Umkehr und Erkenntnis
Auf den Spuren des Apostels Paulus - III
Eine umwerfende Erkenntnis
Paulus wurde als Verfolger des neuen Weges zum Apostel berufen. Weder die Apostelgeschichte noch die Paulusbriefe verschweigen diesen Umstand. Im Gegenteil: man könnte fast meinen, sie kosten die Spannung, die in diesem Wandel steckt, bis zur Neige aus. So wird im Bericht von der Steinigung des Stephanus, des ersten christlichen Blutzeugen, berichtet, die Zeugen hätten ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes namens Saulus niedergelegt (Apg 7,58). Auch Paulus selbst gibt mehrmals unumwunden zu, seine konsequente Haltung gegenüber dem Gesetz habe ihn zum Verfolger werden lassen (1 Kor 15,9; Gal 1,13.23; Phil 3,6). Freilich tut er das nicht ohne Hintergedanken. Seine eigene Lebensgeschichte ist für ihn der beste Beweis – das Christentum birgt in seinem Kern eine wahrhaft umwerfende Erkenntnis.
Schrankenloses Heil?
Worin aber besteht diese Erkenntnis und wie zeigt sie sich? Wenn wir an das Christentum der ersten Tage denken, tauchen unweigerlich romantisch-verklärende Bilder auf. Das waren noch Zeiten, als die Gläubigen ein Herz und eine Seele waren und alles, was sie hatten, miteinander teilten (Apg 4,33)! Allerdings sagt derselbe Autor wenige Zeilen später auch: „In diesen Tagen ... begehrten die Hellenisten gegen die Hebräer auf“ (Apg 6,1).
Worum geht es? In Jerusalem gab es eine ganze Reihe von Synagogen. Manche waren – bedingt durch die vielen Juden, die in der Diaspora lebten – auch hellenistisch-griechisch geprägt. Die Botschaft von der Auferstehung Jesu stellte nun jene, die sich den Jüngern Jesu anschlossen, vor die Frage, welche Folgen diese Botschaft für das Leben der jüdischen Gemeinschaften hatte. Die einen sahen die Heiligkeit Israels dadurch nicht angetastet. Das Heil gab es für Heiden auch weiterhin nur über den Umweg des Judentums. Dazu gehörten vorerst auch die Apostel. Die anderen, die sogenannten Hellenisten, werden wohl schon früh davon ausgegangen sein, dass durch den Tod und die Auferstehung Jesu die trennende Mauer zwischen den Juden und den Völkern gefallen war. Die große Zahl der Kommentatoren der Apostelgeschichte geht heute davon aus, dass sich hinter der Wahl der sieben Männer in Jerusalem mehr verbirgt, als das soziale Problem der Witwenversorgung. Ihr Anführer, Stephanus, wird nämlich mit dem Vorwurf konfrontiert, er Rede gegen den Tempel und das Gesetz (Apg 6,13). Paulus dürfte seiner großen Lebensfrage – der Freiheit des Menschen vom Gesetz und dem schrankenlosen Heil – wohl schon im Jerusalem der ersten Jahre nach der Auferstehung Jesu begegnet sein. Und er stemmte sich mit aller Eindringlichkeit dagegen.
Auf dem Weg nach Damaskus
Damaskus lag außerhalb der Grenzen des Gelobten Landes. Die jüdische Gemeinschaft, die dort lebte, war eine Minderheit. Mit großer Sicherheit war es damals leichter von Jerusalem nach Damaskus zu gelangen als heute. So fasste der Glaube an Jesus den Christus in hellenistsicher Prägung bald auch Fuß in Damaskus. Es folgte die Reaktion in Form eines durch den Hohenpriester sanktionierten „Besuches“ mit Saulus im Gefolge.
Vor Damaskus macht Saulus eine umwerfende Erfahrung – dieser gekreuzigte Galiläer, dessen Anhänger Tempel und Gesetz in Frage stellen, war tatsächlich der Sohn Gottes! Wenn das so ist, kann kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Bei keinem Menschen der ersten christlichen Generation war die Erfahrung der Berufung so umfassend wie bei Paulus. Er ging als Verfolger nach Damaskus und kehrte als Zeuge der Botschaft, die er verfolgte, zurück. Wenige Zeit später war er ein weiteres und letztes Mal in Damaskus. Diesmal verließ er die Stadt als Verfolgter. Damaskus ist also zum Sinnbild einer der faszinierendsten Biographien geworden – der Verfolger wird zum Verkünder und damit selbst zum Verfolgten.