Verödung

Ein geistlicher Impuls von Ordinariatskanzler Jakob Ibounig für die Karwoche

“Die Liturgie der Kirche riskiert den erschütternden Moment der Gottverlassenheit, den Augenblick des Gottestodes. Sie macht für ein paar Tage ihre eigene Gerätschaft zum Plunder, zur Altware“, schreibt Ordinariatskanzler Jakob Ibounig in seinem geistlichem Impuls für die Karwoche. (© Foto: J. Ibounig (Holzschnitt von Werner Berg - Destructio/Karfreitag - 1956))
“Die Liturgie der Kirche riskiert den erschütternden Moment der Gottverlassenheit, den Augenblick des Gottestodes. Sie macht für ein paar Tage ihre eigene Gerätschaft zum Plunder, zur Altware“, schreibt Ordinariatskanzler Jakob Ibounig in seinem geistlichem Impuls für die Karwoche. (© Foto: J. Ibounig (Holzschnitt von Werner Berg - Destructio/Karfreitag - 1956))
Ordinariatskanzler Msgr. Dr. Jakob Ibounig (© Foto: Pressestelle der Diözese Gurk)
Ordinariatskanzler Msgr. Dr. Jakob Ibounig (© Foto: Pressestelle der Diözese Gurk)

Wer mit den Abläufen des Kirchenjahres gut vertraut ist, kennt diesen Vorgang vom Ende der Gründonnerstagsmesse: Nach der Liturgie vom Letzten Abendmahl werden die Altäre der Kirche leer geräumt. Der Gottesdienstraum wird seines Schmucks beraubt. Leuchter, Tücher, Blumen, selbst Statuen werden fort geschafft. Auch das Allerheiligste wird aus dem Tabernakel genommen, gähnend offen stehen seine Türen. Das Ewige Licht erlischt. Verlassen und öde bleibt die Kirche zurück. Als sei sie nicht nur ihres Schmucks, sondern ihrer Seele, ihres ganzen Sinnes beraubt. Trostlos und abgewirtschaftet wie nach einer Plünderung. 

„Destructio (Karfreitag)“, so betitelte der Maler Werner Berg einen Holzschnitt, den er 1956 geschaffen hatte. Das Bild zeigt, wie in irgendeiner Kammer nun die Leuchter liegen, achtlos übereinandergeworfen, dahinter zwei Engelstatuen, die einst die Gegenwart des Herrn Jesus angebetet hatten. Nun haben auch sie ihren Daseinsgrund verloren. Aus der Geste der Anbetung ist ein Händeringen geworden, schwarz, fast wie Dämonenhände, sind die Flügel. Die Liturgie der Kirche riskiert den erschütternden Moment der Gottverlassenheit, den Augenblick des Gottestodes. Sie macht für ein paar Tage ihre eigene Gerätschaft zum Plunder, zur Altware. 

Und tauchen nicht wirklich Leuchter und Engel in manchem Trödelladen auf? Leute mit Geschmack werden sie kaufen und dann in ihren Wohnungen als „interessanten Akzent“ platzieren.

Werner Bergs Bild ist wohl auch ein Porträt seiner und unserer Zeit, ihrer Wirklichkeit und ihrer Gefahr. Das Bild ist – wie die Liturgie der Karwoche – auch eine Anfrage an uns Christen: Droht nicht eine völlige Verödung und Banalisierung des Glaubens? Wird die Anbetung nicht heimlich ersetzt durch die Rituale der Selbstdarstellung, korrekt aber leer? Die Beziehung zu Jesus Christus, das Bekenntnis zu seiner lebendigen Gegenwart ist die Seele, ohne die der Leib tot ist.