Wesen, denen Ehrfurcht gebührt

Für eine ökologische Umkehr, die das Verhältnis zum Tier überdenkt

von Diözesanbischof Dr. Alois Schwarz

Ehrfurcht vor dem Tier - ein Leben mit Ruhephasen in der freien Natur gönnen (© Foto: fotomax)
Ehrfurcht vor dem Tier - ein Leben mit Ruhephasen in der freien Natur gönnen (© Foto: fotomax)

Auf einem Bauernhof geboren und aufgewachsen ist mir der Umgang mit den Tieren seit meiner Kindheit vertraut. Kühe und Pferde mussten jeden Tag zur Tränke geführt werden und im Sommer auf die Weide. Die Hühner im Garten spürten sofort, wenn ein Fuchs sich dem Haus näherte. Unser Hund meldete jeden Besucher, und die Katzen warteten jeden Morgen und Abend bei der Stalltür auf die frische Milch. Rehe und Hasen kamen in den Obstgarten und ganz nahe ans Haus. Vor dem Mähen des Grases im Frühjahr gingen wir durch das Feld, um die Rehkitze vor dem Mähwerk des Traktors zu schützen. Fischen lernte ich mit der Hand in den Höhlen des Baches, und jetzt noch spüre ich förmlich beim Schreiben des Textes die nassen Forellen. Mit diesen Erinnerungen denke ich nach über Tiere und Menschen und nehme zur Kenntnis, dass unser Verhältnis zum Tier widersprüchlich geworden ist. Die einen streicheln wir, die anderen töten wir. Die einen sind Familienmitglieder und die anderen Handelsware. Für die Gesundheit der einen ist kein Preis zu hoch, während das Fleisch der anderen nicht billig genug sein kann.

Zunehmende Sensibilisierung

Es gibt auch Grausamkeit gegenüber Tieren, die zu einer Verrohung des Menschen führt und seiner Würde widerspricht (Laudato Si’, Nr. 92). Gleichzeitig wird die Gesellschaft zunehmend sensibel dafür, wenn Tierzüchtung und Tierhaltung naturwidrige Ausmaße annehmen. Menschen achten immer mehr auf die Qualität des Fleisches, auf die Haltung der Tiere und die globalen ökologischen Zusammenhänge und treffen dementsprechend kritisch ihre Kaufentscheidungen. Auch in den Pfarren werden diese Themen bei Vorträgen diskutiert, und durch achtsames Renovieren werden in Kirchen Nistplätze für Fledermäuse und Dohlen erhalten. Papst Franziskus erinnert uns, dass jedes Jahr Tausende Pflanzen- und Tierarten verschwinden, „die wir nicht mehr kennen können, die unsere Kinder nicht mehr sehen können, verloren für immer. Die weitaus größte Mehrheit stirbt aus Gründen aus, die mit irgendeinem menschlichen Tun zusammenhängen. Unseretwegen können bereits Tausende Arten nicht mehr mit ihrer Existenz Gott verherrlichen, noch uns ihre Botschaft vermitteln. Dazu haben wir kein Recht“ (Laudato Si’, Nr. 33).

Gott in der Schöpfung begegnen

Generationen vor uns erkannten aus der Größe und Schönheit der Schöpfung den in ihr verborgenen Schöpfer. Geht diese Schönheit und Vielfalt verloren, berauben wir uns der Möglichkeit, Gott in und aus der Natur zu erkennen und ihm in derselben zu begegnen. In allen Jahrhunderten gab es christliche Denker und Heilige, die sich mit Tieren umgaben als Zeichen der Verbundenheit mit der Schöpfung. Denn je größer die Nähe zum Schöpfer, desto größer auch die Nähe zu den Geschöpfen. Im Jahre 2004 hat die Internationale Theologische Kommission festgestellt, dass der göttliche Auftrag an den Menschen, Gemeinschaft untereinander zu stiften und die letzte Vollendung des Universums zu suchen, sich auch auf die Tierwelt erstreckt: „Tiere sind Geschöpfe Gottes, und nach der Bibel umgibt er sie mit der Sorge seiner Vorsehung (Mt 6,26). Die Menschen sollen sie mit Dankbarkeit entgegennehmen und geradezu eine eucharistische Haltung im Blick auf jedes Element der Schöpfung annehmen und Gott dafür danksagen. Einfach durch ihre Existenz preisen die Tiere Gott und geben ihm die Ehre: ,Preist den Herrn, all ihr Vögel am Himmel; lobt und rühmt ihn in Ewigkeit! Preist den Herrn, all ihr Tiere, wilde und zahme; lobt und rühmt ihn in Ewigkeit!‘ (Dan 3,80-81). Außerdem schließt die Harmonie, die der Mensch im Ganzen der Schöpfung begründen oder wiederherstellen muss, seine Beziehung zu den Tieren ein. Wenn Christus in seiner Herrlichkeit kommt, wird er das Ganze der Schöpfung ,rekapitulieren‘ in einem eschatologischen und endgültigen Moment der Harmonie“ (Internationale Theologische Kommission, Gemeinschaft und Dienstleistung, Nr. 79).

