Die zweite Missionsreise

Auf den Spuren des Apostels Paulus - VII

Die zweite Missionsreise

Um die zweite Missionsreise des Apostels Paulus in den Blick zu bekommen, hat man zwei Möglichkeiten. Erstens: man schließt sich der Darstellung der Apostelgeschichte an. Demnach ist Paulus nach der Zusammenkunft der Apostel in Jerusalem aufgebrochen, um neue Missionsgebiete zu erschließen. Im Zuge dessen ist er auch nach Europa gelangt (siehe Apg 15,36-18,22). Zweites: man folgt der historisch-kritischen Paulusforschung. Sie stellt das klare Bild der Apostelgeschichte in Frage. So könnte die zweite Reise von Paulus erst durch die Darstellung der Apostelgeschichte diese Form erhalten haben, die bis heute den Bibellexika und Atlanten zugrunde liegt. Kürzere Wege des Apostels könnten nachträglich zu einer großen Reise verbunden worden sein. Die Ergebnisse der Bibelwissenschaft sind jedoch keineswegs einheitlich. Wir folgen daher aus Gründen der Übersichtlichkeit der traditionellen Darstellung der Reise, bewahren aber im Hinterkopf, dass hier schon einiges zusammengefasst und bearbeitet worden ist.

Von Antiochia durch Kleinasien
Paulus hat sich mit Barnabas, mit dem er die erste Missionsreise unternommen hat, überworfen. Er wählt daher Silas (Silvanus) als seinen Begleiter und begibt sich von Antiochia nach Zilizien, in seine Heimat. Von dort geht es weiter nach Derbe und Lystra, Städte, die er schon während seiner ersten Reise aufgesucht hat. In Lystra lernt er Timotheus kennen und nimmt auch ihn als Begleiter mit. Für die nächste Etappe des Weges nennt die Apostelgeschichte nur Landstriche, ohne auf nennenswerte Missionserfolge hinzuweisen: Phrygien, Galatien, Mysien und Troas. 

Lydia – die erste Christin Europas
Paulus steht an der Schwelle Europas. Wir können wohl annehmen, dass es zu dieser Zeit schon Christen in Europa gegeben hat, zum Beispiel in Rom. Dennoch ist die Ankunft des Völkerapostels etwas Denkwürdiges, man sagt sogar ein weltgeschichtliches Ereignis ersten Ranges. Nun treten zum ersten Mal christlich geprägte Orte, Personen und Gemeinden auf europäischem Boden in den Blick. 
Die erste Person, die in Europa getauft wird, ist eine Frau – die Purpurhändlerin Lydia in Philippi. Paulus stößt in Philippi jedoch bald auf Widerstand. Er wird ausgepeitscht, ins Gefängnis geworfen und verlässt die Stadt nach seiner Freilassung, um nach Thessalonich zu gelangen. Auch dort gelingt es ihm, eine Gemeinde zu gründen. Er verlässt die Stadt wegen der Feindseligkeiten jedoch relativ bald und zieht nach Beröa und dann nach Athen. Seine Rede am Areopag gehört wohl zu den am meisten beachteten Abschnitten der Apostelgeschichte. Dennoch bleibt festzuhalten: die Bilanz seines Wirkens in Athen, dem Zentrum der Gelehrsamkeit, ist ernüchternd. Die Botschaft von der Auferstehung des Gekreuzigten hat mit der religiösen und geistigen Welt der Griechen offenbar nur wenig gemein.

Korinth
Die letzte und ergiebigste Station dieser Reise nach Europa aber war Korinth. Nach der herben Enttäuschung, die Paulus in Athen wiederfahren ist, war es ihm in Korinth offenbar rasch gelungen, Menschen für das Evangelium zu gewinnen. Zunächst trifft er auf Aquila und seine Frau Priszilla. Sie waren – wie Paulus – Zeltmacher und waren aus Rom gekommen, wo Kaiser Klaudius die Ausweisung der Juden angeordnet hatte. Der römische Geschichtsschreiber Sueton gibt an, er habe damit auf Unruhen reagiert, die durch einen gewissen Crestus (Christus?) ausgelöst worden sind. Paulus lebte und arbeitete bei ihnen. Nach eineinhalb Jahren zogen sie mit ihm nach Ephesus (Apg 18,19). Schließlich tauchen sie in der Grußliste des Römerbriefes auf (Röm 16,3). 
Mit der Person des Prokonsuls Gallio, dem Bruder des berühmten Seneca, taucht in der Apostelgeschichte zum ersten und einzigen Mal eine Person auf, die uns ein historisch sicheres Datum zu liefern vermag, um die Paulusreisen zeitlich einzuordnen. Einer Inschrift aus Delphi folgend musste Gallio im Jahr 51/52 oder 52/53 Statthalter in Achaia gewesen sein. 
Nach eineinhalb Jahren verlässt Paulus Korinth. Er fährt mit dem Schiff nach Ephesus und von dort nach Cäsarea. Gemäß Apg 18,22 zieht er hinauf nach Jerusalem und kehrt schließlich nach Antiochia zurück.