Berufener oder Beruf: Religionslehrer sein
von Mag. Walter Gratzer, Religionslehrer

Warum Theologie studieren? Was hat Jesus und Gott mit mir zu tun? Warum einen kirchlichen Beruf? Diese Fragen wurden mir oft gestellt. Ich und andere verlangten eine Antwort. Eine so große Lebensentscheidung – in die Nachfolge Jesu treten - musste begründet werden. Die Antworten auf diese Fragen konnten nicht groß und „fromm“ genug ausgefallen. Gott ist es doch, der ruft, mich heraushebt und auswählt für eine besondere Aufgabe. So dachte ich nach meinem Schulabschluss und während der Studienzeit.
Heute weiß ich, dass dies ein Irrtum war. Die Botschaft ist das wertvolle, nicht ich. Ich habe den Stress ablegen können etwas besonderes sein zu müssen, nur weil die Botschaft so wertvoll ist. Wenn ich heute gefragt werde, warum ich das tue, was ich tue (die, die Fragen stellen sind hauptsächlich Kinder und Jugendliche) antworte ich, dass mir dieser Beruf zugefallen ist. Lebensprozesse sind grundsätzlich nicht planbar und haben mit Gott zu tun. Ich wollte eigentlich nicht Religionslehrer werden. Wie ich aber heute diesen Beruf erlebe und gestalte, empfinde ich über Jahre schon als sehr beglückend. Manchmal auch als eine Zumutung. Mein Beruf ist meine Berufung. Das Großartige entdecke ich im Alltäglichem. Ich kann vertrauen, dass die eigene Leidenschaft etwas bewirkt.
Das Wenige, das ich tun kann, ist viel.
Soweit die Theorie. Wie aber sieht die Praxis aus? In welchem Umfeld lebe ich (verheiratet, drei Kinder und über 25 Jahre als RL tätig) meinen Beruf?
Mein Beruf ist Arbeit. Ein Tun, wie sie andre auch täglich erleben. Arbeit, die Geld bringt. Die gut vorbereitet werden muß. Ich leiste diese Beruf(ung)sarbeit in einer Schule mit 777 SchülerInnen und 90 LehrerInnen. Einige davon sind Moslems, wenige nicht getauft, ein paar vom Religionsunterricht abgemeldet oder aus der Kirche ausgetreten. Nur mehr wenige gehen Sonntags in die Kirche.
Dieser Schulraum ist ein Auffangbecken für die unterschiedlichsten Erfahrungen von Jugendlichen, die auch ausgesprochen werden. Es wird immer noch viel gefragt und hinterfragt und oft nach Antworten gerungen, die dann auch für Jugendliche verständlich sind. Hier versuche ich aufzutreten, Positionen zu beziehen und trotz „Nischenfunktion“ - es gibt oft wichtigeres in der Schule als den Religionsunterricht - Selbstbewusstsein zu zeigen. Und ich bemühe mich den Stoff zu lieben, den ich unterrichte. Denn wer den Stoff nicht liebt, den er lehrt, kommt bei den Schülern nicht an. Und ich merke immer deutlicher, dass Schüler eher auf Zeugen hören, als auf Lehrer. Wenn sie auf Lehrer hören, dann deswegen, weil sie Zeugen sind.
Spannend macht meinen Berufsalltag auch die Tatsache, dass zwei Seiten Erwartungen an mich richten. Die Schulleitung will, dass ich wie andere KollegInnen auch, präsent sein soll in den vielen schulautonomen Projekten, in der Personalvertretung, als Vertrauenslehrer und als Mitgestalter von Festen. Daneben hat die Kirchenleitung Erwartungen an mich, die mich auch in dieses Berufsfeld geschickt hat. Was erwartet sich eigentlich die Kirchenleitung? Decken sich meine Vorstellungen eines Religionsunterrichtes mit dem der Diözese? Kirchliche Erwartungen an mich als Religionslehrer werden selten öffentlich ausgesprochen. Daher gestalte ich diesen „Seelsorgsbereich“ selbstständig und autonom. Ähnlich wie ein Priester seine Pfarre leitet und gestaltet.
Weil Kinder und Jugendliche unsere Zukunft sind, ist mein Beruf für die Kirche von sehr großer Bedeutung. Die Schule ist einer der wenigen Orte geblieben, wo noch Jugendarbeit möglich ist. Nur beschäftige ich mich im Religionsunterricht mit ganz anderen Themen und Fragen, als die, die kirchenintern diskutiert werden. Ich arbeite in einer Richtung (aktuell, kritisch), die Jugendliche in der Kirche so nicht mehr finden. Ich bilde Jugendliche aus für eine Kirche, die es nicht gibt. Auf Grund dieser Tatsache sehe ich den Religionsunterricht als einen „Dienst der Kirche“ an den Jugendlichen (vergleichbar mit der Caritas: absichtslos). Ein Dienst, der der Kirche nichts kostet (außer der Verwaltung-Schulamt). Dass der Religionsunterricht innerkirchlich zu wenig Thema ist, hat viele Gründe und wäre zu verbessern.