Gerechter Gebrauch der Tiere

Im Katechismus der Katholischen Kirche wird über den gerechten Gebrauch der Tiere bekräftigt: „Gott hat die Tiere der treuhänderischen Verwaltung des Menschen unterstellt, den er nach seinem Bilde geschaffen hat. Somit darf man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen. Man darf sie zähmen, um sie dem Menschen bei der Arbeit und in der Freizeit dienstbar zu machen“ (Paragraph 2417). Die Internationale Theologische Kommission sagt: „Die menschliche Hoheit über die Tierwelt ist wesentlich eine Dienstleistung, Schönheit und Vielfalt der Schöpfung weisen auf den verborgenen Schöpfer hin. für die der Mensch Rechenschaft ablegen muss vor Gott, der der Herr der Schöpfung im wahrsten Sinne ist“ (Internationale Theologische Kommission, Gemeinschaft und Dienstleistung, Nr. 80). Wer mit offenen Augen und ebensolchem Herzen durch die Natur geht, dem begegnet Gott in den winzigsten Details der Schöpfung. Diese spirituell erfahrbare Einheit wird dann auch zur ethischen Aufgabe. Der Stein ist keine Sache, die Pflanze kein Gegenstand und das Tier kein seelenloses Objekt mehr, sondern ein Wesen, dem Ehrfurcht gebührt.

Kritische Bestandsaufnahme

Jede Generation muss ihr Verhältnis zum Tier neu überdenken. Es bedarf dazu einer kritischen Bestandsaufnahme, eines wertschätzenden Dialoges und einer kreativen Weiterentwicklung. Dieses Jahrbuch der Diözese bietet mit seinen Beiträgen aktuelle Information auf der Höhe der Zeit und öffnet den Raum für einen Dialog zwischen Bauern und Konsumenten, Pfarren und Tierschutzvereinen sowie Natur- und Denkmalschutz. Mit diesen Texten liegt eine österreichweit bisher einzigartige Sammlung an Perspektiven und Einstellungen zur Mensch-Tier-Beziehung vor, die zu einem breiten Gespräch anregen und auch Impulse dafür geben soll, wie das Programm der von Papst Franziskus geforderten ökologischen Umkehr umgesetzt werden kann. Die Menschheit beginnt dabei nicht mit der leichtesten Aufgabe, denn das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist höchst ambivalent. Wir werden dann Erfolg haben, wenn wir die universale Vernetztheit und Verwiesenheit aller Geschöpfe untereinander erkennen.

Verbundenheit aller Lebewesen

Tun wir es mit den Augen des Glaubens, fällt es leichter, diese Verbundenheit aller Lebewesen zu erkennen, denn „der Glaubende betrachtet die Welt nicht von außen, sondern von innen her und erkennt die Bande, durch die der himmlische Vater uns mit allen Wesen verbunden hat“. Denn „jedes Geschöpf ist also Gegenstand der Zärtlichkeit des Vaters, der ihm einen Platz in der Welt zuweist. Sogar das vergängliche Leben des unbedeutendsten Wesens ist Objekt seiner Liebe, und in diesen wenigen Sekunden seiner Existenz umgibt er es mit seinem Wohlwollen“ (Laudato Si’, Nr. 77). Ich bin überzeugt, dass in der Haltung der Ehrfurcht vor dem Leben die Lektüre dieses Jahrbuches zu einem tieferen Verständnis der Schöpfung beitragen wird und so zu einem noch bewussteren Umgang mi den Geschöpfen und der Natur in unserem Land führen kann. |

Autor: Diözesanbischof Dr. Alois Schwarz
Erstveröffentlichung in: "Mensch und Tier. Impulse für ein schöpfungsgemäßes Miteinander", Jahrbuch der Diözese Gurk 2017, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).