Rockmusik, Religion und Jugend

Versuch einer Annäherung

von Mag. Anton Boschitz

Naked Lunch beim “Heimkonzert“ auf der Wörther-See-Bühne 2010 (© Foto: Foto: KHK)
Naked Lunch beim “Heimkonzert“ auf der Wörther-See-Bühne 2010 (© Foto: Foto: KHK)

Vorweg: Meine Ausführungen sind keine rein theoretischen und scheinobjektiven Abhandlungen über die Rock- und Popmusik (natürlich den Jazz eingeschlossen), sondern sie sind ein eindeutiges und leidenschaftliches Bekenntnis zu ihr. Als ein seit frühester Kindheit mit dem „Rock-Virus“ Infizierter, der vom Jahre 1969 unzählige Rock- und Jazzkonzerte besucht und dabei wunderbare und höchst emotionale Momente von Musik- und Kulturgenuss erlebt hat, möchte ich darlegen, was ich als wichtig für eine positive Beurteilung der Rockmusik erachte und wie auch von der Rockmusik ein Bezug zur religiösen Dimension hergestellt werden kann. Außerdem soll gezeigt werden, dass die Rock- und Popmusik intensiv mit der Jugendkultur verknüpft ist und somit zum Lebensgefühl von jungen Menschen dazugehört.

Wurzeln der Spirituals. Die Rockmusik hat zweifellos ihre Wurzeln im Zusammentreffen der Musiktradition der westafrikanischen Sklaven, die in einem engen Zusammenhang mit dem Kultisch-Rituellen und Ekstatischen stand, und der Kirchenmusik der Weißen in den USA im 18. Jahrhundert. Daraus entwickelten sich die Spirituals mit den typischen Elementen von „Call“ und „Responses“ (Zuruf und Antwort) und den Blue-Notes (traurige Noten – kleine Terz, verminderte Quint und kleine Septim), die das ekstatische Erleben eben durch den gezielten Einsatz in der Melodieabfolge fördern. Die säkularisierte Form der Spirituals sind die auch zu dieser Zeit parallel entstanden „Worksongs“, aus denen der Blues hervorging.

Faszination durch körperliche Ausdruckskraft. Wir sehen zunächst: Die Wurzeln des Rock und des Jazz liegen durch die Spirituals durchwegs im Religiösen. Ein wichtiges Element der afroamerikanischen Musik (Spirituals, Blues) ist der Rhythmus als durchgehende treibende Kraft mit gleichmäßigem Beat und den Akzentuierungen neben dem Grundschlag (Off-Beat). Diese Besonderheit wird dann auch ein unerlässlicher Bestandteil des Jazz und des Rock. Durch diese eigentümliche Rhythmik kommt es zu einer starken sinnlichen Unmittelbarkeit und Körperlichkeit, die die Rockmusik im Wesentlichen ausmacht und die dadurch vor allem für junge Menschen mit ihrem Drang nach körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten eine anziehende Faszination hat.

Elemente der Rock- und Popmusik. Die weiteren Entwicklungsstationen der verschiedenen Stilrichtungen, die einen teilweise komplizierten Verlauf genommen und die zu den einzelnen Genres der Rock- und Popmusik geführt haben, möchte ich nun nicht weiter aufschlüsseln, sondern mich einer inhaltlichen Sichtung und Beurteilung zuwenden. In den Texten und im musikalischen Ausdruck der Rock- und Popmusik lässt sich grundsätzlich alles finden, was das Leben ausmacht: Freude, Leid, Depression, Rebellion, Harmonie, Fragen und auch viel, viel Liebe. Als am 25. Juni 1967 die Beatles im Rahmen der ersten weltweit live ausgestrahlten Satellitenübertragung „All You Need Is Love“ vor der Weltöffentlichkeit zur Aufführung brachten und dadurch bei Millionen von Zusehern für Frieden, Völkerverständigung und ein besseres Miteinander der Menschen eintraten, habe ich damals schon, als ich Ausschnitte dieses denkwürdigen Ereignisses sah, diese „Botschaft“ der Beatles mit christlichen Grundanliegen assoziiert.

