Das Brot brechen, damit die Rose erblüht
Gedanken zur Fastenzeit
von Mag. Klaus Einspieler

Das Brot der Freiheit
Brot, Sinnbild für Nahrung und Leben, ist ein ständiger Wegbegleiter durch die Geschichte des Volkes Israel im Alten Testament. Die Dramatik des Auszuges aus Ägypten, der mit der Offenbarung Gottes als Jahwe, Gott der Befreiung, verbunden ist, entzündet sich an der Brotlosigkeit Jakobs und seiner Söhne. Eine Hungersnot in Kanaan zwingt sie, nach Ägypten zu ziehen, wo für Brot gesorgt ist. Die Sippe findet Aufnahme, wird zu einem großen Volk und erleidet das Geschick von Fremden – Ausbeutung, Knechtschaft und Unterdrückung. Das Brot der Freiheit ist nicht das gesäuerte Brot der Ägypter. Als die Israeliten aufbrechen, um das Land der Sklaverei zu verlassen, haben sie keine Zeit, den Teig sauer werden zu lassen. Frisches, ungesäuertes Brot, ohne den Beigeschmack der schmachvollen Vergangenheit, ist die Wegzehrung für den von Wundern und Rückschlägen gepflasterten Weg in die Freiheit.
Option für die Armen
Israel hat aus seiner Geschichte gelernt. Das Buch Levitikus fordert von jenen, die das gelobte Land erreicht haben: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen“ (Lev 19,33-34). Die Erfahrung des eigenen Elends soll den Israeliten und die Israeliten feinfühlig machen für die Not anderer Menschen. Sein und ihr Selbstverständnis beruht nicht auf dem Stolz auf die eigene Leistung, sondern auf dem Bewusstsein, beschenkt worden zu sein. Die Freiheit, das Land, der Wohlstand sind Ausdruck der Zuwendung Gottes zu jenen, die aus ihrer Not und Unterdrückung zu ihm geschrien haben. Von diesem Gott Zeugnis geben, heißt im Alten Testament, besonders im Buch Deuteronomium, teilen. Doch nicht Almosen werden verlangt. Der Arme hat einen Rechtsanspruch darauf, dass ihm geholfen wird. Das Eigentum wird nicht absolut gesehen. Mitunter hat der Israelit, die Israelitin, die Pflicht, auf eigene Kosten zu helfen und ein Leben in Würde zu ermöglichen. Dieser Beistand hat eine doppelte Ausrichtung: Not zu lindern und Unrecht, vielfach der Wurzelboden von Armut, zu beseitigen. Letztlich kommt auf diese Art auch die Parteinahme Gottes für Schwache und Notleidende zum Ausdruck. So heißt es etwa in Psalm 146:
„Recht verschafft er den Unterdrückten, den Hungernden gibt er Brot“ (Ps 146,7).
Diese zweifache Art der Anteilnahme für die Schwachen wird auch im weisheitlichen Schrifttum zur Sprache gebracht. Dabei geht es zunächst darum, sein eigenes Auge für die Not zu schärfen, die Not im eigenen Umfeld zu sehen und zu helfen. Zum einen, weil sich Hilfe nicht immer an Institutionen, die es auch in der Zeit des Alten Testamentes gab, binden lässt, zum zweiten, weil Hilfe Begegnung ist. Der Segen des Armen hat im Alten Testament höchsten Stellenwert, seine Klage prangert die himmelschreienden Vergehen seiner Widersacher an. So ermuntern die Sprichwörter zum Teilen, den es ist die Quelle des Segens:
„Wer ein gütiges Auge hat, wird gesegnet, weil er den Armen von seinem Brot gibt“ (Spr 22,9).
