uns proklamiert und damit in der Verbindlichkeit eines Sakramentes zum Ausdruck gebracht, dass der jeweils betroffene Mensch neu und bleibend dem Wirkbereich dieses Gottes zugeordnet ist. Sichtbares Zeichen dafür ist der Name, mit dem wir in dieser Zeremonie erstmals feierlich angesprochen wurden: „N.N., ich taufe Dich im Namen des Vaters, …“ Wenn wir zum Gottesdienst zusammenkommen, erinnert uns die vorstehende Person an die Grundlage, die dafür in unserer Taufe gelegt wurde.

Zusage der bleibenden Gemeinschaft

Gemeinsam bekräftigen wir in feierlicher Weise, dass wir uns erneut als so auf Gott ausgerichtete und Gott zugeordnete Gemeinschaft versammelt haben. Nachdem dieses Bewusstsein wieder aktualisiert wurde, kann die leitende Person mit der Begrüßung der Gemeinde den Gottesdienst eröffnen. Dass wir dies tun können, wissen wir aus der Heiligen Schrift. Die angesprochenen ersten Worte einer liturgischen Feier finden wir ursprünglich in den letzten Versen des Matthäus-Evangeliums. Die Sendung der Jünger durch den Auferstandenen beinhaltet vor allem seinen Auftrag, die Menschen in seine Nachfolgegemeinschaft zu rufen. Dies geschieht durch die Unterweisung über Wirken und Verkündigung Jesu und durch die Taufe: „Tauft sie [die Menschen] auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19). Als Folge davon sagt der Auferstandene seine bleibende Gemeinschaft zu: „Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). – Deswegen und auf dieser Grundlage können wir Gottesdienst feiern.

Die Bibel in der Liturgie

Bibel und Liturgie gehören untrennbar zusammen. Deshalb gibt es keinen Gottesdienst, in dem nicht das Wort der Heiligen Schrift verkündet wird. Nicht nur in der Eucharistiefeier bildet der Wortgottesdienst eine bedeutsame erste Einheit. Die erneuerte Leseordnung hat nach dem Konzil bisher vielfach ungehörte biblische Texte in den Gottesdienst gebracht. Die überarbeitete Einheitsübersetzung 2016 ist vom Anliegen getragen, eine besser verständliche Sprache zu verwenden, ohne die Eigenheiten und literarischen Schönheiten der alten Texte ungebührlich zu glätten. Nicht immer ist dieses Kunststück gelungen, oftmals kommt das Gefühl der Überforderung auf: zu viele Texte, zu schwer verständlich, zu fremd der Inhalt, die Bilder, der Gedankengang.

Verstehenshilfen sind unverzichtbar

Die Bibel lesen ist nicht wie Zeitung lesen. Hinführung, Einführung, Erklärung sind gefragt – sei es in einführenden Bemerkungen zum Vortrag der Lesungen, sei es in der Predigt. Angesichts der Textfülle der Heiligen Schrift muss dabei gelten: Weniger ist mehr. Schwierige Bibeltexte ohne Verstehenshilfe vorzutragen, ist leichtfertig. Das pointierte Jesuswort aus Mk 2,27 trifft in folgender abgewandelter Form zu: Der Bibeltext ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Bibeltext. Zugleich drängt sich immer wieder die Frage auf: Können unser biblisches Wissen und unser Glaube aus Kindertagen ausreichen, um Fragen späterer Lebensjahre zu bewältigen? Neben der notwendigen Eigenverantwortung ist die Sorge der Kirche am Ort für entsprechende Verstehenshilfen einzumahnen.

Ort der Christusbegegnung

Das Zweite Vatikanische Konzil hat das Bewusstsein für den „Tisch des Wortes Gottes“ neu geformt – für diesen Tisch der Christusbegegnung, von dem die Kirche wie vom Tisch des Leibes Christi „das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht“ (Dokument über die Offenbarung, 21). Gemäß der Emmauserzählung des Lukas erkannten die Zwei aus der Nachfolgegemeinschaft, die da am Osterabend nach Emmaus unterwegs waren, den Herrn, als er ihnen die Schrift erschloss und mit ihnen das Brot brach (vgl. Lk 24,30-35). Diese geistliche Dimension des gemeinsamen Lesens und Hörens der Heiligen Schrift im Gottesdienst als Ort der Christusbegegnung wird nach wie vor zu wenig ernstgenommen – wie die Praxis der mit einem Wortgottesdienst verbundenen sogenannten „Kommunionfeiern“ zeigt, wenn die Hoch-Form der Eucharistie nicht möglich ist. Auch wenn es dafür gute Gründe geben mag, legt diese liturgische Kombination doch einen Mangel in der Wahrnehmung der sakramentalen Christusbegegnung in seinem Wort offen.

Seele der Liturgie

Die Texte und Formeln der katholischen Liturgie leben aus der Bibel, ja: Die Liturgie ist aus einer biblischen „Textur“ gewoben, so die Liturgiewissenschaftlerin Birgit Jeggle-Merz. Das Ritual der Eucharistiefeier, auch des Wortgottesdienstes, ist von biblischen Zitaten und Anspielungen geprägt (siehe Kasten). Diese führen uns unmittelbar hinein in das Gottesgeschehen, wie es in den biblischen Schriften von betroffenen Menschen bezeugt ist. Sie ermutigen uns zugleich, uns in die biblischen Personen, in die entsprechenden Erzählungen und in ihre Gotteserfahrung hineinzudenken und uns davon halten zu lassen. Diese Textur aus biblischem Material bildet das geistgeprägte Rückgrat unserer Gottesdienste. Es lohnt sich, einmal z. B. im Hochgebet ausdrücklich auf biblische Spuren zu achten. Im Bitten, im Klagen, im Lobpreis unseres liturgischen Feierns sind wir da getragen vom Glaubenszeugnis der Menschen aus dem Jahrtausend biblischer Zeit. Sie lassen uns an ihrer Freude und Hoffnung, ihrer Trauer und Angst teilhaben und leihen uns dafür ihre Worte und Gedanken.

  • Erstveröffentlichung dieses Beitrages von Walter Kirchschläger in: „Lebensbuch Bibel“ , Jahrbuch der Diözese Gurk 2020, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).