PR für Gott. George Harrison hat meine damalige Assoziation mittlerweile bestätigt, indem er in der 2003 erschienenen Anthologie der Beatles im Interview geradewegs sagt, dass das letztlich nichts Anderes als eine Public-Relation-Kampagne für Gott war. Ich habe dann 1970 die von John Lennon nach der Auflösung der Beatles kreierte Hymne „Give Peace A Chance“ mit einem der Inhalte der Bergpredigt in Verbindung gebracht. Und ich tue es heute auch noch. Auf eine weitere Beobachtung darf ich hier hinweisen: Viele Rockmusiker haben eine besondere Sensibilität für Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Ausgleich zwischen den armen und reichen Ländern unseres Planeten. Das kommt zum Ausdruck in vielen Benefizkonzerten, die sicher nicht nur als billiger Werbegag zu werten sind.

Rockmusik und humane Werte. Zwei der Bedeutsamsten davon wurden von Bob Geldof organisiert: Live Aid am 16. Juli 1985 in London und Philadelphia und Live 8 am 2. Juli 2005 an neuen verschiedenen Orten weltweit. So gesehen kann gesagt werden, dass sich die Rockmusik von ihrer ethischen Ausrichtung den humanen Werten der abendländischen Tradition verpflichtet weiß und vor allem durch eine grundlegende gesellschaftskritische, revoltierende Haltung ein gewisses prophetisches Potential enthält. Es gibt auch Rockmusiker, die in ihren Kompositionen direkt religiöse und christliche Themen ansprechen und religiöse Motive sowohl eindeutig als auch implizit verwenden (U2, Eric Clapton, Barcley James Harvest, Queen, George Harrison, Johnny Cash, Madonna, Bob Dylan, Deep Purple, Tote Hosen, Xavier Naidoo, ...).

Identitätsstiftende Funktion der Jugendkultur und Popmusik. Die Rock- und Popmusik steht natürlich in einem ganz besonderen Nahverhältnis zur Jugendkultur, ja sie ist ein Teil der
Jugendkultur. Jugendliche brauchen eigene identitätsstiftende Felder, die es ihnen ermöglichen, sich gegen die Erwachsenenwelt abzugrenzen und sich selbst zum Ausdruck zu bringen. Seit den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts bis in die Gegenwart haben sich Jugendliche mit den jeweiligen Erscheinungsformen der Rock- und Popmusik in einer symbiotischen Weise identifiziert, weil in dieser Musik auch ihre tiefen psychischen und existentiellen Befindlichkeiten zur Sprache kommen. Die vielen Richtungen, die es derzeit in der Popmusik gibt (Rap, House, Independent, Alternative ...), sind für junge Menschen auch heute für ihr Lebensgefühl und somit für ihre Lebensbewältigung von nicht zu unterschätzender Bedeutung und man wird insofern mit Berechtigung behaupten können: Die Rock- und Popmusik ist der „Soundtrack“ des Lebens von jungen und jung gebliebenen Menschen.

Gegenkultur wird zur Gemeinschaft. In diesem Zusammenhang wird die Gegenkultur, die durch Rock- und Popmusik für die Jugend erlebbar wird, selbst zu Gemeinschaft ermöglichendem Nährboden und alternativer Identitätsstiftung. Die Ekstasen, de bei großen Rock- und Popkonzerten öglich sind, führen zu psychischen und körperlichen ntensiverlebnissen für den Einzelnen, ie aber durch das Eintauchen in die Masse och auf Gemeinschaft hin offen sind. Für mich ist die Rockmusik aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. Ich sehe sie persönlich in keinem Widerspruch zu anderen musikalischen Ausdrucksformen und ich habe somit keine Schwierigkeiten, gleichzeitig Rock- und Klassik-Fan zu sein.

Transzendenz- und Gottesbezug. Natürlich ist auch in der Rockmusik nicht alles Gold, was glänzt. Es gilt zu differenzieren. Der Kunstsinnige und Verständige wird auch auf dem Gebiet der Rockmusik zu sondieren wissen und Qualität von billiger Massen- und Eintagsware unterscheiden können. Jeder kulturelle Ausdruck des Menschen ist letztlich nur durch Inspiration möglich und hat somit einen Transzendenz- und Gottesbezug. So wird man dies wohl auch der Rockmusik nicht absprechen können.

(Originalbeitrag für das Jahrbuch der Diözese Gurk 2007)

 

  • Anton Boschitz ist Fachinspektor für den katholischen Religionsunterricht an den AHS und BMHS in Kärnten.