Fühlen, schauen, hören

Ein Krankenhausseelsorger und eine Hospizmitarbeiterin der Caritas über ihre Erfahrungen in der Sterbebegleitung

Karin Benzinger begleitet unheilbar kranke, demente und alte Menschen: „Mein Weg mit ihnen beginnt nicht erst am Sterbebett, sondern früher, sodass eine Beziehung entstehen kann.“ (© Foto: Pressestelle/Helge Bauer)
Karin Benzinger begleitet unheilbar kranke, demente und alte Menschen: „Mein Weg mit ihnen beginnt nicht erst am Sterbebett, sondern früher, sodass eine Beziehung entstehen kann.“ (© Foto: Pressestelle/Helge Bauer)

Sterbebegleitung
So nüchtern und grau das Wort klingt, so voller Geschichten, Gefühle und letztlich voller Leben sind die Erfahrungen, die dabei gemacht werden. Denn mögen wir im Tod auch alle gleich sein, im Zugehen darauf sind wir es nie. „So wie jeder Mensch seine eigene, einzigartige Geburt hat, hat jeder Mensch sein eigenes Sterben. Jeder Abschied ist völlig anders.“ Pater Anton Wanner, Rektor der Krankenhausseelsorge im Klinikum Klagenfurt, schöpft aus einem tiefen Erfahrungsschatz. Seit 40 Jahren hat er täglich mit Menschen zu tun, die dem Tod nahe sind. Er ist für sie da. Hört zu, spricht mit ihnen, betet. Was auch immer die Hilfsbedürftigen erbitten oder wünschen: „Es bedarf einer großen Sensibilität. So gibt es Begleitungen im Schweigen, wo ich einfach nur da bin und hinhöre, um ihre Botschaften zu verstehen. Dann wieder können sich sehr humorvolle Gespräche entwickeln.“ Pater Anton erlebt aber auch oft Begleitungen, bei denen der Patient sein nahes Ende vorherfühlt und die Einsamkeit sucht – um zu trauern, weil er ganz allein seinen Tod erleiden muss. „Wenn er mich dann in seine Einsamkeit aufnimmt, kann auf dieser letzten Wegstrecke seines Daseins ein frei formuliertes Gebet mit dem Segen Gottes heilsam sein“, weiß der Geistliche. Immer wieder macht er die Erfahrung, dass gläubige Menschen in ihrer letzten Lebensphase Befreiung und Vergebung suchen von ihrer durch die Krankheit erkannten und in durchwachten Nächten beweinten Schuld. Vor allem die, die den Krieg erlebt haben, würden oft durch Jahrzehnte eine drückende Hypothek mit sich schleppen, die sie krank gemacht habe und die sie vor ihrem Heimgang noch los werden wollen. „Meist warten auch diese Schuldbeladenen auf einen Priester, der ihre seelische Not in der sakramentalen Lossprechung durch die

Barmherzigkeit Gottes lösen und sie noch am Abend ihres Daseins in die Freiheit führen kann“, so Pater Anton. Das seien jene Situationen, wo reine Begleitung im Sinne von Anwesenheit, Ruhe und liebevoller Zuwendung nicht ausreiche. „Aber auch das Sich-Verschließen gegen jedermann, das untröstliche Trauern mit der Decke über dem Kopf gehört zum Unikatdes Sterbenden“, weiß der Kapuzinerpater.

Nicht überzeugen, sondern begleiten

Nicht immer trifft Pater Anton auf Menschen, die im Glauben verankert sind. „Aber auch diese, die sich als areligiös oder als atheistisch erklärten, versuchen in ihren Abendstunden des Daseins, ihre jahrelange Taubheit für das Numinose und damit verbunden auch ihre Stummheit und Sprachlosigkeit ihm gegenüber zu lösen. Ihre einst lebenswert erscheinende Philosophie hilft in der Abschiedsphase wenig. Der Mensch wird mit der Sehnsucht geboren, nicht in der Vergänglichkeit, sondern im immerwährenden Sein zu leben. Und die wird gerade in dieser letzten Phase vehement spürbar.“ Auch hier ist viel Feingefühl gefragt, denn: „Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für missionarische Tätigkeiten. Ich habe nicht zu überzeugen, sondern zu begleiten.“ Und wenn sie dennoch kommt, die Frage nach dem Danach, nach einem Gott? „Dann weise ich darauf hin, dass wir Christen daran glauben, dass das Leben in die Herrlichkeit Gottes hinein verwandelt wird. Dass die Liebe Gottes auf den Verstorbenen strahlen und ihn in seiner Wesenheit verwandeln wird.“ Solche Worte können heilsam sein. Manchmal verhallen sie völlig wirkungslos. „Oft werde ich gerufen, wenn junge Menschen bei Verkehrsunfällen sterben. Die Verwandtschaft ist verzweifelt, atemlos. Da ist mit Worten nichts auszurichten, der Schock blockiert. Manche reagieren auch aggressiv. Oft bin ich gescholten worden, was diesem Gott eigentlich einfällt. Aber: Es ist wichtig, dort zu sein, ohne großartige Aufklärungsarbeit zu leisten. Oft können Symbole wie eine brennende Kerze oder Weihwasser hilfreich sein. Mit Angehörigen, die im Glauben verwurzelt sind, beten wir miteinander, denn das erleichtert, stärkt und tröstet“, meint der 75-jährige Kapuzinerpater.

