Unsere Weise der Heiligkeit wagen

Wie die Lebensgeschichten der Heiligen unser Leben verändern können

“Allerheiligenbild“, Albrecht Dürer, 1511, Landauer Altar, Kunsthistorisches Museum Wien (© Foto: Prof. Heinz Ellersdorfer)
“Allerheiligenbild“, Albrecht Dürer, 1511, Landauer Altar, Kunsthistorisches Museum Wien (© Foto: Prof. Heinz Ellersdorfer)

Betreten wir eine unserer vielen wunder­schönen historischen Kirchen in Kärnten, wird uns sofort bewusst: Wir sind nicht allein, wir sind umgeben von einer „Wolke von Zeugen“, um ein Wort aus dem Hebräerbrief (12,1) aufzugreifen. Die Heiligen umgeben uns aber nicht nur in unseren Kirchengebäuden, sondern sie begegnen uns auf Schritt und Tritt auch im Alltag: im Kalender, in Bauernweisheiten und Wetter­regeln, als Namenspatrone, Patrone von Berufsgruppen oder Namensgeber für Orte in unserem Land. Die Heiligen bereichern unser religiöses Leben und sind für die Kirche – wie der Titel des heurigen Jahrbuches unserer Diözese besagt – Vorbilder, Fürsprecher und Reformer, die der Kirche in ihrer je eigenen Spiritualität und mit Blick auf Christus immer wieder neue Impulse geschenkt haben.

Vorbilder spornen an. Sich mit der Lebensgeschichte der Heiligen zu beschäf­tigen, kann das eigene Leben verändern. Ein baskischer Soldat hat das im 16. Jahr­hundert erlebt. Nach schwerer Verwun­dung, die ihn an den Rand des Todes gebracht hatte, will er sich auf dem Krankenlager die Zeit vertreiben. Da keine spannenden Ritterromane zur Verfügung stehen, liest er in den Lebensbeschreibungen der Heiligen. Dabei geht ihm auf, dass es doch mehr geben muss als kriegerischen Erfolg und weltliches Ansehen. Der Umgang mit den Heiligen steht am Anfang seiner Bekehrung. Der Name des Edelmannes aus dem Baskenland: Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens.Vorbilder spornen also an. Was bei Ignatius zu einer tiefgreifenden Verände­rung seines Lebens beigetragen hat, können wir im Kleinen auch häufig bei Kindern beobachten. Wenn sie von einem Sportler oder einer Sportlerin fasziniert sind, beginnen sie gelegentlich, eifrig zu trainie­ren, um auch einmal solche Leistungen zu vollbringen. Doch häufig schlägt die Faszi­nation leicht um. Denn was im Anfang eine Herausforderung war, macht plötzlich mutlos: „Es hat ja alles doch keinen Zweck, denn so schnell wie diese Athletin kann ich nicht laufen. So erfolgreich wie dieser Fußballer kann ich nicht werden.“ Ohne Zweifel ist das auch eine Gefahr, wenn wir von unseren Heiligen und ihrem vorbildlichen Leben sprechen. Was faszi­niert, schreckt zugleich auch ab. Denn mancher wird sagen: „Die prophetische Begabung einer Hildegard von Bingen habe ich nicht. Die Frömmigkeit eines Thomas von Aquin oder einer Teresa von Ávila ist für mich unerreichbar. Der seelsorgliche Eifer eines Johannes Bosco oder eines Pfarrers von Ars wird mir immer fremd bleiben. Die christliche Fröhlichkeit eines Philipp Neri oder den selbstlosen Dienst an den Kranken eines Aloysius kann ich nur bewundern, aber nicht selbst leben. Und die Konsequenz eines Thomas Morus, der nur seinem Gewissen folgte und mit großer Gelassenheit auch den Tod auf sich nahm, würde mich vermutlich überfordern.“

Die Heiligen und wir. Werden die Heiligen damit nicht zu unmöglichen Vorbildern? Ja, wenn wir versuchen, sie zu kopieren. Aber das ist nicht das, was von uns verlangt wird und wozu wir berufen sind. Wir müssen nicht Weltreisen machen, nur weil Paulus sich auf gefährliche Wege eingelassen hat. Wir müssen nicht unsere Familien verlassen, nur weil der Ehemann und Familienvater Niklaus von Flüe sich in die Einsamkeit zurückgezogen hat. Wir müssen nicht das Martyrium suchen, nur weil in allen Jahrhunderten Christen um des Glaubens willen umgebracht worden sind. Aber wir sind berufen, auf unsere Weise heilig zu werden. Wir sind berufen, an unserem Platz und mit unseren Möglichkeiten Gott zu suchen und Christus nachzufolgen. Niemand soll eine Kopie eines anderen werden, und deshalb müssen wir uns auch nicht mit anderen vergleichen. Aber wir dürfen uns von den Heiligen und ihren vielfältigen Lebensläufen anregen lassen, unsere Weise der Heiligkeit zu wagen.

Die Heiligen als Bilder unserer Berufung. Die Heiligen in unseren Kirchen sind mehr als Schmuck und Verzierung. Sie sind Bilder unserer Berufung. Sie künden von den vielfältigen Wegen und ermutigen uns, unseren eigenen Weg zu gehen. Als Getaufte sind wir „Heilige“, wie der Apostel sagt: „Bekleidet euch also, als Erwählte Gottes, Heilige und Geliebte, mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld!“ (Kol 3,12) Wir sind als Christen zur Heilig­keit berufen, sollen also entsprechend unserer Berufung heilig leben. Unzählige Heilige des Alltags und unserer Zeit fallen mir ein, die nicht im Heiligenkalender stehen: Menschen z. B., die Kranke jahre­lang aufopfernd pflegen, oder Eltern, die ihr schwer beeinträchtigtes Kind durchs Leben begleiten. Heiligkeit in diesem Sinne ist also nicht einfach etwas für religiöse „Spitzensportler“, sondern für jeden Christen, der sich – oft ganz unbeachtet – auf die Botschaft des Evangeliums einlässt und sie im Kleinen wie im Großen zu leben versucht. In diesem Sinne möge uns dieses Jahrbuch viele Facetten von Heiligkeit und Heiligen in ihrer Bedeutung für das Leben der Kirche zeigen und uns neu zu einem Weg der Heiligkeit ermutigen.

Erstveröffentlichung in: "Heilige - Vorbilder, Fürsprecher und Reformer", Jahrbuch der Diözese Gurk 2018, (Redaktion: Pressestelle der Diözese Gurk).