Brot und Gerechtigkeit
Brotlosigkeit kann aber nicht nur die Folge von Missernten oder Not sein, sie kann auch von anderen hervorgerufen werden, indem man Menschen ihr Recht auf den gerechten Lohn vorenthält. Nicht selten hüllen sich jene, die am Elend ihrer Mitmenschen schuld sind, in das Mäntelchen der Frömmigkeit, bringen großzügige Opfer dar und genießen das Ansehen ihrer Zeitgenossen. Diese Doppelbödigkeit ist in den Augen Gottes unerträglich:
„Kein Gefallen hat der Höchste an den Gaben der Sünder, auch für eine Menge Brandopfer vergibt er die Sünden nicht. Man schlachtet den Sohn vor den Augen des Vaters, wenn man ein Opfer darbringt vom Gut der Armen. Kärgliches Brot ist der Lebensunterhalt der Armen, wer es ihnen vorenthält, ist ein Blutsauger. Den Nächsten mordet, wer ihm den Unterhalt nimmt, Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält“ (Sir 34,21-26).
Der Text lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Frömmigkeit und Ausbeutung des Mitmenschen sind unvereinbar. Die wahre Gottesliebe muss sich in der Liebe zum Nächsten erweisen. Der Gott Israels hat sich nämlich nicht in den Schreibstuben von Gelehrten, womöglich als philosphische Idee, sondern in der geschichtlichen Erfahrung von Armut und Unterdrückung und der Befreiung zu einem menschenwürdigen Leben nach der Weisung, den Geboten, offenbart. Wer Gott kennt und liebt, kann an der Not des Armen nicht vorübergehen. Jesus hat dies sogar verschärft, wenn er sagt: »Ich war hungrig und ihr habt mir (nicht) zu essen gegeben« (Mt 25,35.42). Der Notleidende hat quasi sakramentalen Charakter. Wer sich seiner annimmt, nimmt Christus an, wer an ihm vorübergeht, geht an Christus vorüber – eine wunderbare Synthese von Gottesdienst und Menschendienst!
Das wahre Fasten
Wenn das Alte Testament vom Fasten spricht, geht es also in erster Linie um die Abkehr von Taten, die den Mitmenschen Schaden zufügen und die Zuwendung zu den Bedürftigen. Alle Entsagung und Entbehrung ist nutzlos, wenn man einem selbstgezimmerten Idol der Selbstvervollkommnung frönt und den Mitmenschen aus dem Blick verliert. Selbstvervollkommnung ist Egoismus, vielleicht sogar eine Form der Eitelkeit, wenn neben dem ICH nicht auch das DU zum Tragen kommt. Im Buch des Propheten Jesaja ist der klassische Text zum Fasten überliefert (Jes 58). Er geht aus von der Erfahrung der Menschen – sie Fasten, wie es damals üblich gewesen ist, tun äußerlich betrachtet alles, was man tut, wenn man fastet, doch es fruchtet nicht. Gott bleibt taub für die Anliegen der Menschen. In einer glühenden Rede wendet er sich nun an sein Volk und legt dar, welcher Natur ein gottgefälliges Fasten ist:
»Das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen. Dann wird ein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, deine Wunden werden schnell vernarben« (Jes 58,6-8).
Die Bezüge zur Rede Jesu vom Weltgericht sind offenkundig. Doch auch eine weitere Tragweite ist zu berücksichtigen. Letztlich umreißt der Text Handlungen, die im Neuen Testament herangezogen werden, um die messianische Sendung Jesu zu verdeutlichen. Wer also in dem oben genannten Sinne fastet, hat teil an der messianischen Sendung Jesu, die darin besteht, das Reich Gottes aufleuchten zu lassen. Das Brot, das dem Armen gebrochen wird, es ist ein Zeichen für das Reich Gottes und die Fülle des Lebens, die hier und jetzt beginnt. Der Prophet Jesaja malt dies in Farben des Heiles, wenn er im Anschluss an die oben genannten Worte sagt:
»Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach. Wenn du rufst, wird der Herr dir Antwort geben, und wenn du um Hilfe schreist, wird er sagen: Hier bin ich« (Jes 58,8-9).