Wer kann Christ werden?
Auf den Spuren des Apostels Paulus - VI
Die Zusammenkunft in Jerusalem
Was muss man als Heide tun, um Christ zu werden? Heute scheint die Antwort klar: Man muss an Christus glauben und sich taufen lassen. Dass wir heute so darauf antworten können, ist das Ergebnis eines zähen Ringens, an dem der Apostel Paulus maßgeblich beteiligt gewesen ist.
Können nur Juden Christen werden?
Zur Zeit des irdischen Jesus hat man sich diese Frage noch nicht gestellt. Mit seinem Tod und seiner Auferstehung aber hat sich die Situation verändert. Sogenannte Hellenisten – Juden aus griechisch geprägten Gebieten – waren die ersten, die den Tod Jesu als Schlüssel zum Heil gedeutet haben, und zwar unabhängig vom Gesetz. Die Juden aus Palästina, die sich den Aposteln anschlossen, pochten jedoch weiterhin darauf, man könne nur im Einklang mit dem Gesetz Christ sein.
Paulus hat im Zuge seiner Bekehrung erkannt, dass dem Menschen durch den Glauben an Jesus, den Herrn, die Gemeinschaft mit Gott geschenkt wird. Das Gesetz hat also seine Bedeutung als Weg zum Heil verloren. Die Auswirkungen dieser Erkenntnis reichen weit in das alltägliche Leben hinein. So ist es Juden zum Beispiel verboten, mit Heiden gemeinsam zu speisen. Die Feier der Eucharistie aber war in dieser Zeit noch mit einem Mahl verbunden. Müssen also Judenchristen und Heidenchristen getrennt speisen, das bedeutet dann aber auch getrennt die Eucharistie feiern? In Antiochia wurden aus der Erkenntnis, dass mit dem Tod Jesu die Barriere zwischen Juden und Heiden beseitigt worden ist, schon früh die Konsequenzen gezogen – man aß gemeinsam.
Und die Position der Gegner? In Jerusalem war dieses Vorgehen für manche Judenchristen ein Ärgernis. Für sie galt auch nach der Auferstehung Jesu: Wer Christ sein möchte, muss sich zunächst beschneiden lassen. Christus hat das Gesetz nicht aufgehoben. Paulus nennt die Vertreter dieser Position falsche Brüder und Eindringlinge (Gal 2,4). Dies weist auf die Heftigkeit der Auseinandersetzung mit ihnen hin.
Und die Apostel, vor allem Petrus? Auch sie waren Judenchristen und lebten in Jerusalem nach wie vor nach dem jüdischen Gesetz. Sie gingen am Sabbat in die Synagoge, beachteten die Speisevorschriften und lebten nach den Geboten der Tora, die ihnen seit ihrer Kindheit vertraut waren.
Die Entscheidung
Nach vierzehn Jahren Tätigkeit in Syrien und Zilizien zieht Paulus wieder hinauf nach Jerusalem. Mit ihm gehen Barnabas und Titus, ein Grieche, der Christ geworden ist. Paulus drängt darauf, zu klären, ob das Evangelium, das er verkündigt, auch von den maßgeblichen Persönlichkeiten in Jerusalem anerkannt wird. Dabei kommt Titus eine bedeutende Rolle zu. Er ist quasi der Testfall. Wie wird man ihn, den Heidenchristen aufnehmen? Wird man verlangen, er müsse sich beschneiden lassen? Von der Art, wie man mit ihm verfahren wird, lässt sich also auf die Lösung der anstehenden Frage schließen.
Die maßgeblichen Autoritäten – Petrus, Jakobus und Johannes – bestätigen den Weg, den Paulus beschritten hat Ungeachtet dessen wollen die Judenchristen weiterhin das Gesetz beachten. Indem sie den Weg des Paulus anerkennen, ist es jedoch genau genommen auch für sie nicht mehr der Königsweg zum Heil. Es steht nun auf der Stufe der Sitte und des religiösen Brauchtums.
Das Problem ist gelöst, der Konflikt geht weiter
Die Bibel berichtet an zwei Stellen von diesem denkwürdigen Ereignis (Gal 2,1-10 und Apg 15,1-35). Aus den Paulusbriefen erfahren wir, dass die Probleme damit keineswegs beseitigt worden sind. Etliche Judenchristen wollten die in Jerusalem erzielte Lösung nicht anerkennen. Sie haben Paulus erhebliche Schwierigkeiten bereitet, indem sie in seinen Gemeinden immer wieder für Verwirrung sorgten. Und auch Petrus sollte später zwischen die Mühlsteine geraten. Als er in Antiochia mit Heidenchristen Mahl hält, ist das auch für jene Judenchristen, die Paulus in Jerusalem die Hand gereicht haben, zu viel. Als er sich daraufhin zurückzieht, aber stellt ihn Paulus zur Rede, weil er die Botschaft von der Freiheit der Christen gefährdet sieht (Gal 2,11-21).