„Es gibt nichts Köstlicheres als ein Stück Brot“

Bischof Marketz über seine persönlichen „Brot-Erfahrungen“

In dem Haus, in dem ich geboren wurde, befand sich gegenüber der sehr kleinen Küche die sogenannte schwarze Küche. Sie war so eingefärbt mit kohlschwarzem Ruß, dass wir Kinder uns fürchteten, sie zu betreten. Wir wussten nur, dass von der schwarzen Küche aus der Kachelofen im Wohnzimmer, das zugleich unsere Schlafstätte war, beheizt wurde und dass von dort die frischen Brotlaibe herausgebracht wurden, von denen wir alle paar Wochen ein Stück frisches Brot als besonderen Leckerbissen erhielten. Meine erste Erfahrung mit Brot sollte sich bis heute wiederholen: Es birgt etwas Geheimnisvolles in sich und schmeckt wunderbar. Wie viele Arbeitsschritte mit der Herstellung von Brot verbunden waren, bevor es fertig gebacken auf dem Tisch lag, bekam ich jedoch auch schon als Kind bald mit.

Schweißtreibende Arbeit

Es begann mit dem Pflügen der Äcker mithilfe einer Pferdestärke. Ich durfte das Pferd führen, der Großvater führte den Pflug. Nachdem dieselbe Prozedur mit einer Egge wiederholt wurde, kam die Zeit für die Aussaat des Korns im Herbst für den Winterweizen oder im Frühjahr für den Sommerweizen. Mit einem Sack voll mit Samenkörnern schritt der Vater über den Acker und streute den Samen mit eleganten, kraftvollen Bewegungen auf die Erde. War das Korn reif, begann die Ernte. Gemäht wurde mit Sicheln und Sensen, eine äußerst schweißtreibende Arbeit. Die abgemähten Halme wurden zu Garben gebunden und zum Trocknen aufgestellt. Waren die Garben trocken, brachten wir sie zum Hof, um sie zu dreschen. Das Getreide wurde auf dem Boden der Scheune oder eines extra eingerichteten Dreschplatzes ausgebreitet und mit den Dreschflegeln „geschlagen“, bis die Körner aus den Ähren getrieben waren. Anschließend wurde „die Spreu vom Weizen getrennt“, also die eigentlichen Körner wurden von den umgebenden Samenhüllen und Halmbestandteilen getrennt. Im einfachsten Fall warf man dazu das ausgedroschene Getreide mit einer Schaufel oder einem Korb in den Wind, der die leichten Hüllbestandteile und Halme wegwehte, während die schwereren Körner nach unten zurückfielen.

Gelassenheit der bäuerlichen Familien

All diese Arbeitsschritte erforderten viel Zeit und viele Hände. Erst später erkannte ich, wie das ganze Dorf mithalf, um die einzelnen Familien bei der Arbeit zu unterstützen, und wie wichtig auch der Beitrag von uns Kindern war. Wie stolz war ich, mithelfen zu können! Den Hauptteil der Arbeit hatten jedoch die Frauen zu verrichten, die sich neben ihren Aufgaben auch noch um das leibliche Wohl der Helferinnen und Helfer kümmerten. Denn jeden Abend wurde miteinander gegessen, getrunken und auch gefeiert. Und da war noch einer, den alle in ihrer Mitte wussten: Gott, zu dem sie aufsahen, dem sie am Sonntag Dank sagten und den sie in der hl. Eucharistie als einem Geschehen wiedererkannten, das Teil ihres alltäglichen Lebens war. Bei all dem beeindruckte mich, wie gelassen die bäuerlichen Familien mit heftigen und ungewöhnlichen Naturereignissen umgingen, denn auch damals gab es Dürre, Hagel, schwere Unwetter. War es das Vertrauen in die dörfliche Solidarität, die Erfahrung, dass die Gemeinschaft und das Gebet letztlich allen das Überleben sicherten?

Bildunterschrift (Bildrechte sind zwingend anzugeben!)
Der Mähdrescher auf dem elterlichen Hof brachte eine enorme Arbeitserleichterung. Foto: Privat

Wunder „Brot“

Mein Vater war der Erste in unserer Region, der einen Mähdrescher anschaffte. Sehr bald erkannten die Menschen, welche Arbeitsersparnis er brachte und warteten lange, bis er auch bei ihnen vorbeikam. Zum Mähen und Dreschen von zwei Hektar Getreide braucht ein moderner Mähdrescher heute nicht einmal eine Stunde – mit nur einem Fahrer. Damit begann in der Landwirtschaft die Entwicklung, vor der wir heute stehen. Gutes Brot kann man heute überall kaufen. Im Laufe meiner Generation wurde der Herstellung von Brot das Geheimnisvolle entzogen, zum Teil auch das Gemeinschaftliche, das Solidarische und Verwandelnde. Das Haus, in dem ich geboren wurde, ist inzwischen abgerissen. Daneben steht ein neues. Ich möchte den Fortschritt keinesfalls in Frage stellen. Und für mich gibt es kaum ein Geschenk, das mir größere Freude bereitet als ein selbst gebackenes Brot. In den Pfarren, in denen ich wirkte, musste ich ganz selten Brot kaufen. Es war einfach immer welches da. Nicht durch ein Wunder – durch die Güte und Liebe von Menschen! Oder war es doch ein Wunder? Geschichten von Brotvermehrungen in den Evangelien würden es bestätigen. Und auch das tägliche Brot und der Wein auf dem Altar: Mein Leib! Mein Blut! Mein Leben. Es braucht heute mehr Glaubenskraft, damit man das Wesen unseres Gottes im Brot erkennt. Und doch sagen wieder viele Menschen: Es gibt nichts Köstlicheres als ein Stück Brot.

Autor: Diözesanbischof Dr. Josef Marketz, Erstveröffentlichung in: »Unser tägliches Brot«, Jahrbuch der Diözese Gurk 2023, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).