Mit einem Ma(h)l war alles anders

Das Abendmahl Jesu und das Herrenmahl der Kirche

Das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern am Vorabend seines Leidens und Sterbens ist für die Entstehung der christlichen Eucharistiefeier und die Deutung des Herrenmahls durch die Kirche von so grundlegender und einschneidender Bedeutung, dass man eingängig formulieren könnte: Mit einem Ma(h)l war alles anders. Diese Stiftungshandlung Jesu ist allerdings nicht isoliert zu betrachten, sondern hat als sakramentales Zeichen nur im Horizont der Auferstehung ihren letzten Sinn. Nur weil der Herr sich als lebendig über seinen Tod am Kreuz hinaus erwiesen hat, versammelt sich die Jüngerschaft in seinem Namen zur Feier seines Gedächtnisses. Und sie empfängt Anteil an einem, der lebt und der eine Zukunft hat, nicht aber an einem Toten, dessen Zeit abgeschlossene Vergangenheit ist. Aus der biblischen Tradition lassen sich einige Intentionen Jesu erheben, die für die Deutung des Abendmahls wichtig sind. Auf dieser Basis können historische Weichenstellungen und theologische Prägungen des Herrenmahls der Kirche eingeordnet werden.

Abschiedsmahl

Da Jesus um seinen bevorstehenden Tod wusste, das Abendmahl also das Ende der irdischen Mahlgemeinschaft mit ihm markiert, handelt es sich dabei um ein Abschiedsmahl. Nicht das Sättigungsmahl selbst ist jedoch das Zeichen der bestehenden Gemeinschaft, sondern das eine Brot, das gebrochen wird, und der eine Kelch, aus dem alle trinken, werden zum Zeichen der Communio. Dabei erhalten Brot und Wein eine personale Zeichendimension, insofern sie für Jesus und sein Heilswerk, für Jesu Leib und Blut stehen. In diesem Abschiedsmahl werden alle Mahlgemeinschaften mit den Jüngern zuvor, aber auch jene mit den Zöllnern und Sündern wesentlich überboten.

Bildunterschrift (Bildrechte sind zwingend anzugeben!)
Das Letzte Abendmahl ist ein Abschiedsmahl, bei dem Brot und Wein für Jesus und sein Heilswerk stehen. (Relief, linker Seitenaltar, 3. V. 18. Jh., Pfarrkirche St. Stefan bei Dürnstein) Foto: Rosmarie Schiestl

Zeichen der Lebenshingabe Jesu

Brot und Wein dürften nach dem Zeugnis des Lukasevangeliums bereits von Jesus als Zeichen seiner Lebenshingabe für die vielen verstanden worden sein. Dort heißt es beim Brotwort ausdrücklich: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.“ (Lk 22,19) 1 Kor 11,24 deutet dieses Verständnis mit der Formulierung „Das ist mein Leib für euch“ vorsichtiger an. Alle synoptischen Evangelien, also auch der älteste Bericht bei Markus, kennen das Motiv beim Kelchwort: „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“ (Mk 14,24) Lk 22,20 spricht vom „Blut, das für euch
vergossen wird“.

Gedächtnisfeier

Unabhängig von der in der Forschung umstrittenen Frage, ob der Gedächtnisbefehl zu den ipsissima verba Domini gehört und ob das Abschiedsmahl Jesu ein Paschamahl war, kann mit großer Sicherheit angenommen werden, dass Jesus seine Stiftung als Gedächtnisfeier intendiert hatte. Dabei kommen aber nicht nur die Heilstaten Gottes im Schöpfungsgeschehen und in der befreienden Führung seines Volkes in den Blick, sondern werden heilsgeschichtlich um Gottes Handeln in, an und durch Jesus Christus erweitert. Dank und Lobpreis der göttlichen Heilstaten enthalten überdies bereits eine eschatologische Dimension, sodass „Art und Inhalt dieses Gedenkens […] die vergangene und die zukünftige Heilsgeschichte umgreift, sie im Jetzt der Feier aktualisiert und an ihr Anteil gibt: in der communio mit Jesus und in der Teilhabe an seinem Heilswerk, dem Inbegriff aller
Verheißungen Gottes“, wie Hans Bernhard Meyer (1924–2002) in seinem Standardwerk über die Eucharistie schreibt.

Begegnung mit dem Auferstandenen

In den nachösterlichen Berichten gibt es mehrere Zeugnisse dafür, dass der Auferstandene zu den Jüngern kommt und mit ihnen Mahlgemeinschaft hält (vgl. etwa Joh 21,1–14; Lk 24,36–49). Die meisten von ihnen dürften allerdings keine eucharistische Bedeutung haben. Dies gilt wohl auch für die summarische Aussage des Petrus in der Apostelgeschichte: „uns, die wir mit ihm nach seiner Auferstehung von den Toten gegessen und getrunken haben“ (Apg 10,41). Eine eindeutige euch ristische Sinnspitze hat allerdings die Begegnung mit dem Auferstandenen auf dem Weg nach Emmaus (vgl. Lk 24,13–35). In dieser Perikope spiegelt sich die Grundstruktur der „Messe“ mit Wortgottesdienst und Eucharistiefeier bereits wider. Die Emmausgeschichte kann daher als Deuteerzählung des urchristlichen Herrenmahls verstanden werden. Ihre Botschaft lautet: Die Feier der Eucharistie ist Begegnung mit dem Auferstandenen, der sich als Herr über Leben und Tod erwiesen hat.

Wortgottesdienst und Eucharistiefeier

Historisch belegt ist die Grundstruktur des Herrenmahls – bestehend aus Wortgottesdienst und Eucharistiefeier und schon vollständig vom Sättigungsmahl losgelöst – erstmals in dieser Form bei Justin († 165). Um die Mitte des zweiten Jahrhunderts verfasst der Philosoph und Märtyrer in Rom seine erste Apologie, die an Kaiser Antoninus Pius (138–161) gerichtet ist. In seiner Beschreibung enthält der Wortgottesdienst bereits Lesung, Predigt des Vorstehers, Allgemeines Gebet und Friedensgruß und unterscheidet sich damit nicht wesentlich von unserer heutigen Feier.

Höhepunkt und Quelle

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) hat diese Grundstruktur der Messfeier wieder nachdrücklich in Erinnerung gerufen und in seiner Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium (SC) g wünscht, dass die Gläubigen nicht nur „am Tisch des Herrenleibes Stärkung finden“ (SC 48), sondern ihnen auch „der Tisch des Gotteswortes reicher bereitet werde“ (SC 51), was mit einer deutlichen Aufwertung des Wortgottesdienstes der Messfeier einherging. Die Liturgie insgesamt bezeichnete das Konzil als „Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich [als] die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“ (SC 10). Dies gilt besonders für die Feier der Eucharistie.

Autor: Prof. Dr. Stefan Kopp, Erstveröffentlichung in: »Unser tägliches Brot«, Jahrbuch der Diözese Gurk 2023, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk). |