Gott kennt den Weg

Tausende Menschen hat Pater Anton schon in ihrer letzten Lebensphase begleitet, viele Nächte hat er bei Sterbenden verbracht. Doch immer noch gibt es Situationen, „die mich sehr berühren, wo ich dem Weinen nahe bin“. Beim Erzählen über Totgeburten und das Sterben auf der Neugeborenenstation stockt er. Sein eigenes Sterben überlässt Pater Anton ganz dem Willen Gottes: „Wenn Gott mich abberuft, dann wird er den Weg kennen – den muss ich nicht kennen. Und wenn er mich noch nicht abberuft, kann ich bei den infektiösesten Patienten stehen, ich werde diese Krankheit nicht bekommen. In diesem Vertrauen lebe ich - und das hat mich noch nie enttäuscht.“

Eine klärende Lebensphase

Ein ähnliches Urvertrauen trägt auch Karin Benzinger, mobile Hospizmitarbeiterin der Caritas, in sich: „Ich denke jeden Tag über den Tod nach, bin aber total lebenshungrig. Ich möchte nicht, dass er jetzt im Moment käme. Aber wenn er kommt, dann ist das meine Bestimmung.“ Seit fünf Jahren begleitet sie unheilbar kranke, demente und alte Menschen. Solche, bei denen Angehörige oder das Pflegepersonal erkennen: Das ist jemand, der noch gerne Ansprache hätte. Benzinger: „Mein Weg mit diesem Menschen beginnt nicht erst am Sterbebett, sondern früher, sodass eine Beziehung entstehen kann. Das ist das Schöne an dieser Arbeit. Es wird viel geklärt in dieser Zeit.“ Wie nähert sie sich jemanden, der auf das Ende des Lebens zugeht? „Wenn ich gerufen werde, atme ich vor der Haustür einmal durch und gehe völlig leer hinein. Dann ist alles bei mir hellwach: fühlen, schauen, hören. Ich versuche mich vollkommen auf diesen Menschen einzustellen und zu fragen: Was braucht er jetzt?“ Das ist ganz individuell: Der Wunsch nach Gebet. Nach einer haltenden Hand. Nach Gespräch. Manche schauen zurück und verurteilen sich. „Da versuche ich immer, nicht zu werten. Für mich ist der Mensch, wie er ist, würdig, vollständig und wert, begleitet zu werden. Alles darf sein.“

Was hindert und was befreit

Sogar Abwehr. Auch die hat Karin Benzinger schon erfahren. „Manchmal passt man nicht für diesen Menschen. Das darf man nicht auf sich beziehen. Aber dann mute ich mich demjenigen auch nicht zu und sage: Da kann jemand anderer besser helfen.“ Ruhe, friedvolle Atmosphäre, das sei es, was sich Sterbende auch von Angehörigen wünschen. „Es ist wichtig, auch dem Sterbenden Würde und Autonomie zuzugestehen. Ihn mit Alltagsproblemen zu belasten, ist keine gute Idee. Und letztlich muss man als Angehöriger loslassen können. Es ist oft so, dass die Anwesenheit von Angehörigen am Sterben hindert, weil die nicht möchten, dass es passiert.“ Mit Ritualen kann man die Situation allen annehmbarer machen. „Man kann mit den vier Elementen arbeiten“, meint Benzinger: Blumen hinstellen, eine Kerze anzünden, die Lippen des Sterbenden mit Wasser benetzen, das Fenster öffnen. „Das alles kann befreiend wirken. Gebete passen nicht immer, manchen aber tun sie sehr gut.“ Ist es das schon, das viel zitierte „gute“ Sterben? Die 59-Jährige wiegt den Kopf: „Ich denke, gutes Sterben kann dann sein, wenn ein Mensch mit sich und seinen gehörigen im Reinen ist. Dann kommt Erlösung. Wenn jemand unaufgearbeitete Probleme hat, kommt am Schluss vieles davon zutage. Eigentlich alles.“ Insofern könne man sich wohl auf ein gutes Sterben vorbereiten: „Man sollte beizeiten sein Leben ordnen. Konflikte lösen, sich versöhnen.“ Sie beobachtet, dass viele Menschen auch bedauern, etwas für sie Wichtiges verabsäumt zu haben. „Oft kommen dann Sätze wie: Ich hätte doch so gern... Ich glaube, wenn ein bestimmter Wunsch tief drin sitzt, sollte man zeitgerecht versuchen, ihn zu verwirklichen. “Wenn Karin Benzinger dabei helfen kann, einem Menschen in seiner letzten Lebensphase Hoffnung, Nähe, Wärme, Liebe zu schenken, sodass er „beruhigt“ in den Tod gehen kann, ist das für sie eine große Freude: „Ich selbst verändere mich mit jedem einzelnen Menschen, bin herausgefordert und lerne, mich noch mehr zurückzunehmen.“ |


Autorin: Mag. Johanna Wohlfahrt
Erstveröffentlichung in: "Lebensthema - Sterben", Jahrbuch der Diözese Gurk 2016, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).